Am Samstag übergibt Günther Platter nach vierzehn Jahren an der Spitze die Tiroler VP an Anton Mattle, der die Partei in die Landtagswahlen führt. Ein Gespräch zum Zustand der ÖVP im Bund und in den Ländern, seinem Nachfolger und den offenen Baustellen in Tirol.
KURIER: 2013 haben Sie im Wahlkampf vor "italienischen Verhältnissen" in Tirol gewarnt. Haben die in Österreich nicht Einzug gehalten, seit die ÖVP wieder den Bundeskanzler stellt?
Günther Platter: Das möchte ich so nicht unterschreiben. Aber was ich feststelle, ist eine Verrohung in der politischen Kultur, insbesondere auf Wiener Ebene. Man muss kritisch hinterfragen, wie die Politik mit sich selbst umgeht und welches Bild man nach außen abgibt.
Das Wesentliche in einer Demokratie ist, dass es eine Grundakzeptanz gegenüber den Politikern gibt. Wenn man aber selbst die Politik tagtäglich schlechtmacht, entsteht der Eindruck der Zerstrittenheit in der politischen Landschaft. Alle müssen einen Beitrag leisten, dass es in eine andere Richtung geht.
Aber die ÖVP ist mit sehr vielen Vorwürfen konfrontiert. Trägt sie dann nicht die Verantwortung für die fehlende Stabilität?
Bundeskanzler Karl Nehammer bemüht sich sehr, dass die Stabilität und Verlässlichkeit der Politik gegeben ist. Daran arbeitet er tagtäglich sehr glaubwürdig. Er macht eine gute Politik. Und wo Vorwürfe da sind, müssen sie aufgeklärt werden. Aber die Vorverurteilungen müssen aufhören.
Muss sich die ÖVP bei diesen Vorwürfen nicht auch selbstkritisch hinterfragen?
Als erstes muss man feststellen, dass Tirol hier nicht involviert ist. Natürlich hinterfragt man die eine oder andere Äußerung über Chats, die nach außen gekommen ist, kritisch. Letztendlich geht es darum: was ist wirklich an der Sache dran. Deshalb muss alles genauestens aufgeklärt werden, man muss schauen, ob es Substanz hat. Ich erkenne die momentan nicht.
Jüngst ist es darum gegangen, wie Vorfeldorganisationen der ÖVP Corona-Hilfen in Anspruch genommen haben. Da war auch der Tiroler Seniorenbund in der Ziehung. Erzeugt das nicht eine Optik, dass die VP es sich richtet?
Hinterfragen müssen wir schon, was ein Skandal und was kein Skandal ist. Wenn der Seniorenbund zu Unrecht Gelder erhalten hat, obwohl sie nach einer Prüfung des Ministeriums zuerkannt worden sind, muss man diese zurückzahlen. Aber ich frage mich schon, wo ist der Skandal oder Korruption, wenn es eine offiziellesAufforderungdes Sozialministers gab und dann Gelder zuerkannt wurden.
Der Zustand der Volkspartei wird bereits mit dem Schicksal der einst staatstragenden italienischen Partei Democrazia Cristiana in Italien verglichen, die dann nach unzähligen Turbulenzen sogar aufgelöst wurde.
Da sind wir weit davon entfernt. Karl Nehammer ist einer, der sehr seriöse Politik macht. Der sehr bedacht ist, dass aufgeklärt wird, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Man wird sich noch wundern, wie sich die Österreichische Volkspartei in den nächsten Monaten aufstellen und eine tragende Säule in der politischen Landschaft Österreichs bleiben wird.
Ihr Rückzug, aber auch der von Hermann Schützenhöfer in der Steiermark, hat in Wien den Eindruck ausgelöst, dass bei der ÖVP nun auch auf Landesebene etwas ins Wanken kommt.
