Portisch: "Das ist eine politische Bedrohung"

Hugo Portisch
Hugo Portisch, ehemaliger Chefredakteur des KURIER und Kommentator des ORF, wehrt sich gegen den Angriff von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der ORF würde Lügen verbreiten. Das Vorgehen der FPÖ sei eine "Gefahr für die Demokratie".

Der Doyen des österreichischen Journalismus, Hugo Portisch, äußerst sich erstmals öffentlich im KURIER zu den Angriffen von FPÖ-Parteichef Strache auf ZiB2-Moderator Armin Wolf und den ORF. Er sieht die Strategie Straches abgestimmt mit Rechtspopulisten anderer Länder. Für jene, die von Lügenpresse reden, ist "die Wahrheit unangenehm", sagt Portisch. "Rechtspopulisten verunglimpfen Medien, um sie unglaubwürdig zu machen." Wenn diese Regierung versucht, Einflussnahme auf Medien auszuüben, wäre ein Medien-Volksbegehren "die mindeste Abwehrmöglichkeit".

KURIER: Herr Doktor Portisch, die FPÖ verstärkte zuletzt ihre Kampagne gegen den ORF. Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache postete auf Facebook ein Foto von ORF-Anchorman Armin Wolf und schrieb: "Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF." Was sagen Sie dazu?

Hugo Portisch: Das ist einfach aus der Luft gegriffen. Der Vizekanzler kann in keiner Form nachweisen, dass er recht hat. Ich verstehe das nicht, wie man so etwas behaupten und mit einem Satz den ganzen ORF zum Lügner stempeln kann. Das ist eine gewisse Drohung, die ausgesprochen wird. Wenn man den ORF oder die Medien beschuldigt, Lügen zu verbreiten und Lügen zu erfinden, dann ist das eine politische Bedrohung, gegen die ich mich als Journalist wehre und sich sicher auch der ORF wehrt.

Strache sagt, dass sein Posting "nicht personenbezogen" ist. Er rechtfertigt seine Attacken auf den Sender mit Verärgerung über "manipulative" Berichte. Ist das eine Entschuldigung?

Das ist bestimmt keine Entschuldigung, das ist der Versuch einer Erklärung, die meiner Ansicht nach keine Grundlage hat. Was ist es sonst, als ein Angriff auf den Sender und auf Journalisten?

Warum steht gerade der ORF im Visier der FPÖ?

Weil er eines der größten, einflussreichsten und glaubwürdigsten Medien ist. Am liebsten würde man es umgestalten zu einem Sprachrohr der eigenen Partei oder der eigenen Regierung. Die Personalbesetzung ist immer auch ein Instrument der Haltung. Ein glaubwürdiger Journalist ist für sie ein unangenehmer Journalist.

Portisch: "Das ist eine politische Bedrohung"
Interview mit Hugo Portisch am 17.04.2017 in Wien.

Steht FPÖ-Parteichef Strache in einer Linie mit Rechtspopulisten in vielen Ländern, die Medien als Lügenpresse bezeichnen?

Auch Trump redet davon. Alles, was rechtspopulistisch ist, bekämpft den aufrechten Versuch, korrekt zu berichten. Die Wahrheit ist Rechtspopulisten unangenehm. Das verleitet sie dazu, die Medien zu verunglimpfen, um sie unglaubwürdig zu machen. Wenn ich sie nicht zensurieren oder abschaffen kann, dann versuche ich wenigstens in der Öffentlichkeit sie unglaubwürdig zu machen.

Die FPÖ spricht auch immer wieder von Systemmedien. Was versteht man darunter?

Systemmedien sind ein Schimpfwort geworden. Ist mit System die Demokratie gemeint, dann wäre der Begriff ein Skandal. Wenn die Medien der Demokratie Systemmedien sind, dann ist es ein Schimpfwort.

Kommen wir zurück zum ORF: Erinnert Sie die FPÖ-Attacke an frühere Zeiten des Rundfunks?

Das erinnert mich an die Zeiten, als wir gesagt haben, wir lassen uns von der Politik nicht vereinnahmen. Der ORF gehört verteidigt gegenüber der Politik, die Einfluss ausüben will.

Das von Ihnen als Chefredakteur des KURIER initiierte Rundfunkvolksbegehren 1964 hatte das Ziel, den Österreichischen Rundfunk durch ein Gesetz aus den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen herauszuhalten und zu einem unabhängigen Medium zu machen. Hat das Volksbegehren das Ziel erreicht?

Das hat eine entscheidende Rundfunkreform bewirkt mit der Einsetzung eines Generalintendanten und einem Versuch, den politischen Parteien zu verbieten, sich in die Nachrichtengebung und Kommentierung des ORF einzumischen.

Sind die Errungenschaften des Volksbegehrens jetzt gefährdet?

Momentan noch nicht. Der ORF wehrt sich. Aber es gibt die Androhung von hoher politischer Stelle. Diese Stelle hat die Absicht, auf den Rundfunk Einfluss zu üben. Es ist nicht erst der Anfang, das geht ja schon einige Zeit, dass der ORF im Visier der Freiheitlichen Partei bzw. von Herrn Strache ist.

