Österreich bekommt Treibhausgas-Countdown und Klima-Bürgerrat
Es ist nur ein Entschließungsantrag, den die ÖVP und die Grünen heute im Umweltausschuss einbringen. Aber der hat es in sich, sofern das Parlament dem auch zustimmen wird.
Drei besonders einschneidende Maßnahmen präsentierte Klimaministerin Leonore Gewessler am Dienstag, die massive Auswirkungen auf die Bürger, die Wirtschaft und die Industrie haben werden. Die Liste aller im Antrag enthaltenen Punkte finden Sie am Ende des Artikels.
Es geht darum, dass nun einschneidende Klimaschutzmaßnahmen bevorstehen, Gewessler will die Entscheidungen dazu aber nicht von oben verordnen, sondern sucht eine möglichst breite Basis in der Politik und der Bevölkerung.
Erfolgreiches Volksbegehren
Die Einigung ist ein großer Erfolg des Klimaschutzvolksbegehrens, das 380.000 Österreicherinnen und Österreicher unterstützt haben. Viele der nun gesetzten Maßnahmen fanden sich im Text des Begehrens.
Einig ist sich die Koalition erstens bei einer besonders einschneidenden Maßnahme: Österreich setzt sich ein Klimaziel in Form eines Klimabudgets. Das Land hat nur eine bestimmte, von der Wissenschaft festgelegte Menge an Treibhausgasen (in Millionen Tonnen), die in diesem Jahrhundert noch ausgestoßen werden dürfen.
Dazu soll ein wissenschaftlicher Klimabeirat installiert wird, der das hoffentlich schrumpfende CO2-Budget überprüfen soll. Dazu soll das Parlament, konkret der Budgetdienst eingebunden werden. Der Ausschuss bittet das Parlamentspräsidium, eine eigene Geschäftsstelle dazu einzurichten.
Budget in neun Jahren aufgebraucht
Diese maximale Treibhausgas-Menge dürfte in etwa bei 700 Millionen Tonnen liegen. Wenn man bedenkt, dass Österreich 2019 rund 80 Millionen Tonnen CO2 emittiert hat, wird klar, dass wir, wenn nichts geschieht, in knapp neun Jahren - 2030 - unser Budget überschritten haben werden.
Offen ist, was dann geschehen würde. Ob der Staat dann teure Emissions-Zertifikate kaufen müsste, wird erst in Brüssel im europäischen Gleichklang verhandelt werden.
Klimarat als "Mini-Österreich"
Das zweite große Thema betrifft Klimaräte. Ein „Mini-Österreich“, nannte das der grüne Umweltsprecher Lukas Hammer. Verkürzt gesagt werden einhundert repräsentativ ausgewählte mündige Bürger mit allen Informationen versorgt, sie sollen dann konkrete Handlungsanweisungen für die Politik vorschlagen.
Das dritte große Thema ist ein Klimakabinett. Weil verfassungsrechtlich der Bund in sehr vielen Bereichen keine Kompetenzen hat, weil die bei den Bundesländern liegen, wird ein eigenes Klimakabinett ins Leben gerufen, mit Bundeskanzler Sebastian Kurz als Vorsitzenden, Gewessler als Stellvertreterin und Mitgliedern der neun Landesregierungen. Auch hier geht es darum, dass Maßnahmen von allen Ebenen mitgetragen werden müssen.
"Historischer Erfolg"
Über einen "historischen Erfolg für Klima und Demokratie" freute sich das Team des Klimavolksbegehrens in einer ersten Reaktion. Der gemeinsame Antrag von ÖVP und Grünen greife wichtige Forderungen des Klimavolksbegehrens auf und übertreffe vielfach die allgemeinen Formulierungen des Regierungsprogramms.
