Spindelegger: Lehrerdienstrecht soll in Begutachtung
KURIER: Herr Vizekanzler, in der ÖVP herrscht Durcheinander. Die Finanzministerin sagt, es seien 70.000 Arbeitsplätze vernichtet worden, laut Wirtschaftsminister ist Österreich ein guter Standort. Welcher Ihrer beiden Minister hat recht?
Michael Spindelegger: Beide. Wir sind beim Durchsteuern durch die Krise relativ gut gewesen, vor allem im Vergleich zu anderen. Aber es hat auch Maria Fekter recht. In meinem Heimatbezirk Mödling beim Unternehmerstammtisch wurde voll und ganz bestätigt, was sie sagt. Dort wurde mir gesagt, dass einige Firmen bereits gewandert sind und andere überlegen, zu wandern. Die Wettbewerbsbedingungen sind ganz entscheidend dafür, ob man bleibt oder nicht. Und die Verunsicherung, dass Faymann sagt, wir brauchen neue Steuern – da hat Maria Fekter den Kern getroffen – , die ist gewaltig gefährlich.
In dem Programm „Unternehmen Österreich 2025“ sind viele radikale Reformvorstellungen drinnen. Manche Experten zweifeln, dass Sie es mit der Umsetzung wirklich ernst meinen.
Die 700 Reformen, die meine Experten erarbeitet haben, habe ich zur Grundlage für mein Programm erklärt. Es ist Grundlage dafür, die Wettbewerbsbedingungen in Österreich zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu müssen wir die Dinge angehen, die für Unternehmen wichtig sind. Wir müssen die Finanzierung der Unternehmen sicherstellen. Wir müssen entbürokratisieren. Wir brauchen hier einen ordentlichen Schub. Ich sammle bei den Unternehmerstammtischen gerade eine Blacklist der 100 wettbewerbshemmendsten Vorschriften, und die werden wir in der nächsten Periode angehen.
Was vom ÖVP-Wahlprogramm, das Sie gestern vorgestellt haben, ist Koalitionsbedingung?
Ich werde nicht alles, was in den 85 Seiten steht, durchsetzen können, das weiß ich. Aber möglichst viel davon. Entscheidend ist, dass es keine neuen Steuern gibt. Neue Steuern würden uns viele Arbeitsplätze kosten. Wir sind ohnehin ein Hochsteuerland, da werden wir nicht noch was drauflegen.
Mit einem Bundeskanzler Spindelegger wird es keine neuen Steuern geben.
Wie sieht es mit Steuersenkungen aus? Landeshauptmann Pühringer sagt, man soll über Steuerreformen gar nicht nachdenken, weil wir sie uns sowieso nicht leisten können.
Deswegen ist die ÖVP auch seriös, indem sie sagt: Vor 2016, bevor wir das Null-Defizit nicht erreicht haben, wird es keine Steuersenkungen geben. Außer wir schaffen eine Entfesselung der Wirtschaft, ein Ankurbeln des Wachstums, dann können wir uns eine Steuerreform früher leisten.
Wie erklären Sie den Leuten, dass der Wirtschaftsminister sagt, in der Privatwirtschaft soll 12 Stunden am Tag gearbeitet werden, und die Lehrer, die die Kinder betreuen, gehen weiterhin zu Mittag nach Hause?
Beides passiert so nicht. Es muss nicht jeder 12 Stunden am Tag arbeiten, sondern nur, wenn es manchmal im Unternehmen notwendig ist. Und die Nachmittagsbetreuung wird Stück für Stück ausgebaut, dafür haben wir in der Regierung gerade zusätzliche 80 Millionen draufgelegt.
Mit dem Lehrerdienstrecht sehen Sie keine Zusammenhang, dass die Lehrer länger in der Schule bleiben sollen, mit den Kindern Aufgaben machen und sie bei Bedarf fördern, um Nachhilfekosten für die Eltern zu sparen?
Ein neues Lehrerdienstrecht muss und wird kommen. Ich stehe auch dazu, dass wir in der Regierung beim Lehrerdienstrecht den nächsten Schritt setzen und es in Begutachtung schicken. Im Begutachtungsverfahren können alle Betroffenen ihre Standpunkte einbringen. Nach dem Begutachtungsverfahren wird das Lehrerdienstrecht im Konsens mit den Sozialpartnern beschlossen werden, davon bin ich fest überzeugt.
Mit einem achtwöchigen Begutachtungsverfahren wird sich ein Beschluss vor der Wahl kaum ausgehen. Schadet das?
Nicht unbedingt, denn für das Schuljahr 2013/2014 ist die Zeit ohnehin schon zu kurz. Das Dienstrecht kann erst für neue Lehrer im Schuljahr 2014/15 gelten.
Konterkarieren die schwarzen Lehrergewerkschafter das Image der ÖVP? Sie geben sich als Reformer, und die Bremser stehen jeden Tag in der Zeitung.
