Sondersitzung: "Wiens Bürgermeister ist Sheriff von Nottingham"

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES:  RENDI-WAGNER/NEHAMMER
SPÖ kritisiert Regierung für zu geringe Maßnahmen und zitiert aus Mails. Kanzler spricht von "imaginärem" Mail. Neos-Chefin spricht von "unerträglichem Schauspiel".

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirft der türkis-grünen Koalition Untätigkeit vor : Geht es nach der SPÖ sind die verabschiedeten Gegenmaßnahmen zur Teuerung in der Höhe von 3,7 Milliarden Euro zu gering.

Am Dienstag gibt es deshalb ab 12 Uhr eine Sondersitzung im Parlament auf Verlangen der SPÖ.

Der KURIER berichtet live. 

Die Sondersitzung beginnt mit einer Schweigeminuten ob der Gräueltaten in der Ukraine. Dann ist SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Wort.

Sondersitzung: "Wiens Bürgermeister ist Sheriff von Nottingham"

Schweigeminute im Parlament

Sie zitiert aus einem Brief einer Pensionisten, die kaum geheizt habe, weil die Energiepreise nicht leistbar sind. "Diese Ängste sind der Grund, warum ich heute hier stehe", so Rendi-Wagner. "Wir wollen, dass sich die Menschen das Leben in Österreich leisten können, sich nicht entscheiden müssen, ob sie sich das Essen oder das Heizen leisten können". 

Nationalrat: Peinliche Berichtigungen am laufenden Band

SPÖ-Chefin erachtet Richtwertmiet-Erhöhung als "Sündenfall"

Die SPÖ wolle nicht, dass die Sozialmärkte "gestürmt werden müssen" und, dass die Richtwertmieten weiter -wie 2021 - ausgesetzt werden. "Das ist ein Sündenfall. Die Spritpreise seien nicht erst seit gestern höher geworden. "Die Wirtschaftsministerin hätte eingreifen können", so die SPÖ-Chefin. Margarete Schramböck habe dies aber nicht getan. Bei den Lebensmittelpreisen habe die Steigerung erst begonnen. Butter koste um 22 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum. "Die Preise gehen durch die Decke. Das ist existenzbedrohend. Diese Problematik geht tief in die arbeitende Mittelschicht."

"Wenn es kalt ist, müssen sie heizen. Wenn sie Hunger haben, müssen sie essen", führt die SPÖ-Chefin erneut den vorgetragenen Brief der Pensionistin ins Treffen. "Die Regierung lässt die Menschen im Stich."

SPÖ: "Maßnahmen sind Almosen"

Die Teuerungskommission sei "zahnlos", attestiert die SPÖ-Chefin. Die Sozialpartner hätten eine Gremium initiieren wollen, das regulierend eingreifen kann. Das sei nun nicht der Fall. Die Maßnahmen der Regierung glichen "Almosen" und einem "Tropfen auf den heißen Stein". Die "Planlosigkeit" und "Hilflosigkeit" kenne die Bevölkerung bereits von der Corona-Politik der Regierung. "Die Probleme werden größer werden, wenn sie nicht verhindert werden." 

Der 150 Euro-Gutschein, zitiert Rendi-Wagner erneut die Pensionistin, "verpufft wie das Gas, das ich heize". Immer wieder spricht die SPÖ-Chefin den Karl Nehammer als "Kanzler" persönlich an. Dass Finanzminister Magnus Brunner in einem Interview sich dafür ausspricht, dass sich die Menschen bei den Lohnforderungen zurückhalten mögen - das hält Rendi-Wagner für "erbärmlich". 

Die SPÖ-Chefin referiert einen 5 Punkte-Plan 

1. Die Steuern auf Arbeit "müssen gesenkt werden um 1.000 Euro pro Jahr"

2. Die Pensionen "müssen rauf, wie Deutschland das macht" (Anmerkung: um 6 Prozent)

3. Das Arbeitslosengeld müsse erhöht werden auf 70 Prozent des Letztgehalts

4. Die Mehrwertsteuer auf Energie aussetzen. "Was andere Länder können, kann Österreich auch". 

5. Die Mieterhöhung von 6 Prozent "muss sofort rückgängig gemacht werden"

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES: KOGLER/NEHAMMER

Dann meldet sich Bundeskanzler Karl Nehammer zu Wort. Die Opfer des Ukraine-Krieges "haben sich eine restlose Aufklärung verdient", beginnt Nehammer. Die Sanktionen sollen immer beim Aggressor wirken,  nicht bei jenem, der sie ausspreche, so der ÖVP-Chef weiter. "Für Österreich kommt es nicht infrage, dass es ein Import-Verbot für russisches Gas gibt."