"Vor allem die verfassungsrechtliche Verankerung eines wissenschaftlichen Klimabeirats (in Anlehnung an die Forderung nach einem Klimarechnungshof), die Einrichtung eines Klimarats der BürgerInnen bis Mitte 2021 und die Prüfung eines Grundrechts auf Klimaschutz in der Verfassung bis Ende Juni 2021 hätte es ohne den unermüdlichen Einsatz der vielen Freiwilligen und der knapp 400.000 Unterschriften nicht gegeben", hieß es in einer Aussendung.
Details fehlen
Viele Punkte seien aber auch noch offen: So brauche es bis zur Abstimmung im Nationalrat Ende März noch "konkrete Zeitabläufe und verbindliche Fristen", etwa für die Festlegung der jährlichen Klimaziele.
Großer Nachholbedarf herrsche auch bei der ökosozialen Steuerreform und dem Treibhausgasbudget. "Mit einem detaillierten Maßnahmenpaket zur CO2-Bepreisung und -Budgetierung steht und fällt erfolgreiche Klimapolitik. Nur dann können klare Lenkungseffekte eintreten.“, sagt Bernhard Thaler, wissenschaftlicher Berater des Klimavolksbegehrens. Soll das Pariser Klimaabkommen eingehalten und die Klimaneutralität bis 2040 tatsächlich erreicht werden, müssen auf den heutigen Meilenstein weitere folgen.
Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens, freut sich dennoch über einen großen Erfolg: “Ich bin überwältigt, dass wir es bis hierher geschafft haben. Ich danke allen, die das möglich gemacht haben. Der Antrag ist ein Sieg fürs Klimavolksbegehren und die direkte Demokratie in Österreich."
Klar sei jedoch, dass der heutige Entschließungsantrag "nur der Auftakt" zu ambitioniertem Klimaschutz sein könne.
Umweltorganisationen reagieren zurückhaltend
Licht und Schatten sehen auch Umwelt-NGOs. "Die Politik hat einige wichtige Forderungen des Volksbegehrens aufgegriffen, verpasst aber einen großen Wurf. Langjährige Baustellen der heimischen Klimapolitik bleiben offen, naturbasierte Lösungen werden ignoriert", sagt etwa WWF-Klimasprecherin Lisa Plattner. Positiv bewertet sie den geplanten wissenschaftlichen Klimabeirat zur Überwachung des CO2-Budgets, den Klimarat, die Prüfung des Grundrechts auf Klimaschutz und die Konkretisierung des Klimakabinetts.
Ähnlich äußerte sich Greenpeace-Klimaexpertin Jasmin Duregger. Der Antrag sei ein Erfolg für das Klimavolksbegehren, explizit freut sie sich über den Klimarat, das Klimakabinett und die Klimamilliarde. Die "dringend notwendige" Umsetzung einer ökosozialen Steuerreform werde aber weiter auf die lange Bank geschoben.
Was im Antrag enthalten ist
- Gesetzliche Verankerung eines Paris-kompatiblen nationalen Treibhausgasbudget-Budgets, um bis spätestens 2040 die Klimaneutralität in Österreich zu erreichen
- Vorlage einer Studie bis Ende Juni 2021, in der die Möglichkeiten einer verfassungsrechtlichen Verankerung eines Grundrechts auf Klimaschutz aufgezeigt werden
- Ein österreichisches Klimakabinett wird eingerichtet. Es besteht aus Mitgliedern der Bundesregierung sowie der Landesregierungen unter Vorsitz des Bundeskanzlers sowie der Ministerin für Klimaschutz
- Kompensationszahlungen für das Verfehlen von EU-Klimazielen sollen durch die Einrichtung eines Klimaverantwortlichkeitsfonds vermieden werden, der Klimaschutzmaßnahmen im Inland finanziert. Der Fonds wird im Falle einer Zielpfadabweichung durch die gemeinsam verantwortlichen Bundesländer und dem Bund gespeist
