Mehr als nur eine EU-Wahl: Die Stunde Europas

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Die EU-Wahlen läuten heute eine neue politische Ordnung ein, die Mehrheit der Volksparteien im EU-Parlament ist zu Ende.

Sie ist die zweitgrößte demokratische Übung der Welt nach dem Urnengang in Indien – die Wahl zum Europäischen Parlament. In den vergangenen drei Tagen haben bereits sieben Länder abgestimmt. Wenn heute Nacht um 23 Uhr die letzten Wahllokale in Italien schließen, werden die Bürger der anderen 21 EU-Staaten, darunter auch Österreich, ihre Stimme für die Zukunft Europas abgegeben haben.

Und sie werden eine Ära beenden: Erstmals in der Geschichte des EU-Parlaments werden die beiden großen Traditionsparteien – EVP und Sozialdemokraten – zusammen keine Mehrheit mehr haben. Daran wird auch das überraschende Wahlergebnis aus den Niederlanden, wo bereits am Donnerstag gewählt wurde, nichts ändern. Dort hatte der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, Frans Timmermans, die bis dahin völlig am Boden liegende Arbeitspartei völlig unerwartet zum Sieg gepusht.

Doch den europaweiten Trend wird dies nicht herumreißen. EVP und Sozialdemokraten müssen sich auf herbe Verluste einstellen, während den Rechtspopulisten massive Zugewinne prognostiziert werden. Laut Umfragen könnten die Populisten (inklusive der Linkspopulisten) und Europaskeptiker zusammengenommen bis zu einem Drittel der Stimmen im EU-Parlament erobern.

Doch der Zulauf zu den Europaskeptikern dürfte auf der anderen Seite auch zur Gegenmobilisierung geführt haben: Mit deutlichen Gewinnen können auch die Liberalen in Europa rechnen – ebenso wie die Grünen.

Gegen den Klimawandel

Die Klimaproteste quer durch Europa trieb der Ökobewegung zuletzt so viele Wähler zu wie schon Jahre nicht mehr. Besonders in Deutschland, Belgien und zuletzt auch in Tschechien konnten die Grünen massiv aufholen. Ihr stärkstes Argument: Wirksame Klimapolitik kann nur gemeinsam auf europäischer Ebene umgesetzt werden.

Mehr als nur eine EU-Wahl: Die Stunde Europas

Klimaprotest am Freitag in Frankfurt

Insgesamt aber zeigt sich: Die politische Landschaft im EU-Parlament wird umgepflügt. Und das Ergebnis wird nicht überwiegend populistisch oder traditionell-etabliert sein, nicht liberal oder illiberal – sondern in erster Linie fragmentiert. Mehrheiten zu bilden, wird erheblich schwieriger werden. Das werden vor allem die traditionellen Volksparteien zu spüren bekommen.

Und vor allem EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber. Um nächster Kommissionspräsident werden zu können, braucht er eine Mehrheit im EU-Parlament. Neben der EVP müssten die Sozialdemokraten und mindestens noch eine dritte Fraktion für den Bayern stimmen.

Doch die Sozialdemokraten setzen ihre Hoffnungen auf Frans Timmermans und die Liberalen auf ein siebenköpfiges Spitzenteam. „Weder bei den Sozialdemokraten noch bei den Liberalen gibt es irgendein Signal der Unterstützung für Weber“, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat.

Der Kampf um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten geht indessen erst richtig los, wenn die Wahlen vorbei sind. Ein Gradmesser dafür wird auch die Wahlbeteiligung sein. Vor fünf Jahren betrug sie europaweit nur 42,6 Prozent. In Tschechien, wo am Samstag die Wahllokale um 14 Uhr schlossen, dürfte sie auch heuer sehr niedrig gewesen sein – nur jeder fünfte Wahlberechtigte ging zu den Urnen.

Sinkt die Wahlbeteiligung heute in ganz Europa weiter, hätte der ohnehin skeptische französische Präsident Emanuel Macron ein Argument gegen das System der EU-Spitzenkandidaten in der Hand.

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