Wahlkampf-Finale: Warum Kickl und die FPÖ nur mehr schwer einzuholen sind
Gefühlt gibt es bereits seit Jahresbeginn Wahlkampf. Ob innerhalb der Regierung, wo Türkis und Grüne nach fast fünf Jahren Koalition die Grenzen abstecken. Beispiele dafür sind die Konflikte um den Verbrennermotor, den Straßenbau oder das EU-Renaturierungsgesetz. Oder ob die gesamte Opposition bei jedem sich bietenden Thema versucht, taktisch zu punkten.
Ab sofort jedoch wird zum Sprint angesetzt. In etwas mehr als 40 Tagen wird gewählt, wer in Zukunft Österreich regieren soll. Und das unter Voraussetzungen, die Österreichs politische Landschaft bisher nicht kannte. Erstmals ist die FPÖ nicht Jäger, sondern Gejagte. Seit Monaten führen die Blauen unter der Regie von Bundesparteiobmann Herbert Kickl die Umfragen an. In manche Sonntagsfragen erreichten die Freiheitlichen sogar Werte knapp über 30 Prozent.
"Alles andere wäre eine Überraschung"
Meinungsforscher und Politanalysten glauben kaum mehr daran, dass Kickl noch von diesem Thron gestoßen werden kann. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer: „Alles andere wäre angesichts der aktuellen Themenlage eine große Überraschung.“ Ähnlich sieht es auch Politanalyst Thomas Hofer: „Die FPÖ wird nur noch schwer einzuholen sein.“
Wobei sich Herbert Kickl intern eine zweifache Latte gesetzt haben soll. Einerseits am 29. September als Wahlsieger vor die Mikrofone treten zu können, andererseits das bisher beste freiheitliche Ergebnis einzufahren. Dafür müssen die 26,91 Prozent übersprungen werden, die im Jahr 1999 dem damaligen FPÖ-Obmann Jörg Haider den zweiten Platz bescherten. Heinz-Christian Strache war 2017 mit 25,97 Prozent knapp dahinter geblieben.
Leichter Aufwärtstrend bei ÖVP
Am ehesten wird es noch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zugetraut, den blauen Durchmarsch zu stoppen. Seine Partei hat ja nach der EU-Wahl die Devise ausgegeben, die FPÖ von Platz 1 noch zu verdrängen. Motivation war das EU-Ergebnis, das die ÖVP ganz knapp an die Freiheitlichen herangeführt hatte. Thomas Hofer hatte das danach als „Absturz ins Glück“ bezeichnet. Man musste zwar fast 10 Prozentpunkte einbüßen, gleichzeitig war das Kopf-an-Kopf-Ergebnis Motivation für die türkisen Funktionäre.
Politikberater Joe Kalina von Unique Relations sieht seither Dynamik in der ÖVP, die ihr zu einem leichten Aufwärtstrend verhelfe. Kalina: „Was der ÖVP zugutekommt: Sie macht die gleiche Politik wie die FPÖ, aber mit dem freundlicheren Gesicht von Kanzler Karl Nehammer. Das könnte funktionieren.“ Wobei er es als „minimale Chance“ einstuft. Aber: „Ausschließen soll man so etwas nie“, sagt Wolfgang Bachmayer.
Babler mit schwierigster Ausgangsposition
Was Joe Kalina noch ins Rennen bringt: Bei Umfragen – auch jenen vor der EU-Wahl – würden mehr Menschen als in der Vergangenheit deklarieren, dass sie am Wahltag ihre Stimme abgeben. Bei der EU-Wahl hätte das bei den Freiheitlichen dann aber nicht geklappt, da wären etliche zu Hause geblieben, so die Untersuchungen.
Am schwierigsten dürfte die Ausgangssituation für die SPÖ sein. Deren Spitzenkandidat Andreas Babler hat genauso den Kanzleranspruch ausgegeben und möchte mit seiner Partei den ersten Platz erobern. Eine dieser Tage in Umlauf gebrachte interne Umfrage soll die Roten auch knapp hinter der FPÖ und vor der ÖVP zeigen.
Die meisten Meinungsforscher sehen die Sozialdemokraten derzeit allerdings auf dem dritten Platz einzementiert, ohne viel Bewegung. Ständige interne Reibereien mit so mancher Landesgruppe würden auch nicht zur Mobilisierung der Funktionäre beitragen, sagt Thomas Hofer. Entscheidend werde deswegen sein, wie sich die Landesparteien tatsächlich in den Wahlkampf-Sprint schmeißen und für ihren Spitzenkandidaten laufen.