Die FPÖ stellt auch die Rundfunkgebühr infrage.

Die Rundfunkgebühr ist die Lebensader des ORF. Das ist alles eine Bedrohung, gar keine Frage.

Ist das eine demokratiepolitische Gefahr?

Rechtspopulistische Parteien sind immer eine gewisse Gefahr für die Demokratie. Mit Angriffen gegen die Medien und die freie Berichterstattung von Journalisten wären sie eine besondere Gefahr.

Braucht es ein neues Volksbegehren für unabhängige Medien und unabhängigen Journalismus?

Das ist ein langer Weg. Da müsste die Regierung ein neues Rundfunkgesetz vorlegen, dieses müsste das Parlament genehmigen. Wenn dieses Gesetz dem Rundfunk die Gebühren abdrehen oder unter Zensur stellen würde, dann bedürfte es mindestens eines Volksbegehrens, um das abzuwehren. Ich hoffe, dass so ein Gesetz gar nicht durch das Parlament geht.

Die Regierung plant eine Medien-Enquête. Was erwarten Sie sich davon?

Es ist zu erwarten, dass sie versuchen wollen, den Rundfunk in seiner jetzigen Form zu verändern. Wenn es Zensurbestimmungen oder die Möglichkeit der politischen Einflussnahme auf Programm, Inhalt und die Personalbesetzung beinhaltet, dann ist es abzuwehren. Parteien, die für so ein Gesetz sind, haben nichts Gutes im Sinn. Da wäre ein Volksbegehren die mindeste Abwehrmöglichkeit, die man noch hat.

Was wäre stärker als ein Volksbegehren?

Abwählen. Das müsste man dann den Wählern sagen, ihr gefährdet eure Freiheit und eure Demokratie, wenn ihr solche Parteien weiter unterstützt.

Machen Journalisten nicht auch Fehler in ihrer Arbeit?

Journalisten machen immer wieder Fehler, wie alle Menschen. Ich habe bei meiner Ausbildung gelernt, dass man bei einem Fehler sich sofort und unmittelbar entschuldigen muss und alles tun muss, um den Fehler wieder gut zu machen. Das ist die Verpflichtung des Journalisten. Auch Politiker machen Fehler, ich hoffe sie entschuldigen sich auch und machen es wieder gut.

ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in Bezug auf den ORF zu einer "sachlichen Debatte" aufgerufen. Reicht das?

Das ist das Mindeste, was ich von einem Regierungschef nach so einem Zwischenfall erwarten kann. Das muss er an die Adresse des Vizekanzlers richten, auf den er unmittelbar Einfluss hat.

Die Regierungsarbeit wird durch deutschnationale Burschenschafter, provokante außenpolitische Aussagen des Vizekanzlers, wie jene zum Kosovo, und vom Streit mit dem ORF beeinträchtigt. Bleiben dadurch nicht wichtige Zukunftsfragen auf der Strecke?

Man könnte daraus ableiten, dass die Herrschaften noch keine Übung haben in der Politik und es noch lernen müssen. Die Kosovo-Aussage ist ein Fehler, deutschnationaler Antisemitismus in einer Burschenschaft ist ein Skandal. Über Fehler und Skandale muss man in der Politik offen reden können – und man muss sie auch als solche bezeichnen. Man muss schauen, dass sie sich nicht wiederholen.

Portisch: "Das ist eine politische Bedrohung"
Interview mit Hugo Portisch am 17.04.2017 in Wien.

Österreich übernimmt am 1. Juli die EU-Präsidentschaft. Werden die Bürger genug informiert?

Über die Europäische Union, ihre Arbeitsweise, ihren Zweck und ihre Zukunft wird immer viel zu wenig gesprochen. Die Leute wissen noch immer zu wenig, was die EU bedeutet, welchen fantastischen Wert sie hat. Man sollte sehr darauf achten, dass sie unbeschadet bleibt. Leute, die die EU einschränken wollen, und das sind Rechtspopulisten, führen einen Angriff auf Europa und auf dieses gewaltige Friedens-, Demokratie- und Aufbauwerk.

Ist es noch verständlich, dass FPÖ-Abgeordnete in einer europafeindlichen Fraktion sind?

Verständlich ist es, wenn sie die Meinung von Le Pen und AfD teilen. Wenn sie aber sagen, sie haben sich abgewendet, sind heute pro-europäisch und verdammen nicht die EU-Institutionen, dann müssten sie austreten.

Der Bundeskanzler spricht von einem proeuropäischen Regierungsprogramm und verteidigt dieses bei jeder Gelegenheit. Gleichzeitig sind die Europa-Abgeordneten des Koalitionspartners FPÖ in einer EU-feindlichen Fraktion. Wie passt das zusammen?

Das ist ein Widerspruch in sich und gehört aufgeklärt. So lange diese politische Ehe nicht aufgelöst wird, muss man daran zweifeln, dass sie tatsächlich europäisch handeln. Wenn man europäisch handeln will, dann kann man sich nicht mit europafeindlichen Parteien zusammenschließen, deren offenkundiges Ziel es ist, Europa als Union zu zerstören.

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