Schmutz-Wahlkampf hilft Blau, Grün, Neos und Pilz

Kern und Kurz lieferten sich auf Puls 4 harte Bandagen.
Im jüngsten TV-Duell inszenierten sich sowohl Christian Kern als auch Sebastian Kurz als Opfer von verdeckten Angriffen. Sicherer Nutznießer, sagen Experten, ist die Opposition.

Beim ersten Duell zwischen den beiden Spitzenkandidaten Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) wähnten sich beide als Opfer der Schmutzkübel-Kampagne in diesem Wahlkampf.

Erzürnt zischte Kern in der TV-Debatte auf Puls 4 Sonntagabend inmitten der hitzigen Debatte über die Rolle von Tal Silberstein seinem Gegenüber folgenden Satz zu: "Tun Sie nicht so, als wären sie das Opferlamm, Herr Kurz." . . . "Das glaubt ihnen doch niemand, dass sie das Opfer sind." Wenige Sätze und Sekunden später kontert Kurz: "Es geht nicht darum, dass ich das Opfer bin." . . . "Sie (die SPÖ) haben das Klima in Österreich vergiftet."

Für den Politologen Fritz Plasser ist es "nicht überraschend" und durchaus "erwartbar", dass die beiden Spitzenkandidaten im Finale des Wahlkampfes in die Opferrolle schlüpfen.

Geteilte Verantwortung

Das Narrativ, die Erzählung, Opfer des jeweils anderen zu sein, hört sich von Christian Kern und Sebastian Kurz allerdings unterschiedlich an: Kern betrachtet sich als Opfer, weil er damit nicht Auslöser des Dirty Campaigning und des Wahlkampf-Debakels sein wolle. "Er inszeniert mit der Opferrolle die Teilung von Schuld und Verantwortung", erklärt der Politikwissenschafter gegenüber dem KURIER. Dahinter stecke die taktische Überlegung: "Wir haben den Schaden, die anderen sind schuld."

Laut Plasser sieht sich auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz in einer Opferrolle. "Persönlich wurde mir über Monate übel mitgespielt", lautet seine Erzählung. "Wir, die ÖVP, sind das Opfer", ist seine Botschaft.

Ob diese Opfer-Strategie den beiden Kandidaten zum Schaden oder zum Nutzen gereicht, das kann Plasser aus "Mangel an empirischen Hinweisen" nicht klar beantworten". Über eines ist er sich jedoch im Klaren: "Die Schlammschlacht führt dazu, dass das fortgeschrittene Misstrauen in die Politiker weiter Nahrung erhält."

Debatte nützt FPÖ

Für Anton Pelinka, den an der internationalen Central European University in Budapest lehrenden Professor, sind "objektiv Kern und Kurz Opfer". Für ihn ist es freilich "in erster Linie Kern und die SPÖ, die nun als indirekte Verursacher und damit auch indirekt Verantwortliche für ein gegen Kurz gerichtetes Dirty Campaigning dastehen", erläutert Politologe. Sein Fazit: "In diesem Sinne nützt diese ganze Debatte zuallererst den Freiheitlichen."

Keine Frage, auch für Pelinka ist Kurz "ein Opfer, der aus seiner Opferrolle wahrscheinlich kaum Nutzen gewinnen kann. Er steht nun auch als Verantwortlicher für ein dubioses, kaum durchschaubares Doppelspiel mit Agenten und Beratern da".

Pelinka wird den Eindruck nicht los, dass die Parteispitzen von Schwarz und Rot "alles, was sie belasten könnte, durch ein ’Outsourcing’ (in diesem Fall Auslagerung von Schuld und Verantwortung) von sich abgeschoben haben, um ihre Hände im Falle des Auffliegens in Unschuld waschen zu können".

Der Universitätsprofessor ist überzeugt, dass das Aufdecken dieser Umstände in demokratischen Systemen erfolgreich sei. Dennoch: "Der Ruf der Politik in der Demokratie wird durch Dirty Campaigning trotzdem beschädigt."

Sowohl Plasser als auch Pelinka sind sich einig, dass der schmutzige Wahlkampf den kleineren Parteien nicht oder kaum schaden werde. Ob der Skandal ihnen aber auch nützt? Auf diese Frage sagt Pelinka: "Vermutlich ja."

Auch sein Professoren-Kollege Plasser geht davon aus, dass Grüne, Neos und die Liste Pilz eine "leichte Verstärkung" erfahren könnten. Um die Vier-Prozent-Hürde, die für de Einzug in den Nationalrat erforderlich ist, zu überspringen, wäre dieser Anschub hilfreich. Die traditionellen Parteien, ÖVP und SPÖ, werden für die Schlammschlacht aber "ihren Preis zahlen", glaubt Plasser.

Gänzlich offen ist für ihn, ob die Causa Silberstein eine Auswirkung auf die prognostizierte höhere Wahlbeteiligung als 2013 haben werde (2013 nahmen 74,9 Prozent der stimmberechtigten Bürger an der NR-Wahl teil) und ob es einen "Solidarisierungseffekt" mit Sozialdemokraten und Volkspartei geben werde.

TV-Duelle geben Impuls

Plasser schätzt, dass die TV-Debatten in den kommenden Tagen und die Elefantenrunde am Donnerstag jenen Wählern eine "letzte Orientierungshilfe" und einen "letzten Impuls" geben könnten, die zuletzt auf Distanz zu ihren bisher favorisierten Parteien gegangen sind.

Insgesamt, resümiert, der Politikwissenschafter, "haben die Massenmedien, Fernsehen, Radio und Print, in diesem Wahlkampf unglaubliches Interesse bei den Bürgern ausgelöst und die Bereitschaft, an der Wahl teilzunehmen, gestärkt".

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