Das Gegenteil ist der Fall. So ein Rückzug aus der Politik ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Dafür hat Hermann Schützenhöfer seine Gründe gehabt und ich habe ganz andere Gründe. Wir befinden uns auch beide nicht in einem jugendlichen Alter. Das hat mit der politischen Situation null zu tun.
Wir haben in Tirol sehr stabile Verhältnisse. Die Koalition, die jetzt seit über neun Jahren tätig ist, ist voll intakt. Wir hatten in der Tiroler VP in all den vierzehn Jahren, die ich jetzt den Vorsitz hatte, absolute Geschlossenheit. Da muss man sich anschauen, wie das in früheren Zeiten mal war. Da ist nichts ins Wanken geraten.
Die Opposition propagiert im Bund bereits eine Ampel aus Rot, Grün und Pink nach der nächsten Nationalratswahl. Ist es für Sie vorstellbar, dass die ÖVP auf der Oppositionsbank landet?
Das Fell des Bären sollte man noch nicht verteilen. Zunächst muss die Bevölkerung die Wahl treffen. Aber bis dahin ist es noch weit. Im Jahre 2024 finden die Wahlen auf Bundesebene statt. Und ich erkenne keine Ansätze oder Überlegungen, dass früher gewählt wird.
Es wird noch viel passieren bis dorthin. Da werden noch viele Entscheidungen zu treffen sein. Ich bin der Überzeugung, dass Karl Nehammer mit seinem Team die ÖVP so ausrichten wird, dass sie weiterhin die bestimmende Kraft in der Republik Österreich sein wird.
In Tirol stehen die Wahlen vor der Tür. Wo muss die VP landen, damit keine Grabenkämpfe ausbrechen?
Ich bin überzeugt, dass mit dieser einstimmigen Personalentscheidung des Landesparteivorstandes mit Anton Mattle absolut der richtige Mann gewählt wurde. Er ist der richtige Mann zu dieser Zeit für Tirol. Er steht genau für das, das jetzt notwendig ist: für Verlässlichkeit, für Glaubwürdigkeit, für Kontinuität, für Erneuerung und er hat Zukunftspläne.
Gemessen wird er an den 44,3 Prozent von den Landtagswahlen 2018.
Wir sind in einer anderen Zeitrechnung gelandet. Man kann die Ergebnisse von 2018 nicht heranziehen, weil sich seither sehr viel getan hat. Wir haben es mit politischen Herausforderungen zu tun, wie wir es schon lange Jahrzehnte nicht mehr gewohnt waren.
Tirol war bis zum Ausbruch der Pandemie absolut am Erfolgskurs. Und gerade in der Pandemie haben es die Regierungen auf der ganzen Welt schwierig gehabt, weil unangenehme Entscheidungen getroffen werden mussten.
Jetzt kommt die Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine und die zusätzlichen Auswirkungen dazu: Wie schaut es mit dem Heizen aus?Wird das Gas abgedreht? Dann kommt die Teuerungswelle und zusätzlich eine Inflation dazu. Deshalb kann man kein Wahlergebnis von vor vier Jahren als Bewertung hernehmen.
Aber welches Minus wird die Tiroler VP als Gesamtes akzeptieren?
Ich habe es auch nie mögen, wenn mir jemand die Latte gelegt hat. Das mache ich selbstverständlich nicht. Aber Anton Mattle wird daran arbeiten, dass ein gutes Ergebnis zustande gebracht wird.
Anton Mattle ist 59. Sehen sie es heute als Fehler, dass Sie nie einen Nachfolger aufgebaut haben wie es zum Beispiel Schützenhöfer in der Steiermark gemacht hat?
Jedes Land hat seine eigenen Gegebenheiten. Die Personaldecke der Tiroler Volkspartei ist eine sehr dicke. Aber man muss immer wieder schauen, zu welcher Zeit man der Bevölkerung ein personelles Angebot stellt. Und man muss ja nur schauen, welche hohen Beliebtheitswerte Anton Mattle hat und wie er für die Politik brennt. Ich bin absolut der Überzeugung, dass das die richtige Antwort für personelle Weichenstellung war.
