Raidl mahnt sofortige Reformen ein

„Trotz der höchsten Steuereinnahmen steigt die Staatsschuld und wir haben ein Defizit.“
"Nichtstun wäre Armutszeugnis": Der Nationalbankpräsident warnt die Regierung, die EU-Mahnungen zu ignorieren.

Der vom Finanzminister schamvoll versteckte Briefverkehr mit Brüssel macht deutlich: Die EU zweifelt daran, dass Österreich seine Budgetkonsolidierung mit dem nötigen Ernst betreibt.

Der Präsident der Nationalbank, Claus Raidl, nimmt die Mahnungen der EU zum Anlass, von der Regierung Taten einzufordern.

KURIER: Herr Präsident, die Regierung scheint die Mahnungen aus Brüssel nicht wirklich ernst zu nehmen. Der Kanzler spricht von einem Luxusproblem. Wie sehen Sie das?

Claus Raidl: Trotz der höchsten Steuereinnahmen steigt die Staatsschuld, und wir haben, wenn auch mit sinkender Tendenz, immer noch jedes Jahr ein Defizit. Die Regierungsspitzen müssen erkennen: Es muss Reformbereitschaft her. Wenn wir jetzt unter EU-Druck immer noch nichts tun, wird es kritisch. Die EU wurde aktiv, weil sie glaubt, dass unser Budgetpfad nicht zum angestrebten Ziel des strukturellen Defizits von minus 0,45 Prozent führt. Diese Sorge der EU ist der Anlass, warum die Regierung den berühmten Brief schreiben musste – und zwar, nachdem sie das Budget dem Parlament vorgelegt hatte. Das ist schon eine bemerkenswerte Sache.

Die Regierung würde Ihnen an dieser Stelle entgegnen: Sie handle ja eh, sie habe eine Deregulierungs-Arbeitsgruppe eingesetzt.

Wir brauchen keine Kommissionen und Beiräte mehr. Es liegen tausend Vorschläge auf dem Tisch, wir brauchen nur mehr den politischen Willen zur Umsetzung. Wenn wir nichts tun, laufen wir Gefahr, dass wir noch mehr unter Druck der EU kommen. Das wäre peinlich für ein Land, das sich in dem Ruf sonnt, eines der reichsten Länder zu sein. Es wäre ein Armutszeugnis.

Was würden Sie der Regierung raten, was sie tun soll?

Raidl mahnt sofortige Reformen ein
Claus Raidl
Wenn die Große Koalition noch für irgendetwas gut ist, dann dafür, dass sie einen Big Bargain versucht. Die SPÖ müsste der Anhebung des tatsächlichen Pensionsantrittsalter endlich zustimmen und auch bei den Frauenpensionen etwas machen. Im Gegenzug muss die ÖVP bei den Agrarförderungen aktiv werden und bei der Wirtschaftsförderung, wo wir mit 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ungefähr doppelt so viel ausgeben wie im EU-Schnitt. Die Wirtschaftsförderung könnte man generell kürzen und zusätzlich die Doppelförderung mit den Ländern abstellen. Dann müsste man der SPÖ die Flexibilisierung der Arbeitszeit abverlangen, die berühmten zwölf Stunden. Dafür soll die ÖVP einer weiteren Beamten-Null-Lohnrunde zustimmen, mit dem Argument, dass diese kein Arbeitsplatzrisiko haben. Seit ewig ungelöst sind die Bund-Länder-Kompetenzen.

Ein ewig ungelöstes Thema sind die Bund-Länder-Kompetenzen. Was schlagen Sie hier vor?

Unmittelbar könnte man folgendes den Ländern anbieten: Wenn ihr die Lehrer kriegt – wobei die Gesetzgebung im Bildungsbereich beim Bund bleibt, nur die Verwaltung der Lehrer an die Länder geht –, dann sollen die Länder im Gegenzug alle Spitäler und das Gesundheitswesen in Bundeskompetenz geben. Mir sagen Experten, dass da sehr viel Geld drinnen liege. Außerdem muss die gesamte Pflege- und Sozialproblematik zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu geordnet und Doppelgleisigkeiten abgestellt werden. Da geht es um enorme Summen.

