Rassistische Klischees gegen Männer

Junge Männer flüchten, weil sie weder töten noch sterben wollen.
Nehmen wir zu viele junge Männer auf? Feministinnen geben Antworten auf ein emotionales Thema.

Frauen und Kinder? Ja, fast jeder ist dafür, sie aufzunehmen. Aber Männer? Maximal noch als Familienväter. Ansonsten scheinen Männer als Menschen zweiter Klasse zu gelten – besonders junge Alleinstehende sind mit Vorurteilen konfrontiert. Sie gelten als gewaltbereit, auch in sexueller Hinsicht. Inkonsequenterweise wird ihnen oft vom gleichen Personenkreis unterstellt, "feig" zu sein, weil sie nicht zu Hause bleiben und "kämpfen".

Ist das Flüchtlingsthema allgemein schon polarisierend, so ist die Debatte über flüchtende Männer besonders aufgeladen. Zuletzt war das beim ORF-Bürgerforum zu beobachten, als eine Frau im Publikum ihren Vorurteilen über junge Männer freien Lauf ließ.

Manche Bedenken haben auch ihre Berechtigung. Viele Flüchtlinge stammen aus Gegenden, in denen sich noch nicht herumgesprochen hat, dass Frauen gleichwertige Menschen sind. Manche Männer sehen in Europa erstmals eine Frau am Steuer sitzen. Der KURIER bat vier Feministinnen – die Politikerinnen Eva Glawischnig und Irmtraut Karlsson, die Journalistinnen Elfriede Hammerl und Antonia Rados – um ihre Meinung zu jungen, alleinstehenden Asylwerbern und zum Import von Machismo.

Zu den Fakten: Es stimmt, dass in Österreich und Deutschland mehr Männer um Asyl ansuchen als Frauen. Aber das Ungleichgewicht ist nicht so groß, wie manche annehmen mögen – es verschieben sich die Quantitäten von alleinstehenden Männern zunehmend in Richtung Familien. Laut den letzten Statistiken sind unter den Asylwerbern in Österreich 40 Prozent Männer, 25 Prozent Frauen und 35 Prozent jünger als 18.

"Mit Familiennachzug mehr Frauen helfen"

Rassistische Klischees gegen Männer
Elfriede Hammerl
KURIER: Frau Hammerl, ist es gerechtfertigt, sich gegen alleinstehende männliche Flüchtlinge zu stellen und ihnen – auch sexuelle – Gewaltbereitschaft zu unterstellen?

Elfriede Hammerl: Männliche Flüchtlinge generell als tickende Testosteronbomben zu sehen, wäre sexistisch. Dass sie der Rekrutierung für Assad oder den IS entkommen wollen, spricht ja eher gegen eine Gewaltbereitschaft ihrerseits. Und von ihnen, wie es immer wieder geschieht, zu verlangen, sie sollten "die Heimat verteidigen" oder "ihr Land aufbauen", ist Zynismus pur.

Ist es legitim zu sagen: Frauen und Kinder zuerst, Männer sind weniger schützenswert?

Asyl ist ein Menschenrecht, es kann Männern aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht verweigert werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob dieses Menschenrecht vor allem den Starken, Durchsetzungsfähigen zusteht. Weltweit sind nämlich genau so viele Frauen wie Männer auf der Flucht. Sie schaffen es nur seltener nach Europa, nicht zuletzt, weil es ihnen an finanziellen Ressourcen fehlt. In den Lagern, in denen sie unterkommen, sind sie keineswegs in Sicherheit oder gut versorgt. Hilfsorganisationen sprechen bereits von "Asyldarwinismus", der zur Folge habe, dass Frauen auch als Flüchtende benachteiligt sind.

Was kann man dagegen tun?

Es wäre dringend nötig, bei der Gewährung von Asyl ausreichend Frauen zu berücksichtigen, zum Beispiel, indem man den Familiennachzug fördert statt blockiert. Das würde zu einer Geschlechterparität bei den Zuwandernden beitragen und akzeptable demografische Verhältnisse schaffen.

"Für Assad sterben will kaum jemand"

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Berlin/ ARCHIV: Die Journalistin Antonia Rados, aufgenommen im Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin (Foto vom 13.12.11). Die Fernsehreporterin Antonia Rados wird am Samstag (14.09.12) in Mainz mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis fuer Publizistik ausgezeichnet. Die Auslandschefreporterin des Senders RTL wird damit fuer ihre Berichte ueber die Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen geehrt. Rados habe mit ihren Berichten "die Fratze des Krieges aufgezeigt, nicht ohne uns mitten im Getuemmel auch auf das Menschliche, das Verbindende hinzuweisen", heisst es in der Begruendung der Jury. (zu dapd-Text) Foto: Paul Zinken/dapd
Antonia Rados über Hintergründe der Massenflucht

Seit dem Sommer verlassen massenweise junge Männer Syrien – zur Freude von Präsident Assad. Im Frühjahr 2015 begann sein Regime, auf den Straßen gezielt junge Männer zu kontrollieren. Hatte einer den Wehrdienst noch nicht hinter sich, wurde er festgenommen. So versuchte das angeschlagene Regime, Soldaten zu rekrutieren. Bisher waren Studenten vom Wehrdienst, der eineinhalb bis zwei Jahre dauert, ausgenommen. Nach beinahe fünf Jahren Krieg wird nun jeder an den Fronten gebraucht. Für Assad sterben will heute jedoch kaum jemand mehr. "In Damaskus", so eine Syrerin, "sieht man keine jungen Männer mehr. Wer kann, versteckt sich oder besorgt sich so schnell wie möglich einen Pass und flieht nach Europa."

