Neues Risiko für Wahlaufhebung

Der neue Vorwahltag könnte das Wahlergebnis am eigentlichen Wahlsonntag beeinflussen
Der Vorwahltag macht Exit-Polls in der Schlussphase des Wahlkampfs möglich. Experte Theo Öhlinger sieht darin die Gefahr der Wahlbeeinflussung

SPÖ und ÖVP sind bemüht, bundesweite Wahlen gegen eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof abzudichten. Ein Mittel dazu ist die Einführung eines vorgezogenen Wahltags. Damit soll der Trend zur Briefwahl eingedämmt werden.
Doch just im vorgezogenen Wahltag verbirgt sich ein neues Risiko. Wenn Bürger bereits zehn Tage vor dem eigentlichen Wahlsonntag wählen, können so genannte Exit-Polls gemacht werden. Das sind Umfragen, bei denen die Interviewer vor den Wahllokalen stehen und die heraus kommenden Wähler fragen, welche Partei sie gerade angekreuzt haben. Solche Exit-Polls haben eine höhere Treffsicherheit und Glaubwürdigkeit als normale Umfragen, weil nur Leute in die Stichprobe kommen, die tatsächlich zur Wahl gegangen sind, und weil auch das Erinnerungsvermögen zwei Minuten nach der Stimmabgabe noch frisch und unbeeinträchtigt ist.

Mit solchen Exit-Polls, durchgeführt im Auftrag von Parteien, lässt sich in einer Wahlkampf-Schlussphase prächtig Stimmung machen. Man kann spätentschlossene Wähler beeinflussen und taktisches Wählen befeuern. Ein Beispiel wäre: Neos stehen im Exit-Poll knapp unter der Einzugshürde ins Parlament. Dann wählt sie am Wahlsonntag keiner, in der Sorge, seine Stimme wegzuwerfen.

Stimmungsmache

Wie man einen letzten Swing erzeugt, hat die ÖVP in Graz bei der Gemeinderatswahl vor zwei Wochen vorexerziert. Sie hat nach dem Vorwahltag einen Exit-Poll gemacht und veröffentlicht. Demnach hätte es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben können. Einige Politik-Experten meinen, dass diese Warnrufe, Bürgermeister Siegfried Nagl sei durch eine linke Mehrheit gefährdet, der ÖVP noch Zulauf verschafften. Der Protest der anderen Parteien gegen diese Vorgangsweise der ÖVP in Graz war groß, aber keine Partei rief deswegen den Verfassungsgerichtshof an.
Bei einer Nationalratswahl könnte jedoch eine Partei auf die Idee kommen, das Höchstgericht auf den Plan zu rufen – insbesondere, wenn es ein knappes Ergebnis gibt. Und da könnte es durchaus passieren, dass der Verfassungsgerichtshof dem Kläger recht gibt. Grund für diese Annahme liefert das jüngste Erkenntnis zur Bundespräsidenten-stichwahl im Mai. Da pochte das Höchstgericht auf den „Grundsatz der Freiheit der Wahl“. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die systematische Weitergabe von einzelnen Wahlergebnissen (etwa aus Kleingemeinden) vor dem Schließen der letzten Wahllokale „auf das Wahlverhalten und damit auf das Ergebnis der Wahl von Einfluss sein kann“, befanden die Höchstrichter.

"Jedenfalls problematisch"

Der Wahlrechtsexperte Theo Öhlinger sagt zum KURIER, die Verfassungsrichter hätten sich zwar auf die Weitergabe von echten Wahlergebnissen durch die Behörde bezogen. Aber zwischen Teilwahlergebnissen, die hochgerechnet würden, und einem Exit-Poll bestehe nur ein „geringer Unterschied“.
Letztlich, so Öhlinger, gehe es um den Grundsatz der Freiheit der Wahl und eine mögliche Beeinflussung des Wahlergebnisses. Öhlinger: „Ich glaube nicht, dass der Verfassungsgerichtshof so weit gehen würde, den vorgezogenen Wahltag zu verbieten. Aber konsequenterweise müsste die Veröffentlichung von Exit-Polls verboten werden, wenn ich auch zugebe, dass ich nicht weiß, wie man ein solches Verbot in Zeiten von Facebook & Co in den Griff kriegt.“ Öhlinger hält das Jonglieren mit Exit-Polls in der Schlussphase eines Wahlkampfs „jedenfalls für problematisch“ und für „ein Spannungsfeld zu den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs“.

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