Mückstein: "Wir müssen Geimpften Dinge erlauben"
Man soll sich von den Fotos nicht täuschen lassen. Wolfgang Mückstein, der neue Ressortchef im Gesundheitsministerium, legt großen Wert auf die FFP2-Maske. Nur kurz fürs Foto und erst als klar ist, dass die Besucher getestet sind, legt er sie ab. Als Arzt ist Mückstein zwar schon geimpft, aber er will ein Zeichen setzen: Die Pandemie ist nicht vorbei, und die Maske schützt. Das ist eine seiner Botschaften.
KURIER: Herr Minister, die Impfkampagne läuft – aber längst nicht reibungslos. Jedes Bundesland setzt andere Schwerpunkte, mancherorts wurden Lehrer, anderswo die Pfarrer geimpft. Was können Sie tun, um die Situation zu verbessern?
Wolfgang Mückstein: Es stimmt, dass die Bundesländer unterschiedlich weit sind, aber im Mai beginnt eine neue Phase. Wir haben zusätzliche 1,2 Millionen Impfdosen bekommen, und wir sind in einer Situation, die wir vor zwei Wochen noch nicht für möglich gehalten hätten. Jeder Erwachsene kann bis zum Sommer den ersten Stich bekommen, das ist eine sehr gute Neuigkeit. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, die Menschen mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass sie sich impfen lassen.
Aber derzeit gibt es ja viel mehr Impfwillige als Impfstoff, und die Impfbereitschaft ist gestiegen.
Ja, aber in fünf, sechs Wochen werden wir möglicherweise viel Impfstoff und zu wenige Impfwillige haben. Deshalb ist es mir auch nicht recht, wenn wir jetzt von der großen Party im Sommer sprechen. Wir wissen, dass sich ein Drittel der Menschen nicht impfen lassen will. Wir sollten uns gemeinsam zum Ziel setzen, dass 90 Prozent der Impfwilligen durchgeimpft sein sollen.
Die Regierung will den sogenannten Green Pass noch vor der EU umsetzen – Sie auch?
Der Grüne Pass macht nur Sinn, wenn das gesamteuropäisch gelöst wird. Da geht’s um Fragen wie: Was mache ich mit Menschen, die eine Impfung haben, die in der EU aber nicht zugelassen ist? Mir ist wichtig zu betonen: Es ist nicht dasselbe, ob man genesen, geimpft oder nur getestet ist. Daher wird es nötig sein, dass wir Geimpften auch Dinge erlauben. Es wird keine Impfpflicht geben, aber: Wer sich nicht impfen lässt, wird bestimmte Vorteile nicht haben können. Wer sich durch den Sommer „durchtesten“ will, wird zum Beispiel nicht nach Griechenland fliegen können.
Ihr Vorgänger hat geklagt, dass er sich alleingelassen gefühlt hat – insbesondere vom Koalitionspartner. Wie wollen Sie vermeiden, dass es Ihnen gleich ergeht?
In einer Pandemie sitzen wir alle im gleichen Boot. Der Kanzler ist der Kanzler, ich bin einer der Fachminister, und es wäre ganz schlecht, wenn Uneinigkeit besteht. Unser gemeinsames Ziel ist, dass die Intensivstationen von der Kapazität her so aufgestellt bleiben, dass sie auch einen Autounfall und einen Herzinfarkt aufnehmen können. Das steht über allem. Und wenn wir das erreichen, ist auch klar, dass wir keinen Lockdown brauchen. Denn der ist nur gerechtfertigt, wenn es auf den Intensivstationen knapp wird.
Sie haben bei Ihren ersten Wortmeldungen hervorgekehrt, dass es Ihnen um die Armutsbekämpfung gehen wird. Ihr Koalitionspartner ÖVP betont das Leistungsthema und hat erst diese Woche eine Pressekonferenz zum Thema Sozialmissbrauch gegeben. Wie gehen diese Positionen zusammen?
Die Armut wurde während der Pandemie größer, die finanziellen Möglichkeiten für viele kleiner. Eigentlich wissen wir aber nicht, wie dramatisch die langfristigen Folgen sein werden. Wir haben bei vielen Themen die Luft angehalten und gesagt: Die Pandemie ist wichtiger. Bei der Pflege müssen wir zum Beispiel gemeinsam mit den Ländern Reformen angehen.
Sie waren zwar in der Ärztekammer tätig, aber Erfahrung als klassischer Politiker fehlt Ihnen. Als Minister haben Sie machttechnisch geeichte Entscheidungsträger wie Landeshauptleute, Sozialversicherungsvertreter etc. als Gegenüber. Wie geht man damit um?
In der Pandemiebekämpfung ist ein Schulterschluss nötig – und den spüre ich in der Bundesregierung sehr stark. Da ist mein Part klar: Ich kümmere mich besonders um die Intensivstationen und die Gesundheit der Menschen – und da sind auch die Länder mit an Bord.
