Wie Kickl und die FPÖ aus dem Ibiza-Sumpf herausgefunden haben
Fünf Jahre ist es her, da lag die FPÖ nach dem Ibzia-Skandal und der Spesenaffäre ihres angetretenen und im Unfrieden geschiedenen Parteichef Heinz-Christian Strache völlig am Boden. Heute gibt es keine Umfrage, die die Blauen für die kommende Nationalratswahl nicht auf Platz eins sehen. Laut Apa-Wahltrend sind die Freiheitlichen mit 27 % unangefochten vorne, mit rund 4 Prozentpunkten dahinter erst ÖVP und SPÖ.
Wie kam es zu diesem Comeback? Für den Politik-Berater Thomas Hofer sind es drei, eng miteinander verbundene Faktoren, die für den blauen Höhenflug verantwortlich sind:
- Die aktuelle Schwäche der Gegner, allen voran der Bundesregierung.
- Die derzeitige Themenlage, geprägt von multiplen Krisen, die die Menschen verunsichern und emotionalisieren würden. Beginnend bei der Corona-Pandemie über den Klimaschutz und der Inflation bis hin zu den Debatten über politisch korrekte Sprachregelungen. „Das ist ein idealer Nährboden, den die FPÖ hier vorgefunden hat“, sagt Hofer.
- Die Person Herbert Kickl. Der FPÖ-Parteichef sei laut Hofer zwar ein guter Rhetoriker, aber nicht der große Charismatiker. „Seine echte Stärke ist aber, dass er ein sehr fähiger Stratege ist. Er kann Themen lesen, Strategien bauen, Schwerpunkte setzen und diese auf den richtigen Kanälen spielen.“
Die FPÖ-Medienkanäle
Früher und professioneller als den anderen Parteien sei es Kickl und seinem Team gelungen, eigene Medienkanäle etwa in den sozialen Medien zu schaffen, die in direkter Verbindung zu seiner Wählerschaft stehen. „Damit kann Kickl auf Auftritte in den herkömmlichen Medien (wie zuletzt beim Puls4-Sommergespräch, Anm.), bei denen er kritisch befragt wird, verzichten“, sagt Hofer.
Die Folge: Blaue Skandale (etwa jener um die Finanzen der Grazer FPÖ) würden die FPÖ-Wählerschaft in einem viel geringeren Ausmaß erreichen als dies bei anderen Parteien der Fall wäre.
Für Hofer sei es Kickl gelungen, eine „Dach-Erzählung“ zu erschaffen, die nach dem immer gleichen Schema ablaufen würde: „Auf der einen Seite wir, die für die Freiheit eintreten, auf der anderen Seite die anderen, die euch unterdrücken wollen: Mit den Pandemie-Maßnahmen, mit den Sanktionen gegen Russland, mit gendergerechter Sprache.“ Somit sei die FPÖ längst keine "Ein-Themen"-Partei mehr, bei der sich alles nur um Migration drehe.
Beispiel Corona: Ursprünglich noch ein Verfechter scharfer Maßnahmen, habe Kickl früh das große Potenzial eines impf- und maßnahmenkritischen Kurses erkannt. Damit hätten sich auch sehr gut Frauen ansprechen lassen, die traditionell bei der FPÖ eine eher schwach vertretene Wählerschicht waren.
Voller Angriff auf die ÖVP
Im aktuellen Wahlkampf geht die FPÖ vor allem auf die ÖVP los, während die SPÖ nur am Rande vorkommt. Ganz klar mit dem Ziel, die 2019 an die Türkisen verlorenen Wähler wieder zurückzuholen. „Insgesamt geht es um beachtliche 500.000 bis 600.000 Wähler, die für beide Parteien zu gewinnen sind“, rechnet der Experte vor.
Gleichzeitig ignoriere man die SPÖ, um sie erst gar nicht ins Spiel zu lassen.
Zuletzt skizzierte Kickl auch seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Sie ähneln frappant jenen der ÖVP: Steuern für Unternehmer runter, Kürzung der Lohnnebenkosten, Eigentum und Wettbewerb fördern.
Wirtschaftsliberal oder sozial?
Doch wie passt so ein Wirtschaftsprogramm zu einer selbsternannten „sozialen Heimatpartei“, die vorgibt, sich für den „kleinen Mann“ stark zu machen? Hofer ortet hier eine Strategie, die in ähnlicher Form bereits von Sebastian Kurz oder Donald Trump verfolgt worden sei. „Eine Strategie, die nicht nur auf den Neid auf die Reichen, sondern auch auf den Neid gegen den Nachbarn abzielt, dem man keine Sozialleistungen gönnt“, sagt Hofer. Es handle sich bei diesem Kurs freilich um eine Gratwanderung, wie der Experte einräumt. Bleibt die Frage, ob Kickl als Wahlsieger auch tatsächlich Kanzler wird. Hofer glaubt nicht, dass er sich wie einst Jörg Haider von der Parteispitze zurückziehen wird, um den Weg für eine Koalition (am ehesten mit der ÖVP) freizumachen. „Diesen Schritt Haiders hat Kickl immer für einen Fehler gehalten.“
Für Hofer steige die Wahrscheinlichkeit auf Blau-Türkis, sollte die ÖVP auf Platz drei zurückfallen. Denn als zweiter könnte man mit der SPÖ und einem dritten Partner koalieren und so den Kanzlerposten retten. In diesem Fall könnte sich Kickl als Opfer der „Systemparteien“ inszenieren, die ihn als „Volkskanzler“ trotz Platz eins für die FPÖ verhindert hätten. Mit dem Kalkül, bei der nächsten Wahl noch mehr Stimmen zu gewinnen.
Kommentare