Kocher als Arbeitsminister angelobt: Welche Baustellen auf ihn warten

Kocher als Arbeitsminister angelobt: Welche Baustellen auf ihn warten
Parteifreier Wirtschaftsforscher wechselte auf ÖVP-Ticket in die Regierung. Van der Bellen würdigt seine Expertise.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat heute, Montag, den neuen Arbeitsminister Martin Kocher angelobt. Der 47-jährige Wirtschaftsforscher tritt die Nachfolge von Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) an, die am Samstag wegen einer Plagiatsaffäre zurückgetreten ist. Die Zuständigkeit für Familie und Jugend übernimmt in weiterer Folge Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP). Dafür ist aber noch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes nötig.

Jeder Lockdown erschwert Zeit danach: Kocher als Arbeitsminister angelobt

In seiner kurzen Rede würdigte Van der Bellen die wissenschaftliche und fachliche Expertise Kochers. Und er erinnerte den neuen Minister daran, dass man eine Spaltung der Gesellschaft vermeiden müsse. "Wir wollen in der Krise niemanden zurücklassen", sagte Van der Bellen.

Der gebürtige Salzburger Kocher ist parteifrei, zieht aber auf einem ÖVP-Mandat in die Regierung ein. Seine Kür am Wochenende kam überraschend - auch weil die steirische Volkspartei mit dem Ausscheiden Aschbachers nun über keinen Ministerposten im türkisen Regierungsteam mehr verfügt.

Kocher als Arbeitsminister angelobt: Welche Baustellen auf ihn warten

Während Aschbacher über eine Plagiatsaffäre gestolpert ist, kann Kocher eine tadellose wissenschaftliche Karriere vorweisen. Der 47-jährige Ökonom und Hochschullehrer leitet seit September 2016 das Institut für Höhere Studien und ist seit Juni 2020 auch Präsident des Fiskalrates. Kocher gilt als Experte für Verhaltensökonomie und bis zu seinem Wechsel nach Wien als einer der aktivsten Forscher auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung in Deutschland, wo er bis 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München arbeitete.

Die zentralen Herausforderungen

Was kommt auf Kocher in den kommenden Wochen und Monaten nun konkret zu?

Die Coronapandemie hat den heimischen Arbeitsmarkt in die größte Krise seit 1945 gestürzt. Die Corona-Kurzarbeit läuft Ende März vorläufig aus und die Sozialpartner drängen auf eine Verlängerung.

- Arbeitslosigkeit

Ende Dezember waren rund 521.000 Menschen, davon rund 227.000 Frauen und über 294.000 Männer, in Österreich ohne Job. Das ist ein Plus von knapp 28 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Der coronabedingte Höchststand seit dem Jahr 1945 war im vergangenen April mit 588.000 Jobsuchenden erreicht worden. Besonders stark hat die Coronakrise die Arbeitslosenzahlen im Tourismus und Verkehrswesen in die Höhe schießen lassen. Zusätzlich waren Ende Dezember über 417.000 Personen in Kurzarbeit. Anfang Jänner hatte Aschbacher noch eine Weiterführung der Corona-Kurzarbeit über März hinaus in Aussicht gestellt und Gespräche mit den Sozialpartnern für Februar angekündigt. Kocher hatte im vergangenen Sommer nach Ende des ersten Corona-Lockdowns vor womöglich zu hohen Anreizen bei der Kurzarbeit gewarnt. Damals wünschte er sich eine Differenzierung bei der Kurzarbeit zwischen Industrie und Dienstleistungen wie Gastronomie, Tourismus oder Eventsektor.

- Langzeitarbeitslosigkeit

Eine weitere Herausforderung für den neuen Arbeitsminister ist die hohe Langzeitarbeitslosigkeit. Österreichweit sind viele Arbeitslose sehr lange auf Jobsuche. Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen lag Ende Dezember bei über 137.000, ein Plus von 37,3 Prozent gegenüber dem Jahr davor.

- Joboffensive

Herausfordernd wird auch die Umsetzung der Corona-Joboffensive. Die mit 700 Mio. Euro dotierte Arbeitsmarktinitiative der Regierung soll Aus- und Weiterbildungen via dem Arbeitsmarktservice (AMS) für über 100.000 Arbeitslose bringen und ist vergangenen Herbst gestartet. Etwas weniger als zwei Drittel der Mittel, nämlich 428 Mio. Euro, sind für 2021 vorgesehen. Die Maßnahme soll Menschen ohne Job für den erwarteten Konjunkturaufschwung heuer und im kommenden Jahr qualifizieren. Der Qualifizierungsfokus liegt auf Digitalisierung, Pflege und Gesundheit, nachhaltigen Jobs und dem Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). 

Wifo-Arbeitsmarkökonom Helmut Mahringer sieht eine notwendige Dreiteilung bei der Arbeitsmarktpolitik. Zuerst habe man die Folgen der Coronakrise bekämpfen müssen. Dann müsse man den Arbeitsmarkt "möglichst rasch" wieder in Schwung bringen und drittens dürfe man die langfristigen Aufgabenstellungen - etwa demografischer Wandel, instabile Beschäftigungsverhältnisse und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, nicht vergessen, sagte Mahringer am Montag zur APA.

Im ersten Halbjahr 2021 sieht Mahringer den heimischen Arbeitsmarkt noch im Krisenmodus. Erst wenn die Corona-Impfung bis Sommer erledigt sei und eine gute Wirkung zeige, werde die Krise deutlich abgemildert. Wenn der Corona-Lockdown beendet sei, wäre es sinnvoll die Bezugsrichtlinien der Kurzarbeit anzupassen.

Problem Schulschließungen

Wifo-Ökonom Mahringer wies noch auf einen weiteren Problembereich hin: Durch die Schulschließungen gebe es das Risiko von "mangelnden Kompetenzerwerb und massiv schlechter Arbeitsmarktintegration". Eine gesetzliche Homeoffice-Regelung konnte die zurückgetretene Arbeitsministerin nicht mehr vorlegen. Aschbacher holte dafür die Sozialpartner ins Boot, die eigentlich bis Weihnachten avisierte Einigung kam bisher nicht zustande. Die Sozialpartner geben sich dazu auf APA-Anfrage bedeckt. Die Verhandlungen seien im Laufen, hieß es bei der Wirtschaftskammer (WKÖ). Der ÖGB bestätigt dies und betont darüber hinaus, dass das Thema für die Gewerkschaft sehr weit oben auf der Agenda stehe. Es betrifft jedenfalls sehr viele: Laut Statistik Austria waren im dritten Quartal - also noch vor dem zweiten Lockdown - über 700.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice, knapp 20 Prozent der Beschäftigten.

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