Das wichtige direkte Duell
Wichtig wäre für Andreas Babler, dass er in der verbleibenden Zeit noch in eine direkte Duell-Situation mit Herbert Kickl kommt. Derzeit sieht es aber nicht danach aus. Es wird eher auf die Frage hinaus laufen: ÖVP-Kanzler Karl Nehammer oder FPÖ-Chef Herbert Kickl?
Deswegen ist die Aufregung der SPÖ rund um die TV-Duelle im ORF auch verständlich. Dort wird das Aufeinandertreffen von Karl Nehammer und Herbert Kickl den Abschluss bilden. Das hat die Redaktion rund um Johannes Bruckenberger so entschieden. Den bisherigen Usancen des ORF folgend, müsste eigentlich – gemäß der Stärke der Parteien im Parlament – Babler auf den Kanzler treffen. Der rote Stiftungsrat Heinz Lederer will nun das Thema in die nächste Sitzung des Aufsichtratsgremiums des ORF bringen. Garniert mit einer heftigen Protestnote.
Die unzähligen Duelle und Elefantenrunden im ORF und den Privatsendern sorgen auch dafür, dass die Spitzenkandidaten der Parteien in den noch verbleibenden Wochen kaum mehr aus Wien herauskommen werden. Wenn in diesen Duellen die Spitzenkandidaten aufeinandertreffen, könnte dies angesichts der knappen Ausgangslage diesmal entscheidend sein.
Was gelingt Wlazny?
Welche Koalitionen nach dem 29. September überhaupt möglich sind (siehe Seite 6/7), hängt nicht nur davon ab, wer sich von wem abgrenzt bzw. wer mit wem vorerst einmal nicht koalieren will. Entscheidend ist auch, wie viele kleinere Parteien in den Nationalrat einziehen werden. Derzeit wird laut Umfragen fix davon ausgegangen, dass es Dominik Wlazny mit seiner Bierpartei schaffen wird.
Ob ihm die KPÖ oder gar die Gruppe rund um die ehemalige grüne Klubobfrau Madeleine Petrovic folgt, ist eher ungewiss. Falls es wieder nur die fünf bisherigen Parlamentsparteien schaffen, könnte das die Folge haben, dass zwei Parteien auch dann eine Mehrheit im Parlament haben, selbst wenn sie zusammen unter 50 Prozent der Stimmen liegen.
Dass die Bierpartei am Wahltag den derzeitigen Umfragen gerecht wird, wird nicht mehr von allen Meinungsforschern als gegeben angenommen. Die beharrliche Verweigerung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, endlich wenigsten ein paar Eckpunkte eines Wahlprogramms auf den Tisch zu legen, sein Nicht-Auftritt im ORF, seine schlechte Performance bei einem Puls24-Gespräch – all das könnte das Projekt der Bierpartei noch zum Scheitern bringen.
Neue Themensetzung
Wobei Wahlprogramme diesmal nicht entscheidend sein werden. Immerhin hat sich wenige Tage vor dem Intensivwahlkampf die Themenlage komplett geändert. Statt Teuerung und Klimaschutz geht es jetzt nach dem vereitelten Terroranschlag auf das Taylor-Swift-Konzert um Sicherheit. Verbunden mit der Frage der Zuwanderung.
Wobei da auch die hohe Mindestsicherung in Wien hineinspielen wird. All das spricht eher dafür, dass es am Ende doch nur um das Duell ÖVP-Kanzler Karl Nehammer gegen FPÖ-Umfragenkaiser Herbert Kickl gehen wird.
Reportagen
Wollen die Spitzenkandidaten nicht nur im TV präsent sein, müssen sie durch die Bundesländer touren. Der KURIER wird für Reportagen und Interviews vor Ort sein – wie gewohnt dann auch am Wahlabend.
Podcast
Das Innenpolitik-Ressort des KURIER wird den Wahlkampf in seinem neuen Podcast „Milchbar“ launig diskutieren und analysieren
Analysen
Wofür stehen die Parteien? Der KURIER wird die Wahlprogramme genau unter die Lupe nehmen
Diskussionen
KURIER-Chefredakteur Martin Gebhart lädt je fünf Personen pro Sendung zu Diskussionen mit den Spitzenkandidaten ein. Anmelden können Sie sich dafür unter dem Link
kurier-events.at/nationalratswahl
Kommentare