In den Umfragen bekannten sich damals weniger Menschen zu FPÖ-Chef Jörg Haider als am Wahltag. Die Freiheitlichen wurden von den Meinungsforschern also unterbewertet. „Die Menschen hatten Sorge, dass jemand von ihrer Sympathie für die FPÖ erfahren könnte und ihnen negative Konsequenzen drohen. Die Freiheitlichen waren in der medialen Erzählung ja damals nie ‚die Guten‘“, sagt Bachmayer.
Die Meinungsforschung habe darauf reagiert und begonnen, die Umfragen zu „kalibrieren“. Heißt: Die FPÖ wurde aufgewertet, erhielt also zusätzliche Stimmen. Dabei orientierte man sich beispielsweise am letzten Wahlergebnis. „Die Prognosen wurden dadurch immer zutreffender.“
Mit der Flüchtlingskrise 2015 und der Umstellung auf Online-Umfragen habe sich das Blatt aber gewendet. „Die Menschen verleihen ihrem Unmut in den Umfragen eher Ausdruck, die FPÖ wird seit rund zehn Jahren überbewertet. Wir mussten die Kalibrierung daher anpassen“, sagt Bachmayer. Was bedeutet das für die Nationalratswahl?
Wahlsieg für SPÖ in sehr weiter Ferne
Die zeitliche Nähe zur EU-Wahl am 9. Juni macht die Kalibrierung laut Bachmayer "etwas einfacher". Dort schnitt die ÖVP stärker, die FPÖ schwächer ab als erwartet. Dementsprechend werde die ÖVP in den aktuellen Umfragen im Vergleich zur FPÖ aufgewertet. „Die große Frage ist, ob sich das nun wieder dreht. Wir wissen, dass die ÖVP bei Europawahlen traditionell stark mobilisiert und die europaskeptische FPÖ eher nicht. Gleichzeitig versammeln sich aber die Wähler bei Extremereignissen wie der Hochwasser-Katastrophe eher hinter den Anführern. Das müsste also Bundeskanzler Karl Nehammer helfen“, so Bachmayer.
Laut APA-Wahltrend liegt die FPÖ wenige Tage vor der Wahl bei 27,2%, die ÖVP bei 24,7 % und die SPÖ bei 20,6 %. Der Unterschied zwischen FPÖ und ÖVP sei nicht signifikant, jener zwischen ÖVP und SPÖ auch nicht, erklärt Peter Hajek.
Heißt: Das Rennen um Platz eins und Platz zwei ist offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die FPÖ Erste und die ÖVP Zweite wird, gilt aber als höher. „Der Unterschied zwischen FPÖ und SPÖ ist wiederum signifikant. Dass die SPÖ vor der FPÖ liegt, ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Ich würde sagen, die Chancen stehen 5 : 95“, sagt Hajek.
Bablers Kritik: Spontan oder geplant?
Andreas Babler bewertet das anders. Bei der Elefantenrunde auf Puls24 stellte er Meinungsforscher Christoph Haselmayer zur Rede. Der Grund: In den Rohdaten von Umfragen des SPÖ-nahen Instituts Ifes soll Babler sogar auf Platz eins liegen. Zu Erklärung: In den Rohdaten steht, was die Befragten in den Interviews geantwortet haben. Diese Ergebnisse werden dann auf Fehler überprüft und hochgerechnet. Wie kommentieren unabhängige Meinungsforscher Bablers Kritik?
„Bei mir würde Andreas Babler damit ins Out laufen. Die SPÖ liegt in unseren Rohdaten bei 17 %, die ÖVP bei 20 und die FPÖ bei 23 %“, meint Hajek. Und: „Wir sind vollkommen transparent und veröffentlichen unsere Rohdaten. Wer an unseren Umfragen zweifelt, kann gerne vorbei kommen und sich das anschauen.“
Bachmayer glaubt, dass Bablers Aktion "nicht spontan war", sondern einer bekannten Strategie folgte: „Das gezielte Kommunizieren von Zweifeln an Umfragen gibt es seit Jahrzehnten. Politiker machen Meinungsforscher dann zu Sündenböcken, wenn sie schlecht wegkommen.“ Schlechte Umfragen sorgen für schlechte Stimmung in der Partei. Das könnte wiederum die Funktionäre im Wahlkampf „demobilisieren“, sagt der OGM-Chef. „Stimmungen machen Stimmen. Und die Umfragen karikieren natürlich Bablers Ansage, dass er die Wahl gewinnen wird.“
"Umfragen entscheiden nicht die Wahlen"
Dennoch sieht sich die Meinungsforschung auch dem Vorwurf ausgesetzt, das Wahlergebnis durch die Umfragen an sich zu festigen. Etwa, weil Personen befürchten, ihre Stimme einer zu schwachen Partei zu geben. Aber wie stark beeinflussen solche "taktischen Wähler" das Ergebnis wirklich?
„Prinzipiell ist das schwer messbar. Die Anzahl der taktischen Wähler bewegt sich jedenfalls im einstelligen Prozentbereich. Und die laufen wiederum nicht alle in dieselbe Richtung, sondern verteilen sich auch auf alle Parteien", betont Hajek. Klar sei: „Am Ende des Tages entscheiden nicht die Umfragen die Wahlen, sondern die Themensetzung, die Qualität des Wahlkampfs und des Spitzenkandidaten.“
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