Liessmann: "Spielen mit der Glaubwürdigkeit"

Liessmann attestiert Kanzler Kern einen autoritären Führungsstil.
Zuerst das Ultimatum, gefolgt von einem Verhandlungsmarathon. Kanzler Christian Kern treibt die Regierung derzeit vor sich her. Philosoph Konrad Paul Liessmann analysiert die Taktik des SPÖ-Chefs.

KURIER: Herr Liessmann, zuerst das Ultimatum des Kanzlers, dann die Verhandlungen, wo es Spitz auf Knopf steht. Welches Bild hinterlässt dieses Handeln beim Wähler?

Konrad Paul Liessmann: Die handelnden Personen spielen mit der Glaubwürdigkeit der Regierung und der Politik. Wäre man wirklich daran interessiert, diese Legislaturperiode zu Ende zu führen, dann hätte die Aktualisierung des Regierungsprogrammes auch ohne diese mediale Inszenierung und diese Dramatik passieren können. Da steckt etwas anderes dahinter: Der SPÖ geht es um Neuwahlen. Kerns Plan A ist ein Wahlkampfprogramm. Alle Indikatoren zeigen, dass der Zeitpunkt für die SPÖ jetzt verlockend ist. Die ÖVP mit Mitterlehner ist derzeit nicht konkurrenzfähig. Sebastian Kurz ziert sich noch. Das zeigt, wie sehr die Partei in sich gespalten ist. Und die FPÖ gilt seit der Bundespräsidentenwahl nicht mehr als jene Partei, vor der alle zittern müssen. Die SPÖ steht jetzt vor der Frage: Gibt sie dieser Verlockung nach, oder demonstriert sie staatspolitische Verantwortung? Denn eines ist klar: Wenn es keine dramatischen Brüche in der Koalition gibt, dann sind Legislaturperioden einzuhalten. Wer das nicht macht, wird vom Wähler an der Wahlurne abgestraft. Das hat man bei Wilhelm Molterer gesehen.

Ist das Schauspiel für den Bürger nur mehr eine Qual?

Wenn man ein Ultimatum verkündet, dann sollte man wissen, dass man auch die Konsequenzen ziehen muss. Die Stimmungsberichte, die ständig von Ministern, Kanzler oder den Sozialpartnern verkündet werden, sind einfach nur mehr nervig. Dahinter verbirgt sich offenbar eine gewisse Ratlosigkeit. Viele Menschen sind wahrscheinlich verblüfft, warum die Regierung mitten in einer Legislaturperiode Koalitionsverhandlungen neu führen will. Diese Taktik erscheint unplausibel und undurchsichtig. Aber da die Österreicher mittlerweile in dieser Koalition sozialisiert wurden, wissen sie, dass diese allerlei Spielchen treibt und es immer wieder Scharmützel gibt.

Die ÖVP unkt nun gerne, dass Bundeskanzler Kern derzeit lernt, wie Politik funktioniert ...

So wie es jetzt aussieht, ist Kern derzeit in der Position der Stärke. Er gibt den Takt vor. Er macht die großen medialen Inszenierungen. Er bestimmt die Dynamik bei den Koalitionsverhandlungen. Kern sagt sogar die Israel-Reise ab. Das hat natürlich einen großen symbolischen Wert. Damit brüskiert der Kanzler den Koalitionspartner aufs Neue, indem er signalisiert: "Ich muss so eine wichtige Reise absagen, weil ihr nicht imstande seid, einige einfache Aufgaben mit mir zu lösen." Nicht Kern muss lernen, wie Politik funktioniert. Eher muss die ÖVP lernen, dass die SPÖ offenbar auf eine andere als die gewohnte Weise Politik machen kann. Das hat die ÖVP seit vielen Jahren vom Koalitionspartner nicht mehr erwarten müssen und daher auch nicht vermutet.

Als Bundeskanzler Kern im Mai das Amt übernommen hat, meinte er, wir befinden uns im "Countdown um die Herzen im Land". Gewinnt man mit dieser Taktik die Herzen im Land?

