#metoo-Debatte wird zum Streitfall unter Frauen

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Die Grün-Politikerin Terezija Stoisits über die Wichtigkeit der #metoo-Debatte. Warum diese falsch läuft, erklärt TV-Ikone Chris Lohner.

Die beiden Protagonistinnen Terezija Stoisits und Chris Lohner demonstrieren eindrucksvoll, wie weit die Meinungen bei der #metoo-Debatte derzeit auseinander gehen – auch unter Frauen. Wo fängt sexuelle Belästigung an? Wie wirkt sich die aktuelle Diskussion auf die Frau-Mann-Beziehung im Alltag und im Büro aus? Hier hat die Grüne Stoisits eine klare Meinung: Bei #metoo-Debatte kann es keine Übertreibungen geben. Denn jede Diskussion fördert den Lernprozess bei den Männern. Ganz anders sieht es die ORF-Ikone Chris Lohner. Ihr gefällt es nicht, dass Männer nun unter Generalverdacht stehen. Sie befürchtet, dass das Verhältnis zwischen Frau und Mann künftig verkrampft und gestört sein wird. Ihre Prognose: Die Liebe wird zu kurz kommen, weil der Flirt nun tabuisiert wird.

Stoisits: „Bei diesem Thema gibt es keine Übertreibungen“

KURIER: Frau Stoisits, Sie lösten durch die Lutschaffäre eine Art #metoo-Kampagne vor 24 Jahren aus. Offenbar hat sich seit damals wenig geändert, wenn heute noch immer Fälle bekannt werden. Wie haben Sie damals die Affäre erlebt?

Terezija Stoisits:Momentan habe ich ein Déjà-vu. Was passierte 1993? Wir diskutierten im Parlaments-Ausschuss im Lokal III über das Aufenthaltsgesetz. Es war ein epochales Gesetz, wo es um viel ging. Wenn ich als Grüne am Wort im Ausschuss war, herrschte ein Geräuschpegel, den man sich nicht vorstellen konnte. Es war mehr Wirtshausatmosphäre als politische Debatte. Damit man überhaupt gehört wurde, gab es Standmikrofone, die man zu sich ziehen musste. Als ich an der Reihe war, sagte der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Paul Burgstaller launig und laut zu mir: "Heranziehen. In den Mund nehmen. Und fest dran lutschen." Sein Ziel war es, mich mundtot zu machen. Niemand reagierte im Ausschuss darauf – das war empörend. Weder SPÖ-Innenminister Franz Löschnak noch die FPÖ-Abgeordnete Helene Partik-Pablé. Für mich war aber Schluss mit lustig.

Ich schrieb an den Rand der parlamentarische Dokumentation: Persönliche abweichende Stellungnahme. Der profil-Journalistin Christa Zöchling fiel der Vermerk auf, sie fragte bei mir nach, konfrontierte Burgstaller mit meiner Aussage und er stritt es gar nicht ab. Ab da rollte die Lawine. Helga Rabl-Stadler platzte als ÖVP-Vizeparteichefin der Kragen. Sie sorgte für den Rausschmiss von Burgstaller. Insofern stimmt es, dass mein Fall eine Art #metoo-Debatte war. Denn es folgte eine breite Diskussion, wo Sexismus offen thematisiert wurde.

Viele Frauen beklagen derzeit, dass in dieser #metoo-Kampagne zu viel vermischt wird: Von kleinen verbalen Ausrutscher bis zur Vergewaltigung kommt alles in einem Topf. Bei Partys wird gewitzelt, ob man einer Frau überhaupt noch auf die Schulter klopfen darf. Läuft die Diskussion nicht gerade in die falsche Richtung?

Wenn ein Mann bei einer Party über so etwas witzelt, dann hat er überhaupt nichts kapiert. Bei #metoo kann es keine Übertreibung geben, weil es immer um unterschiedliche Wahrnehmungen geht. Denn was für den einen lustig ist, kann für einen anderen demütigend sein und tiefe Kränkungen hervorrufen. Selbst wenn man aus Achtlosigkeit handelt, zeigt es, dass hier das Bewusstsein fehlt. Der gesellschaftliche Lernprozess kann ja nur so entstehen, dass aufgrund der Erzählungen aus der Gefühlswelt der Frauen mehr Sensibilität für die weibliche Wahrnehmung entsteht. Selbst wenn die Frau nicht sofort "Schluss" oder "Nein" sagt.

Aus Ihrer Sicht muss die Debatte also nicht differenzierter ablaufen?

Die Debatte bedeutet ja nicht, dass man künftig schmähbefreit durchs Leben laufen muss. Sie darf aber nicht ins Lächerliche gezogen werden. Denn für ein junges Mädchen ist es nicht leicht, in der U-Bahn zu fahren, wo Männer glauben, sie können sie wegen ihrer Jugend betatschen. Nur durch solche Prozesse lernen junge Frauen, sich zu wehren und Stopp zu sagen. Dieser #metoo-Prozess stärkt die jungen Frauen.

Vor einer Woche trat Ihr ehemaliger Parteikollege Peter Pilz zurück. Was war Ihre erste Reaktion?

Jeder ist ein Ergebnis der Zeit, in der er sich bewegt und aufwächst. Er hat ja selbst gesagt, dass er zu jenen alten Männern gehört, die noch dazulernen müssen. Peter Pilz ist ein Mann, der ganz genau weiß, wo seine Macht liegt, nicht nur in dieser Sphäre, sondern auch in anderen.

Peter Pilz spekuliert ja noch immer, ob er nach einigen Monaten Auszeit in den Nationalrat zurückkehrt. Könnte er politisch noch etwas bewegen?

