Eine Regierungsbildung ist auch eine Frage der Chemie
Wenn Karl Nehammer sagt, er will nicht mit einer FPÖ unter Herbert Kickl zusammenarbeiten, und auch nicht mit Leonore Gewessler von den Grünen, dann wird das mitunter als beleidigt, unsachlich oder gar unprofessionell abgetan. „Es geht um Inhalte, nicht um Personen“, lautet dann der Konter.
Der KURIER wagt die Gegenthese: Es geht um Personen. Mehr, als Politiker öffentlich zugeben würden. Unter Quellenschutz bestätigen das viele namhafte Personen aus laufenden und früheren Regierungen. Und sie ergänzen: Es geht vor allem um Vertrauen. Und ja, auch um Sympathie.
„Jemandem, der mir unsympathisch ist, werde ich nie ganz vertrauen können“, sagt etwa ein ÖVP-Mann. Ein anderer erklärt: „Vertrauen ist in diesem Beruf, der so fordernd ist und wo du jeden Tag in der Auslage stehst, entscheidend für Erfolg oder Misserfolg. Ich muss aus einer Verhandlung gehen und mich darauf verlassen können: Was wir ausgemacht haben, das hält. Es kommt nicht von irgendwo ein Hackl geflogen.“
Sushi und Pizza
In der früheren SPÖ-ÖVP-Koalition waren die Hackln an der Tagesordnung. Umso mehr war dann ÖVP-Chef Sebastian Kurz in seiner Koalition mit den Blauen auf Harmonie bedacht. „Das war aber nicht gespielt. Diese Vertrautheit und Herzlichkeit war echt“, betont ein Türkis-Insider.
Kurz war in Sachen Humor mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf einer Wellenlänge, während Strache von der Professionalität und Zielstrebigkeit der Kurz-ÖVP beeindruckt war. Man traf einander sogar in den eigenen vier Wänden. „Das ist ein Vertrauensvorschuss für denjenigen, der eingeladen ist. Der Gastgeber gibt dabei ja etwas von sich preis“, erklärt einer, der dabei war. Dazu gehörte gemeinsames Essen und Trinken, meist wurde Sushi oder Pizza bestellt.
Kurz und Werner Kogler hingegen hätten bis zum Schluss „gefremdelt“, erzählt man sich. Umso wichtiger war und ist das gute Verhältnis zwischen den Klubobleuten August Wöginger und Sigrid Maurer. Ohne sie, ist man sich auf beiden Seiten sicher, hätte die Koalition niemals so lange durchgehalten.
Privat hätten aber alle Beteiligten immer eine „gesunde, respektvolle Distanz“ gewahrt. Auch zwischen Mitarbeitern der Kabinette sei immer ein „latentes Misstrauen“ in der Luft gelegen. Daran habe auch der Abgang von Kurz Ende 2021 nur wenig geändert.
Schwarz-rote Annäherung
Damit keine Missverständnisse entstehen: Um Freundschaft oder Verhaberung geht es nicht – das betonen alle Befragten. Eine ÖVP-Politikerin bringt es auf den Punkt: „Das Zwischenmenschliche hilft, um auf einer professionellen Ebene gemeinsam Erfolge zu erzielen.“
Eine vorsichtige Annäherung gab es jüngst zwischen ÖVP und SPÖ bzw. dem engsten Kreis um Karl Nehammer und Andreas Babler bei einem Tafelspitz-Essen.
Seit 2020: ÖVP-Grüne
Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg und dann Karl Nehammer mit Werner Kogler
2019-2020: Experten
Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein
2017-2019: ÖVP-FPÖ
Sebastian Kurz mit Heinz-Christian Strache
2016-2017: SPÖ-ÖVP
Christian Kern mit Reinhold Mitterlehner und Wolfgang Brandstetter
2008-2016: SPÖ-ÖVP
Werner Faymann mit Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner
2007-2008: SPÖ-ÖVP
Alfred Gusenbauer mit Wilhelm Molterer
2000-’07: ÖVP-FPÖ/BZÖ
Wolfgang Schüssel mit Susanne Riess, Herbert Haupt und Hubert Gorbach
Zwischen den beiden Parteien gilt es noch reichlich Beziehungsarbeit zu leisten – wenn man bedenkt, dass die einstigen Großkoalitionäre einander nach dem Bruch 2017 nun sieben Jahre lang als Kanzler- und Oppositionspartei feindlich gegenüber gestanden sind.
Unterstützend wirken dabei jene Bande, die in dieser langen Zeit nie zerrissen sind. Nehammer und der Wiener SPÖ-Stadtrat Peter Hanke zum Beispiel sollen schon lange befreundet sein. Auf professioneller Ebene sind die Präsidenten Harald Mahrer, Wirtschaftskammer, und Wolfgang Katzian, Gewerkschaftsbund, aufeinander eingespielt – beide sind jetzt auch in den jeweiligen Verhandlerteams.
Hier hakt ein ÖVP-Mann ein, der schon auf vielen politischen Ebenen Verhandlungen geführt hat: „So verschieden die Personen und die Welten, aus denen sie kommen, sind: die Wertschätzung muss immer da sein. Dazu gehört, wie in jeder guten Beziehung, dass man versucht, den anderen zu verstehen, sich in ihn hineinzuversetzen.“
Türkis-grünes Feilschen
In der türkis-grünen Ära galt über weite Teile die Devise: „leben und leben lassen“, wonach jeder seine eigenen Ziele verfolgen durfte. Mit der Zeit wurde daraus eher ein Abtausch von Interessen, ein ständiges Feilschen.
Deshalb sagt ein ÖVP-Mann in Hinblick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen, dass ÖVP, SPÖ und (aus jetziger Sicht) Neos mehr gemeinsame Ziele und Wege definieren müssten.
Die Grünen sind momentan außen vor – Gewessler ist mit ein Grund. Bei der FPÖ ist Kickl der Grund. Was alle, mit denen der KURIER gesprochen haben, für nachvollziehbar halten – gerade jene, die in der türkis-blauen Koalition dabei waren. „Kickl war in dieser Koalition immer das Sorgenkind“, erzählt ein ÖVP-Mann. „Wieder mit ihm zusammenzuarbeiten – das geht sich in 100 Jahren nicht aus.“
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