"Ich bin liberal und christlich-sozial"

Was wäre von einem Kanzler Sebastian Kurz zu erwarten? Was würde er ändern, was bewahren?

Die Umfragen sehen ihn im Rennen um das Kanzleramt als Favoriten. Aber was würde Sebastian Kurz tun, wenn er nach dem 15. Oktober tatsächlich Regierungschef würde? Über sein Programm ist bisher kaum etwas bekannt, über sein Weltbild wird mehr gemutmaßt als gewusst.

In Form eines Problemaufrisses gewährt Sebastian Kurz erstmals Einblick, wo er drängenden Handlungsbedarf in Österreich sieht. Er nennt vorrangig die drei Bereiche Wirtschaftsstandort, Sozialpolitik und Zuwanderung.

"Wieder an die Spitze"

"Die Zeiten, als Österreich das bessere Deutschland war und europaweit die niedrigste Arbeitslosigkeit hatte, sind leider vorbei", sagt Kurz. Österreich habe jedoch "alle Voraussetzungen, wieder an der Spitze zu stehen". Und das will Kurz mit einer niedrigeren Steuer- und Abgabenquote und weniger Bürokratie erreichen. Er nennt ein Beispiel, was geändert gehöre: "Ein Automechaniker in Wien muss fast neun Stunden arbeiten, bis er sich eine Stunde eines Installateurs leisten kann, also eine Dienstleistung von jemanden mit vergleichbarer Qualifikation."

In Österreich würde den Leuten zu viel Geld in Form von Steuern und Abgaben weggenommen, um es dann als "Zuckerl" wieder zurückzugeben. Kurz: "Damit hält man Leute in Abhängigkeit. Von ihrer harten Arbeit bleibt den Leuten zu wenig übrig, sie können sich zu wenig aufbauen." Kurz will gegen den Kreislauf von Steuern einheben und als Förderungen wieder ausschütten "eine Gegenbewegung starten".

Bei Steuern und Abgaben geht es Kurz nicht nur um ein Senken der Quote – ein Richtwert sind die 40 Prozent in Deutschland gegenüber den 43,4 Prozent derzeit in Österreich. Er will auch Regeln vereinfachen. So kritisiert er, dass es in den vergangenen 16 Jahren 422 Novellierungen des Steuerrechts-Kodex gegeben habe.

Das Thema Soziales wird im Wahlkampf eine große Rolle spielen. Eine der Hauptkampflinien der SPÖ zeichnet sich bereits ab (siehe Artikel unten): Sie will Kurz als kaltschnäuzigen Schnösel darstellen, der den Armen das Geld wegnimmt.

Solidarprinzip richtig

Kurz beschreibt im Gespräch mit dem KURIER sein Verhältnis zum Sozialstaat so: "Ich bin liberal und christlich-sozial. Ich halte den Solidargedanken für grundrichtig, dass wir Lebensrisiken gemeinsam absichern."

Für "das Furchtbarste überhaupt" hält Kurz die Altersarmut. Warum? "Weil man im Alter nichts mehr ändern kann, da ist alles schon passiert. Man kann selbst nichts mehr tun."

Vordringlich ist daher für ihn, ein Pflegesystem zu schaffen, das Altern in Würde ermögliche. Dazu gehöre auch mehr Augenmerk auf Gesundheitsvorsorge. Bei der Finanzierung der Pflege will Kurz ebenfalls auf den Grundsatz der Solidarität, auf dem das Sozialsystem aufgebaut ist, zurückgreifen.

Seine Kritik am derzeitigen Sozialstaat formuliert Kurz so: "Viele reden den Sozialstaat schön. Die Wahrheit ist, dass wir für Soziales mehr ausgeben als fast jedes andere Land der Welt, aber mit den Ergebnissen nicht zufrieden sein können." Trotz der hohen Ausgaben gebe es Armut und "gerade in Wien" Zwei-Klassen-Medizin und Gangbetten in den Spitälern.

Im Prinzip will Kurz den Staat auf das reduzieren, wofür man ihn braucht, und das soll er in besserer Qualität leisten, als es jetzt mitunter der Fall ist. Kurz: "Der Staat soll das leisten, was er leisten muss, aber nicht so tun, als sei er für alles und jedes zuständig."

Früh fördern

Das Sozialsystem könne nur funktionieren, wenn möglichst viele einzahlen, sagt Kurz. In diesem Zusammenhang sei das Vermitteln der Grundkompetenzen Lesen und Rechnen im Schulsystem besonders wichtig. Mehr als acht Prozent der 16- bis 24-Jährigen habe weder eine Ausbildung noch eine Beschäftigung, bei Migranten-Jugendlichen erster Generation liege der Prozentsatz sogar bei knapp 20. Kurz: "Die Zahl jener, die aus dem System fallen, muss kleiner werden." Ein großes Problem ortet Kurz in dem Umstand, "dass es viele Kinder gibt, die von zu Hause null Support haben". Frühkindförderung in Kindergarten und Volksschule sei gerade für diese Kinder essenziell.

Streitpunkt mit SPÖ

Eine Trennlinie zur SPÖ stellt Kurz’ Ansicht dar, dass das Sozialsystem durch Zuwanderung gefährdet würde. Kurz: "Die Migrationskrise seit 2015 zeigt, dass Menschen durch sichere Staaten wandern, nicht mehr auf der Suche nach Schutz, sondern nach einem besseren Leben in Mitteleuropa. In Wien leben 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung, aber 56 Prozent der Mindestsicherungsbezieher." Die "Zuwanderung ins Sozialsystem" will Kurz verhindern.

Als dritten Handlungsbereich nennt Kurz das Drosseln der Zuwanderung. Integration vor Neuzuzug und Hilfe vor Ort statt Migration lautet die Grundlinie. Kurz: "Die Flüchtlingskrise ist nicht vorbei, nur weil der ORF die Bilder nicht mehr zeigt. Es kommen immer noch viel zu viele illegal nach Europa und speziell nach Österreich."

Weniger Regeln

Generell, sagt Kurz, sei er ein Anhänger von "weniger Regeln, aber die seien dafür einzuhalten". Derzeit gebe es im Kleinen einen Wust an Vorschriften, während sie bei den großen Problemen fehlen. Kurz: "Wir schreiben zwar Allergene auf die Speisekarten, aber es dürfen Zuwanderer ohne Regeln durch Europa ziehen, oder Staaten die Maastricht-Regeln brechen, und jeder schaut weg."

Kurz will seine Vorstellungen ab Mitte Juni mit Praktikern und Experten diskutieren. Das Format wird "Österreich-Gespräche" heißen. Anfang September, zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs, wird das fertige Programm präsentiert.

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