Sozialversicherung: Die Selbsterhaltungskörper

Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger in Wien
Sozialversicherungen zusammenzulegen, würde rot-schwarze Funktionäre ihrer Spielwiese berauben.

Mit der Zweidrittelmehrheit von Türkis-Blau-Neos kann der Nationalrat in bisher geheiligtes Territorium der Sozialpartner einbrechen. Dabei geht es um die Kammern und um deren liebste Spielwiese, die Sozialversicherung. Die Sozialversicherung ist immer noch "ständisch" organisiert. Staatsdiener, Privat-Angestellte, Bauern, Selbstständige und Sonderberufsgruppen haben ihre eigenen Versicherungen. Wobei die Anstalten für die Privat-Angestellten länderweise auf neun Gebietskrankenkassen zersplittert sind. Macht in Summe 13 autonome Versicherungen. Diese Anstalten werden in "Selbstverwaltung" von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also von Kammern und Gewerkschaften, geführt. Die rot-schwarzen Funktionäre verfügen hier über beeindruckende Spielwiesen: Allein die kleine Bauernversicherung hat 1266 Beschäftigte und wälzt im Jahr 3,3 Milliarden Euro um.

Sozialversicherung: Die Selbsterhaltungskörper
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Der Krankenbereich für alle Versicherten ist eine Schleuse für 17 Milliarden pro Jahr (4,2 Milliarden Ärztehonorare, 3,2 Milliarden Heilmittel und 4,5 Milliarden Spitäler).

Während die Arzneien zentral für alle Kassen mit der Pharmaindustrie verhandelt werden, gibt es mit den Ärzten alljährlich einen Verhandlungsparcours: Jede Kasse (bis auf die Bauern) verhandelt eigenständig mit der Ärztekammer über die Honorare. Neun Gebietskrankenkassen mit neun Landes-Ärztekammern. Die Beamten, die Eisenbahner und die Selbstständigen jeweils getrennt mit der Bundesärztekammer. So kommt es, dass pro Jahr zwölf Mal Ärztehonorare verhandelt werden. "Da ist jedes Mal eine ganze Abteilung damit beschäftigt", erzählt ein Insider. Die Selbstverwaltung zur Selbsterhaltung.

Die Verhandlungslust erzeugt jede Menge Bürokratie. Ob der Patient ein Beamter oder ein Bauer ist, ob er Wiener oder Vorarlberger ist – für die gleiche Behandlung sind oft unterschiedliche Honorare fällig.

Eine Harmonisierung der Arzthonorare hätte den Effekt, dass neun Ärztekammern überflüssig würden. Analog zur Medikation würde eine zentrale Honorarverhandlung pro Jahr stattfinden. Der einzelne Arzt hätte mehr Netto vom Brutto, denn er/sie müsste nur noch eine statt zehn Kammern alimentieren.

Die unterschiedlichen Versicherungen dienen auch der Klientelpflege. Die Beamten wachen eifersüchtig über ihre Krankenversicherung. Die gut verdienenden Staatsdiener mit ihren sicheren Arbeitsplätzen sind potente Beitragszahler. Die BVA kann sich die besten Honorare für die Ärzte und großzügige Leistungen für ihre Versicherten erlauben. Die luxuriösesten Bedingungen herrschen in den "Krankenfürsorgeanstalten" (KFA), die Länder für ihre Bediensteten unterhalten. "Landesherrliche Anstalten" nennt sie ein Intimkenner des Systems ironisch.

Die Gebietskrankenkassen, wo die Unselbstständigen in der Privatwirtschaft versichert sind, zahlen die schlechtesten Honorare an die Ärzte und knausern auch gegenüber den Versicherten am meisten.

Ein Zusammenlegen der Kassen würde an den Beitragszahlungen für die Versicherten nicht viel ändern, die sind weitgehend harmonisiert (siehe Tabelle). Die Selbstbehalte beim Arztbesuch, die in den letzten Jahren stark reduziert wurden, könnten entfallen.

Bei den Leistungen für die Versicherten müsste sich einiges ändern, wenn ein gemeinsames Niveau zwischen den besten Leistungen (Beamte, KFA) und den geringsten (Privat-Arbeitnehmer) gefunden werden soll. Einigt man sich auf 70 Prozent in der Qualitätsskala, müssten die Beamten etwas nachlassen, für viele andere würde sich die Situation verbessern. Das beste Niveau für alle würde laut Berechnung des Hauptverbands 1,2 Milliarden pro Jahr kosten. Ein Niveau von 70 Prozent würden 350 Millionen kosten.

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