Warum der Kanzler vom "Fels in der Brandung"-Effekt profitiert
Auf den ersten Blick war im Ministerratsfoyer alles wie immer: Der Kanzler kam – wie immer – im dunkelblauen Anzug; er trug – wie immer – ein weißes Hemd; und dazu gab’s – wie fast immer – eine dezent graue Krawatte. Ehe Sebastian Kurz zu sprechen begann, bog er sich noch das Steh-Mikrofon zurecht. Ein routinierter Griff, auch das macht er eigentlich immer.
Damit hatte es sich an diesem Mittwoch dann aber auch schon wieder mit dem „Alles, wie gehabt“.
Denn abgesehen von den erwähnten Äußerlichkeiten war nichts, aber auch gar nichts wie sonst. Vor allem was der Regierungschef an diesem sonnigen Märztag im Bundeskanzleramt verlautbarte, hatte vor ihm kein Kanzler so gesagt: 38 Milliarden Euro will die Bundesregierung in die Hand nehmen, um der Corona-Krise zu begegnen.
Es ist der dritte Tag im Ausnahmezustand. Und abgesehen davon, was der Kanzler und das Regierungsteam beschließen und erklären, zählt in so prekären Zeiten auch: Wie tun sie es?
Ist die Rhetorik angemessen und treffsicher? Gelingt es, die wichtigsten Botschaften zur richtigen Zeit über die Rampe zu bringen?
Eine, die sich seit Jahrzehnten mit Rhetorik und Sprache beschäftigt, ist Tatjana Lackner. Lackner ist Kommunikationsexpertin, Leiterin der „Schule des Sprechens“, und sie befindet sich derzeit gerade in Australien in Corona-Quarantäne. Auch oder gerade deshalb hat sie einen distanzierten Blick darauf, wie einzelne Staatschefs versuchen, beides zu schaffen, nämlich: in der Krise zu beruhigen und der Bevölkerung dennoch den Ernst der Lage zu vermitteln.
„Im Vergleich zu einem Donald Trump oder Australiens Regierungschef Scott Morrison wählt Kurz eine Sprache, die selbst für Kritiker durchaus angenehm ist“, sagt Lackner im Gespräch mit dem KURIER.
Kurz’ Rhetorik vermittle vor allem „Klarheit“ und „dass hier Menschen am Werk sind, die nicht herumrudern oder behaupten, Dinge zu wissen, die derzeit niemand wissen kann“.
Schlüsselwörter
Rhetorisch, und damit ist man bei den handwerklichen Details, flechten der Kanzler und auch andere Minister immer wieder Schlüsselbegriffe in ihre Reden ein.
„Ausdrücke wie ‚humanitärer Korridor‘ oder ‚Instrumentenkoffer‘ sind wohl überlegt und an der richtigen Stelle platziert“, sagt Lackner.
Und natürlich verstehe sich Sebastian Kurz auf Anaphern, also auf das Wiederholen von Wörtern oder ganzen Satzteilen. Er beginnt einen Satz mit: „Bitte seien Sie nicht enttäuscht, wenn …“ und startet in den nächsten mit: „Bitte seien Sie nicht der Ansicht, dass …“. Einfache Wiederholungen, die direkte Ansprache der Zuhörer – all das gehört dazu, will man verstanden werden.
Und gerade in Zeiten wie diesen kann und will es sich kein Kanzler leisten, nicht verstanden zu werden.
Für den früheren ORF-Moderator und Mediencoach Gerald Groß gibt es zwei Wörter, die bei Kurz’ Auftritten momentan zentral sind: Emotion und Empathie.
So sagte Kurz gleich zu Beginn seiner 38-Milliarden-Euro-Rede: „Diese Krise wird für viele Menschen Krankheit, Leid und für einige auch den Tod bedeuten.“
„Damit schafft er rasch Aufmerksamkeit und die Bereitschaft zuzuhören“, analysiert Experte Groß.
Das weitere Schema sei dann immer ähnlich: Nach der Emotion komme die Empathie („Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es nicht so schnell geht!“). Und schließlich gelte es mit Sätzen wie „Koste es, was es wolle!“ in die „Rolle des Machers“ zu wechseln.
Variantenarmut
Was die Körpersprache angeht, hat Groß einen bemerkenswerten Befund: Was dem Kanzler sonst als Defizit angekreidet werden könnte, nämlich eine „gewisse Steifheit im Auftritt und die Variantenarmut in der Mimik“, sei nun auf seiner Haben-Seite.
Groß nennt das den „Fels in der Brandung“-Effekt, sprich: manchmal ist es besser, wenn sich möglichst nichts ändert. Dazu gehöre auch das „uniforme Outfit“. Und damit ist man wieder beim dunkelblauen Anzug, dem weißen Hemd und der dezenten Krawatte.
Kommentare