Mahrers Nachfolgerin Schultz: "Niemand ist aufgestanden"
Anfang November wird bekannt, dass die WKO-Gehälter um 4,2 Prozent steigen sollen, Mitte November tritt Harald Mahrer als Präsident der Wirtschaftskammer und Wirtschaftsbundchef zurück. Seither führt die WKO-Vizepräsidentin Martha Schultz die Geschicke der Kammer. Was sie unter "interimistisch" versteht und ob die ÖVP noch eine Wirtschaftspartei ist.
KURIER: Wann haben Sie gewusst, dass es sich für Harald Mahrer an der Spitze der Wirtschaftskammer nicht mehr ausgehen wird?
Martha Schultz: Ich bin wie jede Woche am Dienstag mit dem Zug nach Wien gefahren und am Mittwoch am späten Nachmittag ist Harald Mahrer zu mir ins Büro gekommen und hat mich gebeten, das Amt zu übernehmen.
Was haben Sie sich in dem Moment gedacht?
Es war sehr viel Wehmut dabei, weil Harald Mahrer und ich gut zusammengearbeitet haben und er viel in der Interessensvertretung geleistet hat.
Harald Mahrer - Wirtschaftskammerpräsident bis Mitte November 2025
Die Interessensvertretung gibt es in allen Bundesländern. Mitglieder sind automatisch alle gewerblich tätigen Wirtschaftstreibenden.
Die WKO beschäftigt selbst 1.516 Mitarbeiter, verfügt über Rücklagen von 1,93 Mrd. Euro.
Martha Schultz Die Zillertalerin (Jg. 1963) leitet mit Bruder Heinz die Schultz-Gruppe, Österreichs größten privaten Seilbahnbetreiber. Die Schultz-Gruppe
besitzt zudem ein Hotel und Gastronomie. Seit 2010 ist Schultz Vizepräsidentin der WKO, seit 2015 Vorsitzende von „Frau in der Wirtschaft“.
Weil jetzt fast ausschließlich Kritik bis Häme über Mahrer laut wird. Was schätzen Sie an Ihrem Vorgänger?
Seinen Weitblick, seine internationalen Kontakte, sein strategisches Denken und, dass er immer ein offenes Ohr gehabt hat. Mahrer hat Handschlagqualität – was immer ich mir mit ihm ausgemacht habe, das hat auch gehalten.
Sie haben gleich zu Beginn im neuen Amt gesagt, dass Sie die WKO-Spitze nur interimistisch leiten werden wollen. Warum tut man sich das an, im Wissen, dass man bald wieder gehen wird? Aus Gründen der Loyalität?
Sich antun? Das ist der falsche Begriff. Ich habe das Vertrauen und die Möglichkeit bekommen, die Veränderung einzuleiten. Ich habe als Bundesvorsitzende von „Frau in der Wirtschaft“ immer gesagt, dass Frauen „Ja“ sagen sollen, wenn Sie für verantwortungsvolle Aufgaben gefragt werden und sich etwas zutrauen sollen und nicht noch zwei oder drei Mal darüber schlafen.
Sie haben nicht darüber geschlafen?
Nein. Ich habe kurz mit meiner Familie telefoniert und dann habe ich „Ja“ gesagt.
"Interimistisch“ ist ein dehnbarer Begriff. Haben Sie sich eine Frist gegeben, ab wann Sie sich wieder vollends Ihren Betrieben in Tirol widmen wollen, oder ist das an ein spezielles Ergebnis geknüpft?
Eine genaue Zeit habe ich mir nicht vorgegeben. Die Reform hat schon begonnen, im März werde ich Ihnen schon mehr sagen können. Mir wäre es am liebsten, wir würden heuer noch etwas präsentieren können, aber wir müssen uns in den Gremien abstimmen.
Apropos abstimmen: Hatten Sie nie Bauchweh, als im Spätsommer die 4,2 Prozent Gehaltserhöhung beschlossen wurden, während die Gehälter anderer aufgeschnürt wurden? Und dachten Sie und all Ihre Kollegen tatsächlich, dass Funktionsentschädigungen von 49 Prozent und mehr nicht kritisiert würden?
Wir waren – das müssen wir rückblickend feststellen – alle unsensibel. Die Erhöhungen wurden von allen Fraktionen beschlossen, niemand ist aufgestanden, keiner hat aufgezeigt, niemand hat sich dagegen ausgesprochen. Das Buch von hinten zu lesen, das ist immer einfach, aber ja: Wir haben Fehler begangen.
Unsensibel oder eher maßlos? Es ist doch wie bei Dienstautos: Es gehört sich nicht, das teuerste Modell zu wählen. Und es macht keinen guten Eindruck, sich 49 Prozent und mehr Erhöhung zu gewähren während andere darauf verzichten.
Eine Entschädigung für die Funktion ist jedenfalls gerechtfertigt, wie ich als Unternehmerin weiß. Ich habe mit meinem Bruder in unseren Betrieben Verantwortung für rund 800 Mitarbeiter, die Arbeit für die Kammer ist eine zusätzliche wie bei meinen Kollegen auch. Deshalb habe ich auch nie ein Problem gehabt, dass man Funktionsentschädigung gibt. Die Entschädigung ist auch kein Einkommen, sondern ein Bruttobezug, den Sie selbst versteuern müssen. Es gibt auch kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und keine Pensionsversicherung.
Bei Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt, 2026 wird das Jahr der Reform. Wann wird sich das woran zeigen?
