Vor der Wahl 2019 war Maurer bei der ÖVP offenbar noch schlechter angeschrieben als Herbert Kickl. Den umstrittenen Ex-FPÖ-Innenminister akzeptierten die Türkisen erst nach 18 Monaten gemeinsamer Regierungszeit nicht mehr.
„Die Verwandlung ist bemerkenswert, und in dieser Dimension hätte ich es nie erwartet“, sagt auch Politikanalyst Thomas Hofer. Maurer, die einst als ÖH-Chefin wegen einer Flugzettelaktion im Parlament Hausverbot bekam, erweist sich nach einem Jahr türkis-grüner Koalition neben Vizekanzler Werner Kogler als wichtigster Stabilitätsfaktor für die Regierung. Egal, ob es um die Stornierung der Hacklerregelung geht, das Anti-Terror-Paket oder die beinharte Haltung der ÖVP in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Moria – Maurer macht der ÖVP die Mauer.
„Für die ÖVP ist Maurer vom Saulus zum Paulus oder, gegendert gesagt, von der Saula zur Paula geworden“, formuliert es Politikberater Hofer zynisch. Die Linken empfinden es umgekehrt und bescheren der neuen Buhfrau fast im Wochentakt einen Shitstorm. Der in der Wolle gefärbte linke Autor und Blogger Robert Misik belustigte sich erst kürzlich auf Twitter, dass ihm ausgerechnet Maurer vor einigen Jahren vorgeworfen habe, „zu wenig links zu sein“.
Die öffentlich gelebte Harmonie zwischen Maurer und Wöginger bewertet Politikinsider Hofer als gefährlich – vor allem aber für die Grünen. „Hier mutet man den grünen internen Anspruchsgruppen wie NGOs einfach zu viel zu. Maurer übererfüllt ihren Job im Moment“, warnt Hofer. Er erinnert an eine ähnliche Konstellation vor rund 20 Jahren – damals zogen ÖVP-Klubobmann Andreas Khol und sein FPÖ-Gegenüber Peter Westenthaler wie ein Trachtenpärchen durch die Politlandschaft. „Khol inszenierte sich als väterlicher Freund von Westentaler. Das führte zu großem Misstrauen gegenüber dem Regierungsteam“, erinnert Hofer.
Ehemalige Grün-Abgeordnete ätzen sogar, dass die schockierende Entpuppung der Sigi Maurer stattfinde. „Aus dem Kokon steigt eine Politikerin, die man nicht erwartet hätte. Es geht ihr nur um ihre Persönlichkeit, aber nicht um Feminismus oder Abschaffung von sozialen Ungerechtigkeiten. Wegen jedem Wort stand man früher vor dem Maurer-Tribunal. Bei der neuen Kultur der Verbote von Kurz und Nehammer fühlt sich Sigi nun offenbar zu Hause“, geht ein grünes Urgestein mit Maurer ins Gericht.
Doch was schweißt Wöginger und Maurer zusammen? Immerhin lebt Wöginger, der im Wahlkampf Eltern am Land davor warnte, dass ihre Kinder in Wien zu Grünen werden könnten, ein Lebensmodell, das für Maurer unverstellbar ist. Wögingers Ehefrau managt die Familie mit drei Kindern, er macht Karriere in Wien. Wöginger liebt das Landleben, sie flüchtete aus Tirol.
In der ÖVP erzählt man sich, dass „der Gust die Sigi überraschte, weil er ihr ohne Vorurteile und auf Augenhöhe begegnete“. Er schaffte es, jegliches Misstrauen zu nehmen. So folgten einige amüsante After-Work-Meetings in den Räumlichkeiten des Parlaments, sodass Maurer Wöginger sogar bald einmal in seiner ländlichen Heimat besuchen will. Für Maurer eine Reise „back to the roots“.
Aber noch ein Faktor ist, laut Politikinsider Thomas Hofer, entscheidend. Der plötzliche Rauswurf der Grünen aus dem Parlament 2017 sitzt den Grünen noch tief in den Knochen. "Das ist ein Traumata. Und nach der Wien-Wahl haben die Grünen nochmals erlebt, wie schnell von der Macht weg sein kann". Das zähmt offenbar selbst ehemalige Revoluzzer.
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