Normalerweise hat ein neuer Minister 100 Tage Schonfrist. Die gibt es für Sie nicht. FPÖ-Klubchef Kickl hat Sie im Nationalrat einen „Dogmatiker des Lockdowns und des Impfens“ genannt. Wie geht es Ihnen damit?
Ich bin zu Gast im Parlament und habe zu Herbert Kickl ein entspanntes Verhältnis. Wir vertreten unterschiedliche Positionen, auch ihn werde ich versuchen zu überzeugen, dass Masken etwa eine Form des Respekts sind. Herbert Kickl muss klar sein, dass Impfen der einzige Weg zurück in unser normales Leben ist.
Wie sehen Sie den Koalitionspartner? Ist die ÖVP christlich-sozial, liberal, rechtspopulistisch?
Das muss der Wähler einschätzen, nicht ich. Für mich gibt es ein vereinbartes Koalitionsübereinkommen. Ich war bei den Verhandlungen dabei und kenne das Koalitionsabkommen. Das ist für mich jetzt mein Auftrag. Dass es links und rechts davon durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt, das ist kein Geheimnis. Das muss man aushalten.
Wie sind Sie politisch sozialisiert? Was hat Sie geprägt?
Das war gegen Ende meines Studiums, als ich bei den Grünen angedockt habe. Mir ist der soziale Aspekt wahnsinnig wichtig, mir ist die Verteilung sehr wichtig, wobei ich selbst gute Startbedingungen gehabt habe.
Inwiefern?
Insofern, als mein Urgroßvater eine Waggonreparaturlehranstalt und -werkstätte aufgesperrt hat – 1913 war das. Damit war er erfolgreich. Er hat das unter den Kindern aufgeteilt, darunter mein Großvater. Der hat zwei Töchter gehabt, meine Mutter war eine davon, die hat wieder drei Kinder gehabt. Das ist mein familiärer Hintergrund. Nach dem Turnus habe ich in einer Drogenberatungsstelle und in einer Nachtschlafstelle gearbeitet. Wir sind alle zwei Stunden durchgegangen und haben geschaut, ob die Leute noch schnaufen. Die Frage, wie man den Ärmsten helfen kann, beschäftigt mich seit damals.
Zu einem Reizthema: Die ÖVP will keine Flüchtlingskinder aus griechischen Lagern in Österreich aufnehmen. Wie sehen Sie das?
Ich will das schon und werde mich dafür einsetzen. Aber auch da gilt das Koalitionsübereinkommen. Das war keine Liebeshochzeit zwischen den Grünen und den Türkisen. Ich bin natürlich dafür, Kinder aus Moria in Österreich aufzunehmen.
Die Grünen sind mit der Parole „saubere Umwelt, saubere Politik“ angetreten. Nun gibt es Vorwürfe an Ihren Koalitionspartner, dass einiges nicht supersauber gewesen ist – Stichwort Schmid-Chats. Wie bewerten Sie das?
Ich kommentiere das nicht, ich habe derzeit genug andere Sorgen als Gesundheitsminister. Ich möchte mich auch nicht über meine Schuhe unterhalten. Es gibt in meinem Bereich dringliche Probleme. Ich schaue in die Zukunft, und da geht es um die Intensivstationen, das Durchimpfen und wie wir es schaffen, dass die Kinder im September Präsenzunterricht bekommen.
Wie lange bleiben Sie in der Politik?
Ich gehe davon aus, dass ich bis Ende dieser Legislaturperiode Gesundheits- und Sozialminister bin. Dann gehe ich vielleicht wieder zurück, um Praktischer Arzt zu sein. Ich bin das sehr gerne.
Das Antrittsinterview mit dem Minister wurde gemeinsam mit der „Tiroler Tageszeitung“ geführt.
Wolfgang Mückstein wurde 1974 in Wien geboren. Nach dem Medizinstudium heuerte er bei sozialen Einrichtungen (Ganslwirt, Neunerhaus) an. Die Arbeit mit Obdachlosen und Drogenkranken habe ihn geprägt, sagt er. Mückstein engagiert sich seit zwölf Jahren in der Ärztekammer und bei den grünen Ärzten und hat das erste Primärversorgungszentrum Österreichs mitgegründet. Diese neue Art der Gruppenpraxis ermöglicht Ärzten das Arbeiten im Team und verbessert die Öffnungszeiten für die Patienten
Familienvater
Mückstein ist verheiratet und Vater von zweischulpflichtigen Töchtern. Neben dem Medizinstudium hat er einen Bachelor in traditioneller chinesischer Medizin. Scheidet er aus der Politik aus, kann er in seine Ordination zurückkehren
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