Protokoll einer Rettungsaktion: Was bei Wien Energie geschah

Nach 72 Stunden stand fest: Die Wien Energie, Österreichs größter regionaler Energieversorger, bleibt zahlungsfähig. Sie kann bei Bedarf in zwei Stunden einen Kredit von zwei Milliarden Euro abrufen, den der Bund über einen Darlehensvertrag genehmigt hat. In so kurzer Zeit ein historisches Volumen: „Die Versorgungssicherheit von zwei Millionen Menschen stand auf dem Spiel“, sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) Mittwochvormittag bei einer Pressekonferenz. Zu dieser war auch die Wiener SPÖ – die Stadt ist Eigentümer der Wien Energie – geladen, erschien aber nicht.
Wien Energie informierte die Regierung am Samstag über ihre Geldnot. Die angefragten Beträge variierten dann zwischen 1,7 bis sechs Milliarden Euro. In der Nacht auf Mittwoch einigten sich Bund und Wien auf zwei Milliarden. In diesem Zeitraum konnten einige, aber nicht alle Unklarheiten ausgeräumt werden.
Undurchsichtig
Warum die Beträge variierten: Wien Energie hat über Termingeschäfte – also in der Zukunft – an der Börse Strom verkauft. Das Termingeschäft muss sie für den Fall, den Käufer nicht bedienen zu können, finanziell absichern. Die Sicherheiten sind an die Gaspreise gekoppelt. Diese stiegen in den vergangenen Wochen – und somit auch die Sicherheiten. Fallen die Gaspreise, was in den letzten zwei Tagen geschah, erhält Wien Energie Sicherheiten zurück. Deshalb sah sich der Bund mit unterschiedlichen Forderungen konfrontiert.
Die Stadt Wien wusste über diese Entwicklung seit 15. Juli Bescheid. Sie genehmigte der Wien Energie auch zweimal 700 Millionen – behielt diese Information aber für sich. Für weitere Zuschüsse fehlte Wien dann das Geld. Den Banken war die Angelegenheit wohl zu undurchsichtig, blieb also nur noch der Bund als letzter Anker.
War das nötig?
Wien Energie beteuert, dass die Terminverkäufe durch die Eigenproduktion gedeckt seien. Vereinfacht ausgedrückt: Sie weist riskante Spekulationen zurück. Dass kein anderer Energieversorger in solche Nöte kam, macht Experten allerdings stutzig.
„Dass das massive Liquiditätsproblem bei der Wien Energie nur auf Preissteigerungen beruht, ist nicht mit logischen Denksätzen nachvollziehbar, deshalb hat das Land Wien die Verpflichtung, das zu überprüfen“, sagt ein namhafter Spitzenjurist zum KURIER, der anonym bleiben will. „Es stellt sich die Frage, ob dieses Geschäftsmodell in diesem Umfang notwendig war und ab der zweiten Jahreshälfte 2022 erkennbar war, dass das Geschäft per se gefährlich wird.“ Nachsatz: „Wenn das Geschäftsmodell massiv überzogen war, dann hat das Management sogar ein strafrechtliches Problem.“ Es gelte, die Causa Wien Energie jetzt zivilrechtlich und strafrechtlich zu prüfen.
„Wenn ich feststelle, die haben Geschäfte gemacht, die ein ordentlicher Kaufmann dem Grund nach oder der Höhe nach nicht macht, dann fällt es einem nicht mehr schwer, das strafrechtlich zu würdigen“, sagt der Jurist.
Umsonst gibt es die Kreditlinie, die bis April gilt, nicht. Im Gegenzug erhält der Bund einen Aufsichtsrat in der Wien Energie. Zudem muss das Unternehmen bis 15. September seine Handelsgeschäfte ab 2020 offenlegen. Über sämtliche Details erhält der Kreditgeber also erst im Nachhinein Klarheit.
Bundesvertreter im Aufsichtsrat
Am Dienstag – der KURIER berichtete – sickerte durch, dass die Regierung einen Bundesvertreter im Aufsichtsrat der Wien Energie fordert. Das geschieht nun auch. Bis die Kreditlinie in Höhe von zwei Milliarden Euro ausläuft, also bis Ende April 2023, entsendet der Bund einen Experten in die Wien Energie. Die Personalie ist noch nicht bekannt. Man nehme den Wunsch des Finanzministeriums „zur Kenntnis“, meinte der Wiener Finanzstadtrat Peter Handke (SPÖ) hierzu. Das muss er auch, denn der Bundesvertreter ist vertraglich vorgeschrieben.
Transparenz und Berichtspflicht
Die Wien Energie muss bis 15. September all ihre Handelsgeschäfte ab 2020 offenlegen und dem Bund übergeben. Damit sollen auch allfällige Verfehlungen aufgeklärt werden. Also etwa, ob das Risikomanagement bei den Geschäften ausreichend oder die Geschäfte spekulativ waren. Der Bund erlegt der Stadt Wien zudem eine Berichtspflicht über die Verwendung der zwei Milliarden Euro auf.
Weitere Hilfe nicht ausgeschlossen
Ob der Milliardenkredit noch steigt, ist von der Entwicklung der Gaspreise abhängig. „Wenn kurzfristig etwas mehr gebraucht werden sollte, sind wir in der Lage, auch diese Situation zu unterstützen“, sagte der Präsident der Finanzprokuratur Wolfgang Peschorn. Dafür könnten weitere Gegenleistungen anfallen. Der Bund könnte etwa jene rund 12 Prozent, die Wien am staatlichen Verbund hält, als Sicherheit heranziehen.
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