In der Politik sollte man die Köpfe der Menschen und nicht die Herzen gewinnen. Schon allein deswegen, weil politisch schlagende Herzen etwas sehr Schwankendes sind. Ob Kern wirklich die Menschen emotional ansprechen und berühren kann, weiß ich nicht. Seinen Stil des glatten, unnahbaren Managers kann er nicht einfach abschütteln. Kern setzt auf eine gewisse Art eine Tradition fort, die durch Alt-Kanzler Franz Vranitzky verkörpert war: Der erfolgreiche Manager, der die Partei und die Politik von der Unternehmerseite sieht. Das hat sicher interessanten Aspekte, entspricht aber nicht dem Grundgedanken der Sozialdemokratie. Auch die Idee, die Partei und den Staat wie ein Unternehmen zu führen, passte nicht zum sozialistischen Weltbild. Damit würde sich Kern früher oder später mit SPÖ-Kernschichten und der Parteijugend anlegen. Das kann er jetzt durch Erfolge noch überstrahlen.

Agiert Kern gerade wie der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens Österreich, der von den Abteilungsleitern Ergebnisse einfordert?

Vieles, was wir derzeit sehen, scheint einem Lehrbuch der Leadership-Ideologie entsprungen zu sein. Die Menschen schnell mit Entscheidung zu konfrontieren, sich nicht zu beraten, die Parteigremien eher links liegen zu lassen. Auch der Plan A und seine Inszenierung waren sehr personenbezogen. Man könnte aufatmen und sagen: Endlich jemand, der Führungsqualitäten unter Beweis stellt. Man könnte aber auch fragen, ob es wirklich die klügste Idee ist, in einer Zeit, in der viel von der Krise der Demokratie die Rede ist und wo vor den autoritären populistischen Bewegungen gewarnt wird, eine alte, traditionsreiche demokratische Partei wie die SPÖ autoritär zu führen.

Hat Kerns Management-Führungsstil das Zeug dazu, breitenwirksam zu werden?

Wenn sein Auftreten mit Stärke assoziiert wird, Lösungskompetenz verspricht, ein wirklich sozialdemokratisches Profil gewinnt und glaubwürdig ist, dann kann das Anklang finden – auch bei der Arbeiterschaft, die Kern ja von der FPÖ zurückholen will. Dass Solches in Maßen gelingen kann, hat ja schon Vranitzky gezeigt. Wenn allerdings dieser Stil auch mit Manager-Untugenden wie Arroganz und Überheblichkeit verbunden wird, kann es sich negativ auswirken. Der Managertypus ist in letzter Zeit durch zahlreiche Skandale sehr stark in Misskredit geraten. Allzu sehr würde ich auf dieses Modell nicht setzen.

Kern empfiehlt gerne die Königsdramen von Shakespeare, wenn man nach Erfolgsstrategien sucht. Erkennen Sie in Kerns Schachzügen Shakespeare?

Shakespeare ist natürlich immer gut – gerade weil bei ihm die Dinge nie gut ausgehen. Momentan erinnert Kern ein wenig an einen Zauderer wie Hamlet. Aber natürlich muss er auch darauf achten, am Ende nicht wie Richard III allein auf der Bühne zu stehen und zu rufen: Ein Koalitionspartner, ein Koalitionspartner, eine Republik für einen Koalitionspartner!

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann (63) gilt als einer der großen Intellektuellen des Landes. Seit 2014 ist er Leiter des Universitätslehrgangs „Philosophische Praxis“
an der Universität Wien. Liessmann veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche und essayistische Arbeiten zu Fragen der Ästhetik, Kunst- und Kulturphilosophie, Gesellschafts- und Medientheorie sowie Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein aktuelles Buch hat er mit Michael Köhlmeier geschrieben: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam? Mythologisch-philosophische Verführungen“, erschienen im Hanser-Verlag.

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