Nehammer wirft Rendi-Wagner "imaginäres Mail" vor

Der Krieg in der Ukraine begründe die Inflation in Österreich mit, er sei nicht allein ausschlaggebend. "Die Sondersitzung gebe die Gelegenheit zu zeigen, was die Regierung alles geleistet habe." Im Gegensatz zu Rendi-Wagners "imaginärem Mail", repliziert Nehammer auf den von Rendi-Wagner vorgetragenen Brief, könne er auf den Vater von August Wöginger (ÖVP-Klubchef und Sozialsprecher) verweisen, der von den Maßnahmen profitiere. Kurz darauf nimmt Gabriele Heinisch-Hosek auf die Unterstellung Bezug. Das Mail von Manuela R. sei tatsächlich eingegangen, der Kanzler möge sich schämen.

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES:

Nehammer: "Weg von alten Konzepten"

Entlastungen in der Höhe von 800 Euro netto bekämen die Geringverdiener heuer mehr, rechnet Nehammer vor. Ein Pensionisten-Ehepaar bekäme 1.200 Euro im Jahr mehr. "Ich kenne sie sonst als redliche Maklerin der Politik", sagt Nehammer in Richtung SPÖ-Chefin, die er wie den SPÖ-Klub auffordert, die Tafeln nicht länger in die Höhe zu halten. "Die Preissteigerungen gehen einher mit den Lohnsteigerungen. Weg von alten Konzepten, hin zu kreativen Lösungen", sei die Devise der Bundesregierung.

SPÖ wünscht ÖVP, sich überlegen zu müssen, ob Butter leistbar ist

Jörg Leichtfried von der SPÖ nimmt auf das "Mail" erneut Bezug. Die ÖVP könne sich scheinbar nicht vorstellen, dass Politiker Mails der Bevölkerung erhalten, sondern seien es eher gewöhnt, dass Kinder dem Kanzler (gemeint ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz) schreiben. Auch Leichtfried zitiert aus einer Mail eines Pensionisten, der sich keine gesunden Lebensmittel mehr leisten können. "Ich würde ihnen wünschen, dass sie sich überlegen müssen, ob sie sich ein Stückerl Butter kaufen können", ruft Leichtfried in Richtung ÖVP, deren Mandatare grinsen würden während er spricht, wie er sagt.

ÖVP: "Bürgermeister Ludwig ist Sheriff von Nottingham"

ÖVP-Chef August Wöginger will die SP-Kritik nicht stehen lassen, appelliert dafür, dass Rendi-Wagner Rederecht im Wiener Rathaus erhalten solle. Gemeint ist damit Bürgermeister Michael Ludwig, der die Menschen mit Abgaben zusätzlich belaste. Ludwig sei wie der Sheriff von Nottingham. Er brauche mehr Robin Hood in Wien, so Wöginger. 

"Edelsozialisten" mit "genagelten Schuhen, die keine Ahnung haben, mit wenig Geld auszukommen", seien als Demonstranten von der SPÖ ausgeschickt worden, ruft der ÖVP-Klubchef Richtung SPÖ-Klub.

Olaf Scholz, SPD-Bundeskanzler, habe Maßnahmen für die kommenden drei Monate beschlossen, so Wöginger. Österreichs Hilfen reichten bis Juli 2023. Wöginger ruft Richtung SPÖ, die Lohnsteigerungen würden weitergegeben werden, die Mandatare der SPÖ hätte "Volkswirtschaftslehre nicht kapiert, im Renner-Institut nie gehört". Julia Herr vergleicht die Zahlen aus Wien mit anderen Bundesländern und stellt damit Wögingers Argumente infrage.

FPÖ zur Koalition: "Sie sind nicht ehrlich zu den Menschen"

FPÖ-Chef Herbert Kickl beginnt mit einer Replik an August Wöginger. Der ÖVP-Klubchef sei ein Beispiel dafür, dass es nicht nur in Russland "Opfer der eigenen Propaganda" gebe. Kickl kritisiert: "Sie sind nicht ehrlich zu den Menschen", sagt der FPÖ-Chef Richtung ÖVP, Grünen und der "Scheinopposition" SPÖ. Die Glaubwürdigkeit von Kanzler Nehammer sei "futsch und verpufft". 