Das klingt alles sehr nach politischen Tauschgeschäften.

Ja, es klingt furchtbar, aber offenbar ist Politik so.

Bundespräsident Heinz Fischer hat für 2018, zum 100. Geburtstag der Republik, eine neue Verfassung angeregt. Er hat mehr Kompetenzen für den Bund angeregt und dafür umgehend eine Abfuhr der Länder geerntet. Auf welcher Seite stehen Sie hier?

Der Trend müsste sein, Kompetenzen zum Bund zu verlagern und nicht zu den Ländern. Das macht die Sache schwierig. Ich halte das Ziel einer neuen Verfassung bis 2018 für ehrgeizig, aber verfolgenswert. Bei einer Neukonzeption könnte man etwa die Bezirksebene streichen und deren Aufgaben an die Gemeinden übertragen. Das müsste mit einer Welle von Gemeindezusammenlegungen oder zumindest Zusammenschluss in Verbänden einhergehen. Auch über die Gesetzgebungskompetenz der Länder soll man reden.

Der ÖVP-Chef hat eine Entfesselung der Wirtschaft versprochen. Sind Sie mit dem bisherigen Output zufrieden?

Diesbezüglich könnte der Herr Wirtschaftskammer-Präsident mit gutem Beispiel vorangehen und die Gewerbeordnung entrümpeln. Die Maniküre darf nicht Pediküre sein, oder das berühmte Beispiel, dass man für gebundene Blumen einen Gewerbeschein braucht, wenn man Blumen einzeln verkauft, nicht. Präsident Leitl, der immer Reformen einfordert, könnte die Gewerbeordnung entfesseln.

Angestoßen hat das Thema der frühere ÖVP-Obmann Josef Pröll. In einer berühmten Rede regte er eine Transparenzdatenbank an, damit die öffentlichen Hände voneinander wissen, wofür sie Geld ausgeben. Josef Pröll hielt diese Rede im Jahr 2009. 2014 gibt es die Transparenzdatenbank zwar, aber bis jetzt hat nur der Bund Daten eingespeist. Im Laufe dieses Jahres sollen die Bundesländer ihre Daten hinzu fügen. Dem Vernehmen nach gibt es von manchen Bundesländern nach wie vor massiven Widerstand. 2015 sollen die Gemeindeausgaben eingespeist werden, auch von dort kommt Widerwille. Die Transparenzdatenbank soll ein Instrument sein, Doppelförderungen auf die Spur zu kommen.

2012 haben SPÖ und ÖVP unter Finanzministerin Maria Fekter ein Sparpaket geschnürt, in dem im Großen und Ganzen der heute noch gültige Finanzrahmen und der Pfad zum strukturellen Nulldefizit 2016 festgelegt wurde. Dieses Sparpaket sah für die Jahre 2015 und 2016 Einsparungen im Förderbereich von jeweils 500 Millionen vor. Das Budget 2015 liegt gerade zur Beschlussfassung im Nationalrat, aber von den 500 Millionen ist darin nichts zu finden. Und das kam so:
Die Länder argumentierten: Warum sollten sie Förderungen streichen, wenn sie ohnehin im Stabilitätspakt einem Nulldefizit zustimmen? Um den „Stabi“-Pakt einzuhalten, müssten sie ohnehin eine Gesundheitsreform machen. Das genüge. Daraufhin arbeitete Fekter eine Verordnung aus, um in die Förderungsvergabe wenigstens Transparenz und einheitliche Regeln zu bringen. Diese Verordnung trat nie in Kraft, weil sie von den Ländern im Begutachtungsverfahren zerrissen wurde. 2014 hat Finanzminister Spindelegger eine neue Kommission eingesetzt, um mit den Ländern über Doppelgleisigkeiten bei den Förderungen zu beraten...

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