„Bösartig oder unintelligent?“ Nationalratssitzung kippte von Harmonie auf Attacke
Und plötzlich ist es leise im Plenum. Sehr leise. Karl Nehammer steht am Rednerpult, die Minister seiner Regierung flankieren ihn. Es ist die letzte Nationalratssitzung vor dem Wahlsonntag. Und nach einer aktuellen Stunde, bei der die Neos die Budgetpolitik des scheidenden Finanzministers Magnus Brunner hinterfragt haben, steht nun der Bundeskanzler am Pult und erklärt, was die Regierung im Zuge der Hochwasser-Katastrophe unternommen hat und unternehmen will.
Nehammer erzählt von den Rettern und erwähnt mehrfach, wie sehr ihn Solidarität und Zusammenhalt von Bundesländern und Organisationen beeindrucken. Und als er wieder und wieder den Helfern dankt, die angepackt haben und dies noch zur Stunde tun, passiert etwas, was im Hohen Haus sonst nur bei Angelobungen mit Sicherheit zu beobachten ist: Alle Fraktionen klatschen.
Es ist ein Moment der Einigkeit, des Zusammenhalts. Die Republik bedankt sich bei Menschen, die im Schlimmsten helfen und anpacken. Da kann man nicht nicht klatschen.
Zurückhaltender werden Zustimmung und Applaus, als der ÖVP-Chef wiederholt, was die Regierung an Soforthilfe leisten will. Man stocke den Katastrophenfonds auf eine Milliarde Euro auf; der Wohnschirm für besondere Härtefälle geöffnet. Und Nehammer sagt, dass „wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um schnell zu helfen.“
So selbstverständlich dieser Satz auch klingt, er wird Nehammer Minuten später zum Verhängnis werden. Oder genauer: Er wird ihm zum Vorwurf gemacht. Doch dazu später mehr.
Zunächst liegt es an Vizekanzler Werner Kogler, Nehammers Dank zu wiederholen. Es kommt nicht oft vor, dass Freiheitliche einem Grünen-Chef applaudieren. Doch als Kogler die Leistungen des Bundesheers bedankt, passiert genau das: Die FPÖ-Fraktion klatscht. Nicht geschlossen, aber immerhin. Es ist der letzte versöhnliche Moment zwischen Kogler und Herbert Kickls Fraktion.
Bösartig oder unintelligent
Die nächsten Momente sind noch unverdächtig. „Es ist heikel, das hier anzusprechen. Aber wir müssen die Frage stellen: Wie können wir solche Ereignisse und deren Konsequenzen mildern?“, fragt Kogler in die Runde. „Wir brauchen mehr Natur - das ist im Übrigen auch das, was die Re-Naturierung meint.“ - Eine Spitze in die Richtung der ÖVP. Und dann geht er ziemlich direkt auf Konfrontationskurs mit den Blauen: Wetter-Extreme wie Dürre und Hochwasser, die früher alle fünf Jahre kämen, seien nun fünfmal im Jahr zu beobachten. Wer der Wissenschaft nicht glaube und den Klimawandel den Sonnenflecken zuschreibe, sei entweder „bösartig oder unintelligent“. „Lassen Sie sich die Flecken vor den Augen sanieren!“
Einzelschicksale
Nun klatscht niemand mehr in der FPÖ, im Gegenteil: Der Fehdehandschuh ist geworfen, der Wahlkampf läuft offenbar wieder an. Und so gibt es nur noch eine Frage, die an diesem Mittwoch im Parlament beantwortet werden muss: Wie reagiert Herbert Kickl?
Als der freiheitliche Parteichef beginnt, bleibt er staatstragend. „Wir wurden Zeugen, wie Teile unserer Heimat schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden.“ Das Land stehe im Bann der Bilder und Schäden. „Wir alle wissen, dass hinter den Schlagzeilen, Tausende Einzelschicksale stecken.“
Bis hierhin kann und will ihm niemand widersprechen. Doch als Kickl fragt, „Was kann und muss die Politik jetzt tun?“ ahnt man: Da kommt noch etwas. Wobei das untertrieben erscheint. Denn tatsächlich wird der FPÖ-Chef eine General-Kritik an der Katastrophenhilfe abliefern, die seines Erachtens mit völlig falschen Methoden vorgeht. So würden finanzielle Hilfen zwar zugesagt, dann aber „jahrelang“ nicht geleistet. Es gebe ein „Systemproblem“, Betroffene seien Bittsteller. „Sie lassen die Menschen allein!“, wirft Kickl dem Bundeskanzler an den Kopf. Er ist jetzt im Wahlkampfmodus. Karl Nehammer sitzt nur eine Armlänge entfernt. Und es erscheint nur konsequent, dass der Kanzler stoisch nach vorne schaut und jeden Augenkontakt mit Kickl vermeidet. Die beiden können nicht miteinander, das ist offensichtlich.
Kickl hindert das nicht daran, im Finale alle Kernthemen unterzubringen: Zuwanderung, Corona - und Russland. Oder genauer: die Ukraine. „Anstatt Milliarden in Entwicklungshilfe zu investieren, wäre das Geld in Österreich besser aufgehoben“, sagt er. Die Ukraine bekomme zu viel Unterstützung.
Der FPÖ-Chef will einen Antrag im Plenum stellen, dass Hochwasser-Opfer einen Rechtsanspruch auf vollständigen Ersatz ihrer Schäden haben. Und wenn die anderen Fraktionen nicht mitgehen?
„Dann“, so antwortet er, „wird das ein freiheitlicher Bundeskanzler umsetzen.“
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