Wir prüfen, evaluieren und beraten bereits jetzt. Ich hoffe, dass wir im März erste Ergebnisse präsentieren können. Das Gehaltsplus wurde jetzt auf 2,1 Prozent halbiert und gilt für das gesamte Jahr 2026. Für 2027 werden wir an einer neuen und transparenten Berechnung gemeinsam mit dem Betriebsrat arbeiten.
Die Erhöhung der Funktionsentschädigungen haben Sie aussetzen lassen. Gab es Gegenwind?
Es sind schon Rückfragen gekommen, weil viele von Ihrer Arbeit und der gerechtfertigten Erhöhung überzeugt sind. Wer etwas leistet, der soll dafür auch entschädigt werden. Aber mit Aufklärung und Gesprächen konnte ich alle überzeugen, auf die Erhöhung bis auf Weiteres zu verzichten.
Geht es nach einer KURIER-OGM-Umfrage so steht die WKO nicht unbedingt wegen der Kammerumlage in der Kritik oder der verpflichtenden Mitgliedschaft. 35 % sprechen sich dafür aus, die Zahl der Länderkammern zu reduzieren. Ist es vorstellbar, dass es irgendwann nicht mehr neun, sondern drei Länderkammern gibt?
Wir schauen uns jetzt alles genau an. Aber ich bin Unternehmerin in einem Bundesland und weiß, dass die Länderkammern mit ihren Bezirksstellen vor Ort sehr wichtig sind, weil es um den persönlichen Kontakt geht, wenn man schnell eine zuverlässige Hilfe braucht. Nehmen Sie meine eigene Branche - die Seilbahnwirtschaft: Ich weiß, wen ich wo anrufe, wenn ich Hilfe brauche und wie wichtig es ist, dass nicht alles in Wien zentralisiert ist.
Wenn schon nicht weniger Kammern, überlegen Sie, die Funktionsentschädigungen zumindest zu vereinheitlichen?
Wir werden auch das in den Gremien diskutieren.
Wirtschaftsparlament im November 2025
Sie wollen das "Bild der Kammer geraderücken“ und explizit auch am Sitz der WKO in der Wiedner Hauptstraße alles auf den Prüfstand stellen, weil sie als „aufgeblähter Bürokratieapparat“ gelte, wie Sie sagten. Was ist zu groß und aufgebläht?
Im Detail kann ich das noch nicht sagen, aber wir werden alle unsere Projekte auf ihre Sinnhaftigkeit, Effizienz und ihren Mehrwert für unsere Mitglieder überprüfen. Wir werden auch die Digitalisierung nutzen und dadurch viele Prozesse und Infomaterial kostengünstiger machen. Wir stellen uns auch die Frage, ob wir immer 9 + 1 brauchen bei den Fachgruppen. Nicht jedes Angebot muss es überall geben, das ist auch jetzt schon so.
Das Digital Media Center soll rund 60 Menschen allein für die Kommunikation beschäftigen, die WK Wien hat rund 40 Mitarbeiter in der Kommunikation und trotzdem fragen sich viele, was die Kammer für ihre Beiträge leistet. Wird es hier eine Reduzierung geben?
Durch die Digitalisierung haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten vervielfacht und wir müssen sie nutzen, um direkter zu unseren Mitgliedern und mit den für sie relevanten Anliegen auch zur breiten Öffentlichkeit zu kommen. Was hier als Kommunikation bezeichnet wird, umfasst Webinare für Mitglieder, die gesamte interne und externe Kommunikation inklusive Branchen, Bildungseinrichtungen, die Außenwirtschaft, bis hin zur Telefonzentrale. Klar ist, wir müssen uns als Funktionäre mit unseren Mitgliedern austauschen.
Wirtschaftskammer Österreich in der Wiedner Hauptstrasse
Warum bedurfte es einer derartigen Zäsur, um den Reformbedarf der Kammer zu sehen? Sie geben 16 Millionen Euro in vier Jahren für Beraterverträge aus – das ist eine unglaubliche Summe!
Das ist ein Rahmenvertrag für alle neun Länderkammern und die WKO insgesamt, der sich über vier Jahre erstreckt. Das heißt aber nicht, dass dieser Rahmen ausgeschöpft werden muss. Es kann auch sein, dass es erheblich weniger wird. Das ist das gleiche, wenn Sie als Firma planen neue Autos zu kaufen und sich ein Angebot legen lassen und am Ende nicht 100, sondern nur 49 Autos kaufen oder leasen. Und: Fast jedes Unternehmen braucht Beratung und Unterstützung von außen, wenn es eine große Veränderung einleitet.
Immer wieder war davon die Rede, die milliardenschweren Rücklagen der Kammer anzugreifen oder zu Geld zu machen. Werden Sie Immobilien verkaufen?
Zu den Immobilien zählen auch Landesgeschäftsstellen oder Wifis, aber natürlich evaluieren wir auch, ob es auf Dauer nicht bei der ein oder anderen Immobilie besser ist, zu mieten.
Als Wirtin und Unternehmerin gefragt: Was muss die Bundesregierung 2026 tun, damit es der Wirtschaft besser geht?
Die Energiekosten sind das große Thema! Es geht weiter um die Entbürokratisierung – dabei würde uns schon eine Digitalisierung der Rot-Weiß-Rot-Karte helfen.
Ist die ÖVP noch die Wirtschaftspartei?
Die ÖVP ist die Wirtschaftspartei, aber sie könnte noch mehr Schwung geben für die Wirtschaft. Das ist aber mit den anderen Parteien nicht immer einfach.
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