Regierung begeht papierene Hochzeit mit Misstönen
Der erste Lacher des Vormittags gehört Heinz-Christian Strache, und das kam so: Gemeinsam mit Regierungschef Sebastian Kurz hat der Vizekanzler in die Hofburg geladen, im Duett ziehen die Koalitionspartner Bilanz.
Ein gutes Jahr ist die türkis-blaue Bundesregierung mittlerweile im Amt, man hat vieles „auf Schiene gebracht“, wie sie sagen.
Und weil die „papierene Hochzeit“ (Strache) ein trefflicher Anlass ist, einen Rück- und Ausblick zu machen, stehen Kurz und Strache nun auf einer beflaggten Bühne im Dachgeschoß der Hofburg und bilanzieren über ihre Leistung. Oder genauer: Sebastian Kurz bilanziert.
Jahresbilanz von Bundeskanzler Sebastian Kurz
In einer dichten Viertelstunde fasst der Kanzler das Geschaffte zusammen – von der „Trendumkehr beim Budget“ über den Familienbonus bis hin zur Reform der Sozialversicherungen.
Als wär’ das nicht genug, referiert der ÖVP-Boss auch gleich die zentralen Schwerpunkte für das kommende Jahr: die Steuerreform, eine umfassende Pflegelösung 90 und die Digitalisierungsoffensive.
Ist damit alles gesagt?
Eigentlich: ja.
Dem Vizekanzler bleibt solcherart nur die Ebene des Zwischenmenschlichen und Atmosphärischen. Und dazu gehört – jetzt ist man beim Lacher – eben auch der Spaß.
„Wir sind im vergangenen Jahr ja beide sichtlich jünger geworden“, sagt Heinz-Christian Strache am Beginn seiner Ausführungen. In der zweiten Reihe wiehert eine Zuhörerin daraufhin so laut los, dass ihr Sitznachbar indigniert den Kopf schüttelt.
Für Reibung zwischen Kurz und Strache sorgt Niederösterreichs freiheitlicher Landesrat Gottfried Waldhäusl. Immer wieder fragen die Journalisten Kanzler und Vizekanzler nach einer Ablöse des umstrittenen Niederösterreichers. Kurz und Strache antworten, was ihre jeweilige Position gebietet: Der ÖVP-Chef steht auf der Seite seiner Landeshauptfrau; Strache verteidigt seinen irrlichternden Parteifreund. Eine gemeinsame Linie? Die geht sich nicht aus, nicht bei dem Thema.
Dann passiert Kurz ein Freud’scher Lapsus: Er mixt die Affären Landbauer und Waldhäusl zum Fall „Landhäusl“.
Wander-Uni
Dissonanzen gibt es auch um die von US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU). Während Strache die CEU eine „ Wanderuniversität“ schimpft und damit zu erkennen gibt, dass er de facto die selbe Position wie Viktor Orban einnimmt, verteidigt Sebastian Kurz die Übersiedlung der CEU nach Wien: Das sei jedenfalls eine „positive Bereicherung“ für den Forschungsstandort.
Die Oppositionsparteien tun an diesem Tag das Erwartbare: Sie kritisieren Türkis-Blau in allerlei Facetten. Diverse NGOs und Umweltorganisationen listen Versäumnisse auf, vor allem beim Klimaschutz.
Am schärfsten gibt sich die Krebshilfe bzw. ihr Präsident Paul Sevelda. Sevelda kann bis heute nicht verstehen, dass die ÖVP der FPÖ nachgegeben und das absolute Rauchverbot in der Gastronomie wieder aufgegeben hat. „Diese ,Morgengabe’“, sagt Sevelda, „kostete im ersten Jahr der Regierung bereits 1000 Menschen das Leben durch Passivrauchen.“
Ein unerhört harter Satz. Ob er Kurz und Strache beeindruckt? Wohl kaum.
Wie sagt der Regierungschef beim Bilanz-Gespräch: „Ich bin es gewohnt, mit einer nicht so positiven Kommentierung zu leben – genauso wie mit einer positiven.“
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