Die ersten spontanen Reaktionen haben oft einen hohen Einsichtswert. Sein Rücktritt war sehr sinnvoll, denn er zeigt, dass es einen Lernprozess gibt. Ich war allerdings irritiert, als zwei Tage später alles wieder anders war. Ich würde ihm ein Politik-Comeback nicht empfehlen, denn politisch ist er eine "Lame Duck".

Machen Sie Frauen wie Nina Proll wütend, die sich auf die Seite der Männer stellen?

Sie stellt sich nicht auf die Seite der Männer, sondern Frau Proll ist in dieser Frage für mich sehr unreflektiert. Sie hat zwei Kinder. Ich frage mich, ob sie überhaupt weiß, wie groß ihre Verantwortung gegenüber ihren Kindern ist. Denn es geht immer ums Vorleben von Werten.

Lohner: "Ernste Sache wird Boulevardfest"

KURIER: Frau Lohner, auf Facebook beschweren Sie sich, dass die Vorwürfe in den #metoo-Fällen sehr bizarre Formen annehmen. Stehen Sie nicht zu hundert Prozent hinter Frauen?

Chris Lohner: Ich stehe immer hinter Frauen, die Hilfe brauchen. Wenn es um sexuelle Belästigung geht, dann man muss drei Kategorien unterscheiden. Es gibt den zotigen Witz, den Griff aufs Knie oder auf den Busen und dann gibt es die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung. Das sind schon unterschiedliche Grade von sexueller Belästigung. Derzeit wird aber alles in einem Topf geworfen. Weil kaum differenziert wird, verkommt diese delikate, ernste Geschichte zu einem Boulevard-Gschnas-Fest. Das stört mich.

Für Sie stehen die Männer zu Unrecht am Pranger?

Man kann nicht einfach sagen: Alle Chinesen lügen. Man kann doch nicht verallgemeinern. In so einer ernsten Sache muss man die Vorfälle sehr akribisch anschauen. Was ist wirklich passiert? Was wollte eine Frau wirklich nicht? Will man etwas nicht, kann man sehr dezidiert Nein sagen: "Nehmen Sie die Hand weg, bitte. Oder Sie bekommen eine Ohrfeige." Ein jovialer Schatzi-Sager ist für mich noch keine sexuelle Belästigung.

Aber wenn man jetzt schon Sprachpolizei spielt, dann müsste man auch über die Werbung diskutieren. Warum wird bei einer Reifenwerbung mit Frauen geworben? Warum wird eine Holzwerbung mit einem Model illustriert und dann steht auch noch als Werbeslogan am Plakat: Holz vor der Hütte. Da regt sich keiner auf?

Ist das wirklich so, dass Frauen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, Nein sagen können? Viele Frauen trauen sich nicht, weil sie in Abhängigkeitsverhältnissen sind...

Es traut sich das Mäderl nicht. Bei einer gestandenen Frau kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nicht den Mut zum Nein-Sagen hat. Es kommt immer darauf an, was man als Frau will. Ich war auch einmal jung. Ich drehte in Rom, Paris, London. Wenn mir Männer nachpfiffen – und in Italien war das üblich –, empfand ich das nicht als sexuelle Belästigung. Auch gegen Komplimente hatte ich nichts.

Ist dann der prominenteste österreichische Fall Peter Pilz aus Ihrer Sicht zu Unrecht in Verdacht gekommen, Frauen sexuell belästigt zu haben?

Das kann ich nicht beurteilen, dafür kennen ich den Fall zu wenig. Was ich nur seltsam finde ist, dass die Betroffenen anonym bleiben wollen. Wenn ich jemanden derart beschuldige und seine Karriere ruiniere, dann sollte man sich auch in die Öffentlichkeit trauen. Anonym sind die Menschen immer stärker. Als ich mit Lance Lumsden zusammenlebte, schickten mir die Menschen – natürlich anonym – eine Schuhschachtel mit Scheiße in den ORF. In der Schachtel war eine Karte, wo draufstand: "Du Negerhure schleich dich aus Europa." Das konnte nur passieren, weil die Anonymität die Absender schützte.

Als Sie Karriere machten, gab es den ORF und noch keine Privatsender. Es existierten auch nur sehr wenige Modelagenturen. Wie haben Sie agiert, wenn Ihnen ein Mann ungewollt zu nahe kam?

Ich habe mich sofort beschwert bei der Agentur, wenn ein Mann deppert geworden ist. Dann wurde der Fotograf oder der Kunde sofort gesperrt. Die Besetzungscouch gibt es schon ewig. Deswegen frage ich mich, warum geht man zum mächtigsten Hollywoodproduzenten ins Hotelzimmer? Wenn man nicht gerade 13 ist, weiß man, dass hier eine gewisse Erwartungshaltung dahinter steckt. Und eines muss man auch sagen: Es gibt auch Frauen, denen das nichts ausmacht. Dann kann es für beide eine Win-Win-Situation sein. Sie bekommt bessere Rollen und der Produzent hat es fein. Wenn beide einverstanden sind, dann haben beide auch den Mund zu halten. Für mich kam das nie in Frage.

Welche Konsequenzen wird die aktuelle Diskussion auf die Frau-Mann-Beziehung im Alltag haben?

Ich habe das Gefühl, dass das Miteinander zwischen Mann und Frau so gestört wird, dass die Liebe zu kurz kommen wird. Darf man dann nicht mehr flirten? Darf aus einem Flirt nicht mehr eine wunderbare Beziehung entstehen? Die Online-Dating-Plattformen werden florieren. Da sucht man sich einen Mann wie im Supermarkt aus. Wo hört das auf? Wo geht das hin? Das finde ich bedenklich. Besser wäre es, wir würden aufmerksamer hinschauen und mehr Zivilcourage im Alltag zeigen, wenn wirklich ein Übergriff bei Frauen passiert.

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