Die bundeseinheitliche Regelung der Mindestsicherung, umbenannt in Sozialhilfe neu, war ein Leuchtturmprojekt der türkis-blauen Bundesregierung. Vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat es kapital Schiffbruch erlitten.
Das Gesetz wurde in drei zentralen Punkten aufgehoben. Zwei davon sind besonders symbolträchtig, da sie den rigiden Kurs in der Ausländerpolitik der inzwischen geschiedenen Koalitionspartner verkörperten:
Was geht nicht?
Die auf Asylberechtigte abzielende Regelung, wonach die volle Sozialhilfe nur bei guten Deutsch- bzw. Englischkenntnissen bezogen werden kann, ist laut VfGH "nicht sachgerecht".
Dass ab dem dritten Kind nur noch 47 Euro pro Kind ausbezahlt werden hätten sollen, wurde als "sachlich nicht gerechtfertigt" bewertet.
Was heißt das für eine künftige Bundesregierung?
Zwingenden Handlungsbedarf zur Reparatur des Sozialhilfe-Gesetzes gibt es zunächst keinen. "Mit der Kundmachung des VfGH fallen die aufgehobenen Regelungen weg", sagt Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk.
Was heißt das für die laufenden Koalitionsverhandlungen?
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist ein Prestigeverlust für die türkise ÖVP. Die Grünen freuen sich. "Die ÖVP muss zur Kenntnis nehmen, dass sie weit über das Ziel hinausgeschossen ist", sagt Katharina Wiesflecker, Soziallandesrätin in Vorarlberg und Teil des grünen Verhandlungsteams.
Fraglich ist, ob ÖVP und Grüne die Sozialhilfe in den Koalitionsgesprächen angreifen oder sich beide Seiten mit dem Status quo abfinden. Dann müssten die Bundesländer jene Teile des Gesetzes umsetzen, die noch übrig bleiben.
Was wäre ein möglicher Kompromiss?
"Es würde sich anbieten, das Vorarlberger Modell zu übernehmen. Unser System hat sich bewährt und ist verfassungskonform", sagt Wiesflecker. Und ist damit nicht alleine.
Vorarlbergs VP-Landeshauptmann Markus Wallner hat immer wieder für das Vorarlberger Modell geworben, das in Tirol fast deckungsgleich umgesetzt wurde. Auch der dortige VP-Landeshauptmann Günther Platter empfahl mehrfach, sich für eine Bundesregelung die Westachsen-Variante anzusehen.
Was hätte Türkis-Grün von so einer Variante?
Zunächst bildet des Westachsen-Modell, das auch in Salzburg ähnlich aussieht, bereits einen Kompromiss zwischen ÖVP und Grünen ab, die in diesen Ländern schon gemeinsam regieren.
Auch hier drängte die ÖVP 2016 auf Verschärfungen, die teilweise 2017 auch umgesetzt wurden. Und zwar mit ähnlicher Stoßrichtung wie die türkise Bundes-ÖVP. Die Grünen wiederum verhinderten Wartefristen und einen generellen Deckel bei der Mindestsicherung und pochten auf Anreize.
Was hat sich im Westen für Mehrkindfamilien geändert?
Wie bei der nun in diesem Bereich gekippten Sozialhilfe wurde auch die Mindestsicherung in den westlichen Bundesländern degressiv gestaltet. Die Bezüge sinken in Vorarlberg ab dem vierten und in Tirol ab dem dritten Kind - allerdings bei weitem nicht so stark wie beim türkis-blauen Modell, wo ab dem dritten Kind nur noch 47 Euro bezogen werden hätten können.
In Tirol z.B. gibt es für die ersten beiden Kinder 219,15 Euro, für das dritte Kind 201,44 Euro, für das vierte bis sechste Kind 132,82 Euro und ab dem siebten Kind 106,26 Euro. Die Grünen wurden für diese Staffelung massiv kritisiert. Sie sehen die Einschnitte aber zumindest teilweise durch die Mehrkindzuschläge bei der Familienbeihilfe (20 Euro für das dritte und jedes weitere Kind) kompensiert.
Was heißt das "Vorarlberger Modell" für Asylberechtigte?
Für Mindestsicherungsbezieher in Wohngemeinschaften - das sind sehr oft Asylberechtigte – wurden die Sätze gekürzt. Dem Grundsatz, dass Spracherwerb wichtig für die Integration ist, wurde von ÖVP und Grünen Rechnung getragen. Jedoch nicht in Form einer Reduzierung der Mindestsicherung für jene, die ein gewisses Sprachniveau nicht beherrschen - wie es Türkis-Blau wollte.
Vielmehr müssen sich asylberechtigte Mindestsicherungsbezieher dazu verpflichten, Sprachkurse zu absolvieren. In Vorarlberg ist das Teil einer Integrationsvereinbarung, die von Flüchtlingen unterschrieben werden muss, bevor sie Anspruch auf Mindestsicherung bekommen. Wer sich an die Regeln nicht hält, dem werden die Bezüge gekürzt. In Tirol ist es ähnlich.
„Sozialhilfe neu“ gekippt: Nur zwei Länder wollten sie umsetzen
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