- Im Sinne der im Regierungsprogramm verankerten Zielsetzung Klimaneutralität 2040 sind jährliche gesamtstaatliche Klimaziele gesetzlich zu verankern. Diese Klimaziele legen die jährlichen gesamtstaatlichen Höchstmengen für den Ausstoß von Treibhausgasen für ganz Österreich im non-ETS Bereichs bis 2040 fest und teilen diese auf die einzelnen Sektoren auf; Über den ETS Regelungsbereich hinausgehende Vereinbarungen werden einerseits bei der Zieldefinition als auch bei den Zielpfaden berücksichtigt
- Verfassungsrechtliche Verankerung eines wissenschaftlichen Klimabeirats, der die Einhaltung des CO2-Budgets prüft und insbesondere bei möglichen Verfehlungen konkrete Empfehlungen für zusätzliche Maßnahmen ausspricht
- Bei allen neuen und bestehenden klimarelevanten Gesetzen und Verordnungen führt dieses Gremium darüber hinaus eine wissenschaftliche und transparente Folgenabschätzung für Klima-, Umwelt- und Artenschutz durch
- Das Präsidium des Nationalrates wird um Prüfung ersucht, die Arbeit des Budgetdienstes, entsprechend den Vorgaben des Regierungsprogrammes, um Fragen der Einhaltung eines nationalen Treibhausgasbudgets zur Klimaneutralität bis 2040 zu erweitern. Der Budgetdienst soll Analysen, Expertisen und Kurzstudien zu Regierungsvorlagen erstellen können und insbesondere dazu beitragen, dass eine möglichst kosteneffiziente Erreichung der Klimaziele und der damit verbundenen Zahlungen sichergestellt wird
- Einführung eines verpflichtenden und unabhängigen Klimachecks für alle neuen und bestehenden Gesetze, Verordnungen und Bund-Länder-Vereinbarungen sowie für die Erstellung von Förderrichtlinien und Investitionen des Bundes
- Ermittlung der volkswirtschaftlichen Kosten von CO2-Emissionen als Referenzwert für Kostenwahrheit unter Berücksichtigung der europäischen Ebene
- Bis Juli 2021 wird eine Studie vorgelegt, welche die klimaschädlichen Subventionen auf Ebene des Bundes sowie auf Ebene der Länder analysiert und insbesondere eine Wirkungsabschätzung samt Emissionen für alle Sektoren beinhaltet. Maßnahmen für die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen sollen gemeinsam mit Vertreter*innen der Bundesländer und Stakeholder diskutiert und in einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern beschlossen werden
- Eigene Mautkategorie für Autobusse bzw. Reisebusse zur Reduktion des Individualverkehrs
- Entschlossener Kampf gegen den Tanktourismus und den LKW-Schwerverkehr aus dem Ausland
- Korridor-Maut: Erarbeitung eines Vorschlags an die Europäische Kommission zur Überarbeitung der Europäischen Richtlinien (Wegekostenrichtlinie, Eurovignette), um eine größere Flexibilität bei der Mauttarifgestaltung für LKW zu erreichen
- Der Ausstieg aus Öl, Kohle und fossilem Gas sowie der Umstieg auf Erneuerbare in der Raumwärme wird bis zum Jahr 2040 festgeschrieben, mit dem Ziel, bis 2040 die gesamte Wärmeversorgung vollständig zu dekarbonisieren. Dabei werden insbesondere zur Dekarbonisierung in der Raumwärme und zur Vermeidung sozialer Härtefälle alle Maßnahmen durch eine langfristig angelegte, degressiv gestaltete und sozial gestaffelte Förderung flankiert
- Errichtung eines Vehikels für Transformation und Innovation, um besonders emissionsintensive Unternehmen wettbewerbsfähig und kompatibel mit dem Pariser-Klimaabkommen weiterzuentwickeln
- Zur ausreichenden Finanzierung der Technologieoffensive ist in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Finanzen eine Weiterführung der bereits 2021 beschlossenen zusätzlichen Klimaschutzmilliarde (im Vergleich zu 2019) vorzusehen, wovon jedenfalls 500 Mio. auf den Bereich klimafreundliche Mobilität, mind. 250 Mio. auf den Bereich Sanierungen und mind. 100 Mio. auf den Bereich Forschung entfallen sollen
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