Rechnungshof kritisiert Pflege-Modell: Österreich nicht vorbereitet

Das Pflegegeld soll erstmals mit 1. Jänner 2020 erhöht werden
Ein Drittel der Pflege wird derzeit privat erbracht. Österreich auf demografische Entwicklung nicht vorbereitet. Sozialminister Anschober verspürt Rückenwind für Reformbestrebungen.

Die Gesamtkosten für die Pflege beliefen sich für das Jahr 2016 auf 7,9 Milliarden Euro für 452.688 Pflegebedürftige. Das geht es aus dem jüngsten Rechnungshofbericht hervor. 2,9 Milliarden Euo kamen dabei jeweils vom Bund und Privaten, rund 2,1 Milliarden Euro von Ländern und Gemeinden.

Rechnungshof kritisiert Pflege-Modell: Österreich nicht vorbereitet

Der größte Anteil der 7,9 Milliarden Euro sei Pflegeheimen zuzurechnen (3,4 Milliarden Euro), gefolgt von der Pflege durch Angehörige (3,1 Milliarden Euro),
mobilen Diensten (0,7 Milliarden Euro) und der 24-Stunden-Betreuung. Diese schlägt mit 0,6 Milliarden Euro zu Buche. Die Kritik des Rechnungshofes: Die Kosten sowie Herkunft und Verwendung der Mittel werden nicht systematisch. Der RH empfiehlt daher, Sozialministerium und Ländern künftig die Datenerfassung sicherzustellen.

Rechnungshof kritisiert Pflege-Modell: Österreich nicht vorbereitet

Weniger Angehörige für zu Pflegende

Wie aus den oben dargelegten Zahlen ersichtlich ist, wird derzeit ein Drittel der Pflege - meistens durch Angehörige im Alter zwischen 50 bis 64 Jahren privat erbracht.

Derzeit liegt das Verhältnis ab 80 Jahren bei vier zu eins  Das heißt: Eine Person über 80 kann potenziell auf vier pflegende Angehörige zählen.

Bis zum Jahr 2060 wird sich dieses Verhältnis drastisch verändern. Ein 80-Jähriger wird dann nur mehr auf rund 1,6 potenziell Pflegende kommen.

Laut Rechnungshof Österreich muss darob das das Pflegeangebot deutlich erweitert werden. Dazu wäre eine bundesweit abgestimmte Bedarfsprognose nötig.

"Eine solche zu erstellen, empfiehlt der Rechnungshof Österreich dem Sozialministerium, dem Finanzministerium und den Ländern. Abschließend wäre eine Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung der Pflegedienstleistungen zu erarbeiten", heißt es seitens des RH.

Rechnungshof kritisiert Pflege-Modell: Österreich nicht vorbereitet

Große Unterschiede gibt es in Österreich auch in punkto Pflegeplatz -  wie ein Blick auf die Grafik zeigt. Beispiel: Im Bezirk Graz-Umgebung stand ein Pflegeheimplatz für rund drei Personen ab 80 Jahren zur Verfügung, im Bezirk Krems-Land gab es für rund 17 Personen dieser Altersgruppe nur einen Pflegeheimplatz.

91 Euro bis 161 Euro Unterschied

Eklatante Unterschiede gibt es auch bei den Kosten: So wurden 2016 in Kärnten pro Tag für die stationäre Pflege 91 Euro verrechnet, in Wien hingegen 161 Euro. Österreichweite Vorgaben, wie Heimtarife und Personalausstattung zu gestalten sind, fehlt, beklagt der RH. Außerdem gebe es keine österreichweit gültigen Qualitätsstandards für Pflegeheime, etwa was die Fachpflege, die Lebensqualität sowie die ärztliche und soziale Betreuung betrifft.

Derzeit sei nicht klar, welches konkrete Leistungsniveau in welchen Pflegeeinrichtungen tatsächlich erwartet werden kann. Wie unterschiedlich die Standards in den Ländern sind, zeigt der Rechnungshof Österreich u.a. am Beispiel Ernährung. So ist nur in Wien und in Salzburg ein Recht auf Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme im Gesetz festgeschrieben.

"Die Kosten für die Nahrungsmittel waren in fünf Ländern bekannt: Sie lagen für 2017 zwischen 3,56 Euro und 5,98 Euro pro Heimbewohnerin bzw. Heimbewohner und Verrechnungstag. Rechtliche Vorgaben für Ernährung sind – mit Ausnahme in Wien – größtenteils allgemein gehalten. Somit besteht keine Transparenz über die Pflegequalität in den Einrichtungen."

Anschober sieht durch RH-Bericht Rückenwind für Reform

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) verspürt durch den kritischen Rechnungshofbericht zur Pflege Rückenwind für seine Reformbestrebungen. "Wir haben jetzt die Chance auf einen großen Wurf, und der ist notwendig", sagte er am Freitag in einem Pressegespräch. Vor allem in der Kritik an mangelnder Koordination der Akteure und der zersplitterten Finanzverantwortung sieht sich Anschober bestärkt.

"Dieser Bericht ist ein einziger 170-seitiger Aufschrei", sagte der Sozialminister, und zwar für eine Gesamtreform des Pflegesystems. Es gebe akuten Änderungsbedarf und Handlungsdruck, stärker noch als vor einigen Jahren, argumentierte er, warum es seiner Ansicht nach nun endlich funktionieren werde. Und selbstbewusst meinte er: "Jetzt haben Sie einen neuen Minister vor sich sitzen, der das wirklich angehen will und wird." Der RH liefere dafür "zentrale Unterstützung".

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