Bei Gesprächen mit Flüchtlingen merkt man schnell: Die meisten jungen Syrer stammen aus Städten wie Damaskus, Latakia oder Homs – Hochburgen des Assad-Regimes.

Anders als noch vor einem Jahr lässt Assad nun jedem bereitwillig Reisepässe ausstellen. 400 bis 500 Euro kostet ein Pass, doppelt so viel wie früher. Damit schlägt Assad mehrere Fliegen mit einer Klappe: Er hält Fahnenflüchtige nicht auf – auf solche Leute kann er sich ohnehin nicht verlassen. Zugleich füllt er seine leeren Staatskassen. Überhöhte Pass- und sonstige Gebühren sollen inzwischen die erste Einnahmequelle des Assad-Regimes sein.

Es wäre nicht das erste Mal, dass zynische Diktatoren missliebige Bürger auf diese Art loswerden: Fidel Castro ließ in den 1980er-Jahren mehr als 120.000 Kubaner in die USA ziehen. Chiles General Pinochet benutzte dieselbe Methode, um Gegner loszuwerden.

Wer sind nun die Schuldigen – die jungen Männer oder die Diktatoren?

"Man schickt die voraus, die es schaffen"

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Die Studienautorin Irmtraud Karlsson gibt ein Interview zum Thema Missbrauchsfälle Wilheminenberg
KURIER: Frau Karlsson, sind unter den Flüchtlingen zu viele Männer?

Irmtraut Karlsson: Flucht ist teuer. Daher werden die auf die Reise geschickt, von denen die Familien annehmen, dass sie durchkommen, etwas aufbauen können, um die anderen nachzuholen. Es war immer schon so, auch bei den Auswanderern aus Europa in die USA, dass man die jungen Männer vorausschickte.

Sehen Sie ein Problem mit "zu vielen Männern"?

Bei uns sind die Männer verunsichert, weil die Krise noch nicht vorbei ist, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit zunehmen, und der Aufstieg nicht mehr gesichert ist. Auf diese verunsicherten Männer treffen die Flüchtlinge, die etwas aufbauen wollen. Da entstehen die Probleme, Sexualneid und erfundene Geschichten.

Importieren wir neuen Machismo?

Das haben wir schon in der Vergangenheit gemacht mit den Arbeitern, die wir hergeholt und gesellschaftlich allein gelassen haben. Es gibt die machistische Parallelwelt schon.

Kann mit den Flüchtlingen eine kritische Masse erreicht werden, sodass feministische Erfolge zurückgedreht werden?

Nicht durch die Flüchtlinge, denn die dürfen eh nicht wählen. Die Gefahr geht von den Rechten aus. Die Flüchtlinge sind eine fokussierte Gruppe, auf die man den Anti-Feminismus projiziert. Die erstarkte Rechte trägt ihre Hetze in die von der Krise gebeutelten Wähler hinein. Die anderen Parteien rücken dann auch nach rechts. Sogar die Grünen haben zuletzt ein Hearing abgehalten, bei der sie die Fristenlösung relativiert haben.

"Junge Männer sind besonders gefährdet"

Rassistische Klischees gegen Männer
Grünen-Chefin Eva Glawischnig
KURIER: Frau Glawischnig, eine Frau hielt Ihnen beim ORF-Bürgerforum vor, Österreich nehme zu viele junge Männer auf, die "besondere Bedürfnisse" hätten.

Eva Glawischnig: Dieser Satz war erschreckend. Es ist ein rassistisches Klischee, wonach ausländische Männer ein unkontrolliertes Sexualverhalten hätten.

Nehmen wir zu viele Männer auf?

Junge Männer sind besonders gefährdet, weil es Milizen beim Rekrutieren auf junge Männer abgesehen haben. Die Männer, die zu uns fliehen, wollen sich offenkundig nicht von der Assad-Armee oder dem IS für deren Grausamkeiten einspannen lassen. Kürzlich hat die Frankfurter Allgemeine die Flüchtlinge in Deutschland als "Friedensbewegung der jungen Syrer" bezeichnet.

Ist es gerechtfertigt zu sagen: Frauen und Kinder zuerst, Männer sind weniger schutzbedürftig?

Sicher sind Kinder besonders schutzbedürftig. Aber wann ist jemand ein Kind, wann ein junger Mann? ? Ab 14? Ab 16? Wirklich unterrepräsentiert bei den Flüchtlingen sind Frauen. Für sie ist der Fluchtweg besonders gefährlich, sie sind auf den Schlepperrouten sexuellen Übergriffen ausgesetzt.

Importieren wir neuen Machismo?

Es gibt Unterschiede, in Syrien war die Gesellschaft breit gefächert, vom Minirock bis zum Schleier. Aber ja, es besteht diese Gefahr, wir dürfen da keinen Millimeter nachgeben. Wir müssen auf Regeln hinweisen, bei Verstößen zurechtweisen, Zivilcourage zeigen. Das gilt übrigens nicht nur bei Zuwanderern, auch der eine oder andere ÖVP-Abgeordnete würde eine Werteschulung vertragen.

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