Durch Ihre gesamte Amtszeit haben Sie unter anderem zwei große Themen begleitet: Zum einen wird Wohnen immer teurer, zum anderen nimmt der Verkehr durch Tirol immer mehr zu. Fehlt es der Landespolitik an Macht oder Mut, um gegenzusteuern?
Zum Transit: Alleine können wir das nicht bewältigen. Der Mut ist hier ausreichend vorhanden, zumal wir deutlich angefeindet werden,südlich und aber auch nördlich von Tirol. Es findet dank unserer Haltung ein Umdenken statt – siehe Bayern. Wir werden aber an den Lkw-Blockabfertigungen und den Fahrverboten festhalten.
Wie würde Tirol wohl dastehen, ohne diese Maßnahmen, die wir ergriffen haben? Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir in Europa eine Trendwende zustande bekommen und die Güter auf die Schiene verlagert werden.
Und beim Wohnen?
Auch da haben wir sehr viele Maßnahmen gesetzt. Insbesondere beim sozialen Wohnbau haben wir bewiesen, dass man unter günstigen Voraussetzungen den Wohnbedarf erfüllen kann – mit dem 5-Euro-Wohnen und unserer Wohnbauförderung. Da sind schon einige Maßnahmen passiert.
Aber trotzdem wird der VP vorgeworfen, dass sie das Gründe besitzende Klientel schont und deshalb nicht zu den allerletzten Mitteln greift.
Wir haben jetzt ein riesiges Paket vorgelegt – etwa mit der Leerstandsabgabe und den Vorbehaltsflächen. Das schont eigentlich niemand. Da fährt man schon ordentlich hinein.
Sie waren jetzt 14 Jahre Landeshauptmann, davor Minister, ganz am Anfang Bürgermeister. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Macht der Landeschefs nun wirklich?
Ich kenne jede Ebene. Letztendlich geht es um ein Miteinander. Natürlich muss man das ein oder andere Mal auch kernig formulieren. Wir hatten ja auch Konflikte, als Tirol in der Pandemie von der Bundesregierung isoliert wurde. Am Ende geht es darum, einen gemeinsamen Weg zu finden.
Aber ohne Länder kann man keine Politik für die Zukunft machen. Da geht es nicht um Macht, sondern um Gestaltungsmöglichkeiten.
Sie haben 2013 mit Schwarz-Grün etwas Neues versucht, dass es zuvor lediglich im Proporzsystem von OÖ gegeben hat. Ist diese Konstellation nun in Tirol auserzählt?
Ich bin froh, dass wir damals diese Entscheidung getroffen haben. Da waren nicht gerade alle begeistert. Aber man hat gesehen, dass wir es in diesen Jahren auch gezeigt haben, dass wirtschaftlicher Fortschritt und nachhaltiges Handeln kein Widerspruch sind.
Man hat gesehen, dass wir gerade auch unter grüner Regierungsbeteiligung den Ausbau der Wasserkraft ordentlich vorangetrieben haben. Und man hat gesehen, dass wir durch eine solide Politik ohne Streit den sozialen Frieden befördert haben.
Jetzt finden Wahlen statt. Und die neue Führung hat letztlich auch die Zukunftsentscheidungen zu treffen.
Und wie geht es nun für Sie persönlich weiter?
Ich werde im Herbst aus der Politik ausscheiden und werde mich nicht einmischen. Es wird von mir keine Zurufe geben. Aber ich werde ein politischer Mensch bleiben.
Und abseits davon?
Ich werde das tun, wozu ich bisher wenig Zeit hatte. Ich bin ein sportbegeisterter Mensch und Gott sei Dank fit. Ich werde auch mit den Enkelkindern mehr Zeit verbringen. Ich werde aber sicher nicht als Pensionist mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt spazieren gehen.
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