Sobotka zu Israel: "Situation und Rolle des Roten Kreuzes ist unerträglich"

"Das wissen wir nicht", sagt Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde IKG im ZiB2-Interview, nachdem Moderator Armin Wolf die Folgen des Krieges in Nahost auf Gaza ausführt. ("... sichert es die Existenz israelischer Bürger, wenn in Gaza 60.000 Menschen - nach allen Studien zwei Drittel davon Zivilisten - getötet werden, Hunderttausende Hunger leiden, 90 Prozent der Gebäude zerstört und zwei Millionen Menschen vertrieben werden.")
Die im Parlament vertretenen Parteien äußerten sich auf KURIER-Nachfrage nicht direkt zu Deutsch, verwiesen allerdings auf bereits öffentlich bekannte Stellungnahmen. Wolfgang Sobotka, ehemaliger Nationalratspräsident (ÖVP), der sich während seiner Amtszeit für den Kampf gegen Antisemitismus stark gemacht hat, sieht im Interview selbst eine intrinsische Motivation gegenüber dem IKG-Präsidenten und in der Forderung nach einem Palästineser-Staat ein immanentes Problem.
KURIER: Das ZiB2-Interview von IKG-Präsidenten Oskar Deutsch fand mehrfach kritische Beachtung ob der Interviewführung von den einen, ob der Aussagen von Deutsch auf der anderen Seite. Deutsch meinte auf mehrfaches Nachfragen von Armin Wolf ob der Hungernden in Gaza: „Wir wissen es nicht“...
Wolfgang Sobotka: Schauen Sie: Die Situation, die sich in Gaza abspielt, ist mehr als komplex. Wenn man sie mit anderen internationalen Krisen vergleicht, so ist sie einzigartig, und zwar allein schon aus der Historie heraus. Was das Interview betrifft: Herrn Wolfs intrinsische Motivation war es, dass der IKG-Präsident die israelische Regierung kritisiert, und dass er sagt, dass es eine Sauerei ist, was dort passiert. Es gibt berechtigte Kritik am Vorgehen der Regierung von Benjamin Netanjahu, aber darum ging es nicht. Es ging darum, den Präsidenten der IKG in Österreich aufs Glatteis zu führen, der für alle Jüdinnen und Juden in Österreich kämpft, anprangert, was permanent in Wien, Tirol oder anderswo passiert.

Nochmals: Deutsch ließ mit seinen Aussagen Zweifel darüber aufkommen, ob er davon ausgeht, dass die Menschen in Gaza hungern.
Wir beziehen alle unser Wissen aus zweiter Hand, von Fernsehanstalten, von Reportern, von NGOs. Es herrscht – wie immer in einem Krieg – ein Informationschaos. Natürlich ist die humanitäre Situation vor Ort schlecht. Mich irritiert, dass man ständig die Frage stellt: Ist es schon eine Hungersnot oder ist es keine Hungersnot? Man muss den Zivilisten auf alle Fälle helfen ihre Lebensbedingungen zu verbessern und schauen, dass sie ausreichend zu Essen haben.
Was ist es für Sie?
Es ist mit Sicherheit eine Situation, in der Druck auf die Bevölkerung ausgeübt wird, damit sie Druck auf die Terrororganisation Hamas ausübt. Es ist nach meiner Information so, dass man den Lieferungen von NGOs nicht traut, weil mit diesen auch immer wieder Waffen geschmuggelt werden, was zudem auch die Terrororganisation Hamas zu ihrem eigenen Vorteil nutzt. Man muss ja viel tiefer fragen: Wir haben sieben Millionen Ukrainer, die aus ihrer Heimat fliehen mussten...
Wir waren bei Nahost.
Die Menschen vor Ort dürfen nicht einmal das, was die UN-Flüchtlingskonvention vorsehen würde, nämlich ins nächste Land flüchten. Weder nach Jordanien noch nach Ägypten. Wir messen immer mit allen Maßstäben, die uns recht sind. Und natürlich bleibt davon ein Amalgam der Grausamkeit über. Wir haben dieses Narrativ seit Herodes: Die Juden, die die Kinder töten. Das spielt alles hinein. Natürlich sterben in Israel und Palästina Kinder, natürlich werden von beiden Seiten Verbrechen begangen – zu beiden Seiten, weil sie leider in jedem Krieg stattfinden. In dieser Situation sich heute zum Richter aufzuspielen, das halte ich für unerträglich. Israel hat nicht nur das Recht sich zu verteidigen – es kämpft gegen den islamistischen Terrorismus, der sich auch bei uns zeigt. Würden die Geiseln freigelassen werden und die Hamas entwaffnet, wäre der Krieg beendet.
Wer spielt Richter? Politiker, Medien, Organisationen?
Ich meine einzelne Repräsentanten, die nicht zum Frieden beitragen. Es geht um die Haltung, die auch Bundeskanzler Christian Stocker immer wieder zum Ausdruck bringt: Es gibt einen Verantwortlichen und einen Aggressor und das ist die Hamas und sonst niemand. Es gibt Verantwortliche, die sitzen in Jordanien, Katar, Ägypten, Gaza und auch in Israel! Wissen Sie, ich frage mich ständig: Warum haben wir den Druck, den wir jetzt mit einer solchen Intensität auf Israel ausüben, nicht auf Katar oder die Finanziers der Terrororganisation Hamas ausgeübt?
Sehen Sie die EU gefordert?
Ich sehe die EU im gesamten gefordert. Ich frage mich: Welchen Palästinenser-Staat will man jetzt anerkennen? Mit welchen Grenzen? In welcher Autorität? Geht es um die Anerkennung von Mahmoud Abbas, der seit über 26 Jahren keine Wahlen durchgeführt hat? Für einen Staat brauchen Sie eine Regierung, wenn alle schon die Konvention von Montevideo von 1933 zitieren, in dem man sich in ganz anderem Zusammenhang darauf geeinigt hat, unter welchen Bedingungen ein Staat anzuerkennen ist: Unter welchen Bedingungen erkennen wir wen an? Wo ist die Regierung, die das bewerkstelligen soll?

