Politik von Innen: Warum die „größte Reform“ zu klein ist

Politik von Innen: Warum die „größte Reform“ zu klein ist
Die größten Ungerechtigkeiten bleiben: Den Kassenreformern bleibt sehr viel zu tun

Die wesentliche Kritik am Umbau der Sozialversicherung hat, vermutlich ungewollt, Kanzler Sebastian Kurz geäußert. Er sagte, es sei keine Gesundheits-, sondern eine Strukturreform.

Eine Gesundheitsreform hätte man anders aufsetzen müssen, meint etwa der Obmann der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, Anton Ofner: „Ich würde zuerst ein Ziel definieren, und dann den Weg dahin festlegen. So hat man mit Strukturen begonnen und die Zieldefinition ausgelassen.“

Ziele führen die türkisblauen Reformer zwar im Mund – mehr Gerechtigkeit, Sparen im System – doch diese Strukturreform wird die Ziele nicht bringen können. Sie ist nur ein Beginn und bleibt an der Oberfläche hängen.

Thema Gerechtigkeit: Die großen Ungerechtigkeiten, deren Beseitigung Türkis-Blau feiert, gibt es innerhalb der Gebietskrankenkassen nicht – der Hauptverband hat deren Leistungen bereits weitgehend harmonisiert, die Unterschiede waren auch nicht gravierend. Die großen Ungerechtigkeiten gibt es zwischen Versicherten der Privatwirtschaft und dem Öffentlichen Dienst. Die eine Gruppe hat Arbeitslose, Niedrigverdiener und Mindestpensionisten mit zu versorgen. Bei der anderen Gruppe bleiben Bezieher hoher, sicherer Staats-Einkommen unter sich. Die Beamtenversicherung BVA kann daher behandelnde Ärzte gut honorieren und ihre Versicherten verwöhnen. Hätte die Gebietskrankenkasse die BVA-Versicherten als Zahler, müsste sie bei Ärzten und Patienten weniger knausern.

Beamten-Level für alle würde laut Hauptverband 1,2 Milliarden kosten.

Eine noch größere Ungerechtigkeit im System ist die Ausnahme von der Pflichtversicherung für besonders privilegierte Beamtengruppen. Rund 200.000 Personen – Landesbeamte, Landeslehrer, Gemeindebedienstete – sind in 15 sogenannten „Krankenfürsorgeanstalten“ (KFA) versichert. Sie genießen Top-Leistungsniveau. Die Rechercheplattform Addendum hat ein paar Beispiele ausgegraben: 350 € pro Jahr für Massagen auf Krankenschein, 65 € für eine Psychotherapiestunde, Bevorzugung im Krankenhaus, 100 Prozent Kostenersatz bei freier Arztwahl.

Ein Rechenbeispiel: Würden die 200.000 KFA-Versicherten auf Basis der Höchstbeitragsgrundlage Kranken- und Unfallversicherung bezahlen (ca 6000 € im Jahr), brächte das 1,2 Milliarden. Stattdessen sind diese „landesherrlichen Anstalten“, wie ein Sozialversicherungskenner die KFA süffisant nennt, tabu. Dabei sitzt das Sozialministerium auf Rechts-Studien, die anleiten, wie das Problem zu lösen wäre: per Verfassungsgesetz die Pflichtversicherung für diese Gruppen einführen oder mit den Ländern über eine KFA-Abschaffung verhandeln.

Laut Addendum sind die schwarz-blauen Politiker der oberösterreichischen Landesregierung übrigens KFA-versichert.

Sparen im System: Die Regierung ist stolz, dass sie 80 Prozent der Funktionäre wegreformiert. Da diese aber nur Sitzungsgeld (42 €) bekommen, „spart“ die Regierung 2,9 Millionen (von 3,6 Millionen): 2,9 Millionen im Vergleich zu 18.000 Millionen (=18 Milliarden), die von der Krankenversicherung im Jahr umgewälzt werden. Um echt zu sparen und die ärztliche Versorgung zu verbessern, müsste man Spitäler und Ambulanzen einbeziehen. Aber die Spitäler bleiben bei den Ländern, während die Regierung die Krankenkassen zentralisiert.

Sparen im System: Die AUVA soll bis 31. August glaubhaft machen, dass sie 500 Millionen spart. Die AUVA wird von Unfallversicherungsbeiträgen gespeist, die die Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer bezahlen. Daher wird sich die AUVA versicherungsfremder Leistungen entledigen müssen. Was das konkret heißt: Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern bekommen derzeit 108 Millionen Zuschuss zum Krankenstandsgeld ihrer Angestellten. Da eine Grippe kein Unfall ist, werden diese Betriebe das Krankengeld künftig selbst zahlen müssen. Für Lehrlinge und über 60-Jährige müssen Arbeitgeber derzeit keine Unfallversicherung zahlen, auch das dürfte fallen.

80 Prozent der 400.000 in Unfallkrankenhäusern behandelten Patienten verletzen sich nicht bei der Arbeit, sondern in der Freizeit. Wenn die AUVA nur noch die 80.000 Arbeitsunfälle behandelt, würde zwar ein Wurstverkäufer mit Schnittwunde im hochspezialisierten Unfallkrankenhaus landen, ein privat verunfallter Motorradfahrer mit komplexen Verletzungen aber in einem allgemeinen Krankenhaus. „Das wollen wir natürlich nicht“, sagt AUVA-Chef Anton Ofner. „Unsere Spezialisten wollen die Patienten ja behandeln.“

Doch die Frage wird sein: Wer bezahlt’s? Dann fehlt das Geld eben den Gebietskrankenkassen oder den Ländern, sprich dem Steuerzahler.

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