Bremsen darf man die Entwicklung nicht lassen, aber man darf auch nicht glauben, dass mit einem neuen Dienstrecht alles gut ist. Ein neues Dienstrecht heißt noch lange nicht, dass jemand, der die Schule verlässt, lesen kann. Wir müssen uns auf Lesen, Schreiben, Rechnen in der Volksschule konzentrieren. Es geht nicht an, dass ein Viertel Schulpflichtabsolventen nicht sinnerfassend lesen kann. Das ist ein inakzeptabler Zustand, und müsste Frau Schmid, die seit sieben Jahren verantwortliche Ministerin ist, in Mark und Bein gehen. Sie tut aber so, als wären alle anderen schuld. Um das gleich auszuräumen: die Volksschule ist eine Gesamtschule, daran kann es also nicht liegen.
Soll Schmied der Regierung nicht mehr angehören?
Das ist Sache der SPÖ. Aber die PISA-Ergebnisse sind schlechter geworden, und das ist für eine Bildungsministerin sehr alarmierend.
Sie sagen, Sie wollen eine Reformregierung. Geht das nur mit der SPÖ?
Nice try, aber Sie wissen, was ich darauf sage: Erst wird gewählt, dann eine Regierung gebildet.
Ist Stronach ein Reformer?
Stronach ist ein Mitbewerber, der bisher in der Politik keine Erfahrung gesammelt hat. Ich kann mir außerdem mit keinem eine Koalition vorstellen, der sagt, man muss aus der EU austreten oder den Euro abschaffen.
Sind Sie enttäuscht, dass Monika Lindner, für die sich die ÖVP im ORF auf die Schiene geworfen hat, für das Team Stronach kandidiert?
Dankbarkeit ist keine politische Kategorie.
Der Chef der Beamtengewerkschaft GÖD, Fritz Neugebauer, ist empört: In mehreren Interviews haben ihm SPÖ-Vertreter ausgerichtet, man werde das neue Lehrerdienstrecht notfalls ohne Gewerkschaft beschließen. So meinte Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek im KURIER: „Im August muss der Begutachtungsentwurf fertig sein.“ Sie wolle nicht auf die Gewerkschaft warten. Und auch Kanzler Werner Faymann forderte im Standard, „noch in diesem Jahr Gesetze zu beschließen.“
Neugebauer will die Drohungen so nicht hinnehmen: „Wir erleben im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen eine Einmaligkeit. Seit 1945 hat es so einen Kulturbruch nicht gegeben. Das ist eine Inszenierung der Regierung mit Unterstützung des Boulevards. Das tut der Sache keinen guten Dienst“, sagte er am Samstag zum KURIER.
Streiken die Lehrer?
Sowohl der Kanzler als auch die Beamtenministerin würden in der Öffentlichkeit „nicht sehr ehrlich mit dem Thema umgehen.“ Neugebauer sieht die Lehrergewerkschaft als Opfer des Wahlkampfs: „Wenn die Wahlen vorbei sind, wird die leidige Inszenierung ein Ende haben.“ Ob die Lehrer im September streiken, wenn die Sache eskaliert? „Wir behalten uns Schritte vor. Die möchte ich aber noch nicht nennen.“
Das Gesprächsklima mit Heinisch-Hosek und Bildungsministerin Schmied scheint jedenfalls zerstört. Neugebauer: „Was mich wirklich betroffen macht ist, wenn Heinisch-Hosek in den Verhandlungen offen sagt: ,Die Mehr-Arbeit trifft eh nur die Jungen‘.“ Diese Unsolidarität könne es mit der Gewerkschaft nicht geben. Neugebauer baut auf den Herbst: „Ich hoffe darauf, dass nach der Wahl neue Regierungsmitglieder mit profundem Wissen in der Bildungspolitik in eine vernünftige Diskussion mit uns eintreten.“
Für den Gewerkschaftschef ist es fraglich, ob es vor der Wahl eine 34. Verhandlungsrunde geben wird. Die von der Regierung im August angepeilte Einigung sei nur möglich, wenn die Regierung „den Erwägungen der Gewerkschaft folgt“.
Haken würde es sowohl bei der Arbeitszeit als auch beim Gehalt. „Warum sollen beispielsweise die Sonderschullehrer plötzlich 24 statt 21 Stunden arbeiten? Die Regierung sagt einfach nur, das wolle man so.“
Dass Heinisch-Hosek weitere finanzielle Zugeständnisse ausschloss, will der Beamtengewerkschafter nicht akzeptieren: „Das gesamte Dienstrecht ist ein Sparpaket. Es darf nicht sein, dass Lehrer einige 100.000 Euro an Lebenseinkommen verlieren. Der öffentliche Dienst steht mit der Wirtschaft im Wettbewerb um junge Kräfte.“
Blaupause
Wie andere Gewerkschafter betonte auch Neugebauer, dass das Lehrerdienstrecht die Blaupause für den gesamten öffentlichen Dienst sei: „Wenn die Regierung über die Lehrer d’rüberfährt, fürchten die anderen Berufsgruppen, dass es ihnen genauso gehen könnte. Mehrarbeit bei weniger Lebenseinkommen, das findet mit uns nicht statt.“
Erneut fordert er wissenschaftliche Untersuchungen als Basis für die Verhandlungen. Der Kritik von Burgenlands Landeschef Niessl, der ihn als „geborenen Blockierer“ bezeichnete, widmet er nur zwei Sätze: Niessl habe keine Ahnung von den Gesprächsinhalten. Und: „Da war es wohl sehr heiß im Burgenland.“
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