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie Frankreichs Präsident Macron und anderen, die Palästina als Staat anerkennen wollen, Populismus unterstellen?
Populismus? Ich will nicht mit der gleichen Haltung darauf antworten, weil man immer Gefahr läuft, unsauber in der Argumentation zu werden. Ich halte die Situation und Rolle des Roten Kreuzes für unerträglich. Man hat die Geiseln zwei Jahre lang nicht besucht, man hat das Rote Kreuz in seiner Verantwortung, den Geiseln zu helfen, nie herausgefordert. Die UNO kann ich in diesem Fall gar nicht ernst nehmen, obwohl ich sie sonst als wesentliche Organisation ansehe.
Präzisieren Sie Ihre UN-Kritik?
Man verurteilt Israel stärker als alle undemokratischen Schurkenstaaten dieser Welt und in einem viel höheren Maße. Die Anti-Defamation League (Anm. Organisation gegen Antisemitismus und Diskriminierung) hat klar gemacht, dass viele Staaten aus Staatsräson eine antizionistische und antisemitische Einstellung haben. Daher ist es eine Verurteilung Israels in der UNO leicht zu halten. Man muss sich fragen, warum die UNO eigentlich zugeschaut hat, als Tunnel gegraben wurden? Dabei zugeschaut, dass die Charta der Hamas ganz klar formuliert, die Existenz Israels nicht anzuerkennen und Juden zu töten? Was hat denn die UNO dort zum Frieden stiftenden Werk beigetragen? Zur Aussöhnung? Jetzt das erste Mal haben die arabischen Staaten – und das begrüße ich sehr – klar gesagt, es darf die Hamas nicht mehr geben. Es darf kein Terrororganisation geben, denn das ist der einzige Weg, Waffenstillstand und eine Gesprächssituation mit den dort ansässigen Ethnien herbeizuführen und so langfristig zu einem Friedensprozess beizutragen.
Spricht die österreichische Regierung derzeit was Israel und Palästina betrifft, mit einer Stimme?
Für mich ist die Autorität in dem Fall der Kanzler, weil er für die Regierung spricht. Seine Aussagen erscheinen mir vor allem aufgrund unserer historischen Verantwortung und wegen der geopolitischen Notwendigkeiten sehr ausbalanciert. Er versucht, erst klar hinzuhören, sich ein Bild zu machen und erst dann ein Urteil zu bilden. Hören wir doch auf mit diesen Aufreger-Situationen, sondern versuchen wir, uns mehr in der Analyse und in konsequentem Handeln.
Das heißt im Umkehrschluss: Andere Regierungsmitglieder tun das nicht?
Der Kanzler macht sehr klar, woran wir uns orientieren sollten.
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