ÖVP und die Leitkultur: Raab fordert Anpassung als Integrationslösung
Kann und soll es in Österreich eine Leitkultur geben? Und wie hilfreich ist diese in der ohnehin aufgeheizten Integrationsdebatte? Für die ÖVP sind Fragen wie diese grundsätzlich beantwortet, das Thema wird offensiv kommuniziert, die Leitkultur steht im „Österreichplan“. Seit März wird partei-intern diskutiert, wie das Thema in die Praxis gebracht werden kann. Am Donnerstag präsentierte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) nun erste Ergebnisse des Nachdenk-Prozesses.
Eine ihrer klaren Botschaften war diese: Zuwanderer, die Integrationsmaßnahmen verweigern, sollen mit Kürzungen der Sozialhilfe bestraft werden.
Mit Herbst werden die sogenannten Wertekurse für Asylberechtigte auf eine ganze Woche verlängert. Wer sich widersetzt, soll mit den „härtestmöglichen“ Konsequenzen rechnen. Diesbezüglich nahm Raab die Länder in die Pflicht, „das Integrationsgesetz hier umzusetzen“. Was ist nun nötig, damit sich Menschen integrieren bzw. integrieren können?
Für die Integrationsministerin zählen drei Aspekte:
- Die deutsche Sprache – weil sie die Basis für jede Integration darstellt.
- Die Vermittlung in den Arbeitsmarkt – weil Menschen so einen Beitrag für die Gesellschaft leisten könnten.
- Und schließlich gehe es auch um die Akzeptanz der österreichischen und europäischen Werte und Rechtsnormen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Religion, oder auch das Recht von Kindern – und insbesondere von Mädchen – auf Bildung, seien nicht verhandelbar.
„Hier bedeutet Integration Anpassung“, sagt Raab. Es könne keine Toleranz für Menschen geben, die Sittenwächtern das Wort reden oder Mädchen verbieten wollen, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Derlei zu akzeptieren sei falsch verstandene Toleranz. Und das hätten Europas Höchstgerichte in diesem Sinn so festgehalten.
Leitkultur-Debatte
Spannende Einblicke in die Leitkultur-Debatte lieferte Johannes Klotz vom OGM-Institut. Klotz gehört zu jenen Experten, die die VP-interne Debatte begleiten. Worum geht es nun konkret bei der Leitkultur?
Familien-Zusammenführung
Die Welle an Anträgen auf Familienzusammenführung im Asylwesen hat sich zuletzt abgeflacht. Im Mai wurden 493 Einreisen nach Österreich beantragt, im Jänner waren es noch mehr als 2.000
Asylanträge
Dennoch ist die Zahl der Asylanträge noch immer relativ hoch, wenngleich rückläufig. In den ersten fünf Monaten 2024 gab es 11.644 Ansuchen. Das ist ein Rückgang um 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Mai betrug er 44 Prozent. Die mit Abstand stärkste Gruppe von der Herkunft her sind Syrer mit über 7.300 Anträgen. Platz zwei nehmen Afghanen vor Türken und Somalis ein
Für Klotz ist es das, was eine Gesellschaft zusammenhält: „Leitkultur ist mehr als die Befolgung von Gesetzen, und sie darf auch nicht mit Geschmäckern oder Lebensstilen verwechselt werden.“
Diese seien auch in klassischen Migrationsländern wie den USA unterschiedlich. Wichtig sei, was allen Zuwanderern und hier Lebenden gemein ist – und das sind beispielsweise die Grundwerte, die alle in einem Land Lebenden, teilen bzw. teilen sollten.
Familie hätte bei Zuwanderern einen größeren Stellenwert
Geht es darum, wo und wem Grundwerte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau vermittelt werden, warnt der Experte davor, sich auf die Schulen zu beschränken. Die Familie hätte bei Zuwanderern einen anderen, größeren Stellenwert. Insofern müssten alle Anstrengungen auf Kinder und Eltern abzielen.
Apropos Familie: Sie gehört auch zum größten Konflikt-Herd bei der Integration. Ein Beispiel: Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau wird bei Zuwanderern oft in der Familie entschieden bzw. von ihr geprägt. Klotz bringt ein Beispiel: Im außer-europäischen Ausland sei es oft selbstverständlich, dass die Kinder im Scheidungsfall beim Vater bleiben – in Österreich ist das Gegenteil der Fall.
Verschuldung wegen "Bürgschaften"
Und aus der Schuldnerberatung wisse man, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund bisweilen deshalb verschuldet sind, weil sie „Bürgschaften“ übernehmen müssen. „Da geht es um Dinge, die in der Familie um der Ehre willen weitergegeben werden.“
Worauf sich Zuwanderer offenkundig schnell einlassen – und was sie ankommen lässt – ist das kapitalistische Wirtschaftssystem. Laut Experten hat mittlerweile fast die Hälfte aller Unternehmer, die in Österreich in einer Stadt eine Firma gründet, Migrationshintergrund.
Eine der wesentlichen Botschaften des Experten: Das einfache Da-Sein bedeutet noch nicht, dass man Sitten und Gebräuche versteht. Vor allem die informellen Regeln und Sitten müssen aktiv erklärt werden.
Die Herausforderungen sind groß. Denn das Bildungsniveau in den seit 2015 existierenden Werte- und Orientierungskursen sinkt messbar. Zwei Drittel der Teilnehmer sind nicht alphabetisiert, sprich: Sie können weder lesen noch schreiben.
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