An einem brütend heißen Septembernachmittag steht Niki Kowall bei der Servitenkirche am Wiener Alsergrund und versucht etwas fast Unmögliches: Er will Kaffee loswerden.
Keinen kühlen Eiskaffee, auch keinen schicken „Latte“ mit „crushed-ice“, nein: Wir sprechen von solidem, heißem Kaffee, wie ihn der Automat in seinem Wahlkampfstand brüht. Bei nachgerade hochsommerlichen Temperaturen eine Herausforderung.
Warum tut er das? Die schnelle Antwort: Kowall will mit Passanten ins Gespräch kommen.
Vorzugsstimmenwahlkampf
Der als Parteirebell bekannte FH-Professor hat einen Vorzugsstimmenwahlkampf begonnen. Vom aussichtslosen 20. Platz der Wiener Landesliste will er ganz nach vorne – und damit in den Nationalrat einziehen.
25.000 Vorzugsstimmen braucht er nach eigener Kalkulation – ein sportlicher Zugang. Pamela Rendi-Wagner schaffte beim letzten Mal etwas mehr als 26.000. Aber die war auch Bundesparteivorsitzende.
Machtkampf
Der Hochschullehrer für Internationale Wirtschaft muss also ziemlich viele Menschen von sich überzeugen. Und er benennt ein wesentliches Motiv seiner Kandidatur: „Damit fordere ich auch das Parteiestablishment heraus.“ Hier wird es etwas kompliziert. Denn die Ansage stimmt – und dann auch wieder nicht.
Geht’s um Parteichef Andreas Babler, ist der Satz jedenfalls falsch: Kowall kämpft nicht gegen ihn, im Gegenteil: Er ist ein deklarierter Unterstützer. Kowall war es, der am Höhepunkt des Machtkampfs Rendi-Wagner gegen Hans Peter Doskozil überraschend für den Vorsitz kandidierte – und dann zugunsten Bablers zurückzog. Im Nationalratswahlkampf sieht der 42-Jährige seine Aufgabe darin, „die Parteiführung“ – also Babler – „zu ergänzen“.
Industriepolitik
Kowall hat ein Buch geschrieben, er spricht gern über Industriepolitik. Oder genauer: über die „Dekarbonisierung – das größte wirtschaftliche Um- und Aufbauprogramm seit Ende des Zweiten Weltkriegs“. Windparks, Ideen zum Batterie-Recycling oder Wasserstoff-Pipelines seien riesige öffentliche Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen und sichern würden. „Bei all dem muss einfach jedem Sozialdemokraten das Herz aufgehen. Und wir haben auch einen Plan, das EU-konform zu finanzieren.“
Wenn aber nicht Babler, was oder wer ist dann das „Establishment“? Nun, hier hat sich in der politischen Welt des Niki Kowall nicht viel geändert. Schon 2007, als er die „Sektion 8“ gegründet hat, ging es für ihn darum, vor allem in der Wiener Partei den beharrenden Kräften zu zeigen, dass man inhaltlich mutiger werden muss. Mit einer eindringlichen Rede beim Landesparteitag 2011 vertrieb er das kleine Glücksspiel aus Wien.
Diese Revolte gegen die Führung wird ihm bis heute von Teilen der SPÖ übel genommen. Insbesondere von der „Liesinger Partie“. Und deren prominentestes Gesicht ist nach der Demission Werner Faymanns eine Frau namens Doris Bures.
Für Kowall ist es „bezeichnend“, dass Liesings SPÖ-Chefin ausgerechnet dann ihren Vorzugsstimmenwahlkampf ausrief, nachdem er, Kowall, die Kampagne gestartet hatte. Dass Bures Bablers Wahlprogramm als möglicherweise unernst kritisierte, tut ein Übriges – immerhin war es Kowall, der unter den für das Programm maßgeblichen Expertengruppen jene für die Industriepolitik leitete. „Den Vorzugsstimmenwahlkampf von Doris Bures empfinde ich nun als Duell zwischen Reformen und Bewahrern.“
Die Chancen, zumindest einen Achtungserfolg zu landen, stehen gar nicht schlecht. 1.405 Vorzugsstimmen bekam Bures beim letzten Mal in Wien. Allein Kowalls SPÖ-Bezirksorganisation am Alsergrund zählt mehr Mitglieder.
Kommentare