Sondersitzung: "Wiens Bürgermeister ist Sheriff von Nottingham"

Bei den Lebensmitteln würde der "Hut brennen", referiert Kickl. "Ich rede von einem ganz einfachen Einkaufskorb," so Kickl, "nicht von Spezialitäten aus Saint Tropez" und adressiert damit an SPÖ-Chefin Rendi-Wagner.  Die FPÖ plädiere dafür, die Preise "einzufrieren wie andere in der EU". Das sei ebenso wenig geschehen wie ein Energiepreisdeckel, den die FPÖ gefordert habe. Energiekonzerne wie der Verbund seien "Krisengewinnler", so Kickl, davon würde die ÖVP profitieren. Selbiges gelte für die SPÖ betreffend der Wien Energie oder der Kelag in Kärnten. "Die selben, die hemmungslos abkassieren, würden hier Krokodilstränen vergießen", endet Kickl sein Statement.

Erneut tritt kurz nach 13 Uhr an Heinisch-Hosek ans Rednerpult. Die SPÖ-Mandatarin unterstellt Wöginger, die Unwahrheit gesagt zu haben. Die Energieabgabe sei noch nicht beschlossen. Wöginger meldet sich erneut zu Wort, bezichtigt sie, die Unwahrheit gesagt zu haben. 

Alois Stöger, SPÖ, beginnt ebenfalls wie seine Vorrednerin mit einer Berichtigung und tritt wieder ab. Dann ist die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer am Wort. 

Maurer: SPÖ-Wortmeldungen "faktisch alle falsch"

"Wenn ich wie die SPÖ vorgehen würde in der Märchenstunde, dann sitzen wir heute bis 18 Uhr hier", sagt Maurer. Die Aussagen bzw. Berichtigungen der SPÖ seien "faktisch alle falsch". Man habe, führt Maurer fort, Russland "zu lange den roten Teppich ausgerollt". Das gelte auch für SPÖ-Vertreter wie Ex-Kanzler Christian Kern. 

Die Regierung habe "vier Milliarden Euro in die Hand genommen als eines der ersten Länder in Europa". Es sei "Fakt, dass die ersten Gelder bereits auf den Konten der Betroffen sind". Die Regierung werde bei Bedarf weitere Maßnahmen treffen, so Maurer. 

 

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES: MAURER

Klubchefin der Grünen: Sigrid Maurer

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger spricht von einem "unwürdigen Schauspiel", parteipolitischem Hick-Hack und sei auch kindisch. Die Inflation sei gekommen, um zu bleiben. 

Neos: "Der Staat kann nicht alles kompensieren".

Österreich müsse die Preissteigerung für jene abfedern, die am meisten davon betroffen sind. "Hier muss zielgerichtet, temporär und klug" unterstützt werden. Den Menschen müsse "reiner Wein eingeschenkt" werden. Kann und soll der Staat jegliche Steigerung abfedern, fragt die Neos-Chefin. "Nein, selbstverständlich geht das nicht. Wir haben seit zwei Jahren eine Koste-es-was-es-wolle-Politik." Man möge aufhören, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. "Der Staat kann nicht alles kompensieren". Meinl-Reisinger fordert die Abschaffung der kalten Progression und eine Anpassung der Tarifstufen. 

Sondersitzung: "Wiens Bürgermeister ist Sheriff von Nottingham"

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger

Die erste Tarifstufe sei seit 2009 nicht mehr "angegriffen" worden. Und Richtung SPÖ sagt die Neos-Chefin, sie habe "planwirtschaftliche Zugänge", es handle sich um ein "Hochamt des Populismus", das die Neos ablehnen. 

Zur Haltung Österreichs im Ukraine-Krieg sagt Beate Meinl-Reisinger: "Sanktionen haben nur dann Sinn, wenn sie glaubwürdig sind." Das sei nur der Fall, wenn man auch selbst Einbußen hinnehme. 

FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch wirft der SPÖ vor, dass die roten Forderungen auch viel "Klim-Bim" enthalten würden, wiewohl manchen Maßnahmen die FPÖ durchaus auch zustimmen könne. Die Regierung tue so, als würde in Österreich "Milch fließen". Die Corona-Politik habe Teile der Bevölkerung in die Armut geführt, so die FPÖ-Mandatarin. Von den 150 Euro bleibe nichts übrig, sie seien "längst aufgefressen". 

Neos-Mandatar unterstellt Rendi-Wagner "billigen Bassena-Populismus". Der Krieg verstärke die Problematik der Inflation, diese sei allerdings schon zuvor da gewesen. Ein Gutschein löse langfristig gar nichts. Eine SPÖ-Maßnahme befindet Loacker für "gut". Gemeint ist die Lohnsteuer-Systematik. "Sogar Mexiko und Chile haben die kalte Progression abgeschafft."

Der "Dringliche Antrag“ der SPÖ, der Basis der Sondersitzung war, wurde mit breiter Mehrheit abgelehnt. Einzig die eigenen Abgeordneten schlossen sich der Initiative an. Ebenso fanden vier weitere oppositionelle Entschließungsanträge nicht die nötige Mehrheit.

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