Ludwig-Telefonat mit falschem Klitschko: Was sind Deep Fakes und wer steckt dahinter?
Die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey, Madrids Bürgermeister José Luis Martinez-Almeida und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig: Sie alle wurden in den letzten Tage Opfer eines "falschen" Vitali Klitschko.
Die drei Stadtoberhäupter glaubten ein Videotelefonat mit dem Bürgermeister von Kiew zu führen, in Wahrheit dürften sie einem digitalen Schwindel, einem sogenannten Deep Fake, aufgesessen sein.
"Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass die Videokonferenz nicht mit einer echten Person geführt wird. Allem Anschein nach handelt es sich um Deep Fake“, erklärte etwa die Berliner Senatskanzlei auf Twitter.
Es habe sich um eine ganz normale, auf offiziellem Wege erfolgte Bitte um ein Gespräch mit Klitschko gehandelt, heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Ludwig.
Die Anfrage sei per Mail und telefonisch erfolgt, es habe keine Anzeichen gegeben, die im Vorfeld Verdacht erregt hätten. Der Botschafter in Kiew wurde vom Büro des Wiener Bürgermeisters am 10. Juni über das durch die Stadt Wien bereits vereinbarte Gespräch in Kenntnis gesetzt.
"Nachdem wir keine Geheimnisse ausgetauscht haben, ist das zwar weiter zu beobachten, aber auch kein großes Ereignis“, so Ludwig gegenüber dem KURIER. Dass Ludwig dem Schwindel aufflog, sieht er nicht weiter tragisch: "Ich habe in dem Gespräch mit Klitschko nichts gesagt, was ich nicht auch Ihnen erzählen würde."
Was ist ein sogenannter Deep Fake?
Damit wird ein Medieninhalt bezeichnet, der mit Techniken künstlicher Intelligenz (KI) manipuliert wurde. Dabei kann es sich beispielsweise um ein vermeintlich authentisches Video oder eine Audio-Aufnahme handeln. Der Begriff „Deep Fake“ ist von den Worten „Deep Learning“ und „Fake“ (Fälschung) abgeleitet. Deep Learning ist ein Verfahren in der künstlichen Intelligenz, bei dem das System durch eine intensive Beobachtung lernt. Dabei werden Lippenbewegungen, Mimik und Körperhaltung analysiert. Beobachtet wird auch, zum Beispiel wie sich eine Person bewegt oder wie sie spricht.
Wie kam der Fake-Klischko in die Videokonferenz?
Für die Auftritte des Fake-Klitschko wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit Videomaterial eines echten Klitschko-Interviews mit dem ukrainischen Journalisten Dmytro Hordon verwendet. Dabei wurden in Echtzeit die Lippenbewegungen aus dem Video mit den Aussagen desjenigen zusammengeführt, der tatsächlich mit Ludwig und seinen AmtskollegInnen gesprochen hat.
Video: Sebastian Kurz beim Songcontest
Seit wann gibt es Deep-Fake-Systeme?
Als Meilenstein in der Entwicklung von Systemen, die für solche Videomanipulationen geeignet sind, gilt ein Experiment der University of Washington. 2017 stellten Forscher der Universität Algorithmen vor, die in der Lage waren, beliebige Audioclips in ein realistisches, lippensynchrones Video der Person umzuwandeln.
So legten die Wissenschaftler dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama heikle Aussagen zu Themen wie Terrorismus oder Massenarbeitslosigkeit virtuell in den Mund.
Haben die Forscher damit nicht eine Monster-Technologie geschaffen?
Die Wissenschaftler wollten eigentlich ein System entwickeln, um die Bildqualität bei Videokonferenzen zu verbessern. Da das Streaming von Audio über das Internet weit weniger Bandbreite benötigt als Video, wollte man den Ton nutzen, um daraus ein Video in viel besserer Qualität zu produzieren. Die Wissenschaftler diskutierten damals aber schon die Gefahr, dass diese Technologie missbraucht werden kann.
Braucht man für Deep Fakes einen Supercomputer?
In den App-Stores gibt es etliche Anwendungen, die eigentlich dazu dienen sollen, Selfies zu optimieren oder Porträts zu retuschieren. Doch diese Apps ermöglichen es auch, in Videos die Gesichter auszutauschen. Andere Programm wandeln Fotos in animierte Videos um. Bei der Bildqualität stoßen diese Apps jedoch schnell an Grenzen. Für ausgeklügelte Deep-Fake-Attacken auf Politiker benötigt man derzeit noch leistungsfähige Rechner.
Setzen Kriminelle Deep-Fake-Technik ein?
Ja. Zum einen kann die Technik für böswillige Fake-Videos missbraucht werden, mit denen sich die Täter strafbar machen. Dazu gehören gefälschte Sex-Videos, bei denen das Gesicht des Opfers in Pornos eingebaut werden. Deep Fakes werden aber auch beispielsweise von Kriminellen verwendet, um betrügerische Geldüberweisungen zu veranlassen. Beim Chef-Betrug erhält beispielsweise ein Buchhalter einer Firma eine manipulierte Sprachnotiz seiner Chefin, in der sie eine Überweisung auf ein bestimmtes Bankkonto anordnet. Der Absender ist wie die Audioaufnahme gefälscht.
Die Technik der Videomanipulation wird aber auch von Strafverfolgungsbehörden verwendet. So hat die niederländische Polizei in diesem Frühjahr einen Teenager fast 20 Jahre nach dessen gewaltsamem Tod in einem Video digital zum Leben erweckt - und daraufhin Dutzende Hinweise erhalten.
Wer steht hinter dem Klitschko-Fake?
Der Gesprächsverlauf legt die Vermutung nahe, dass dahinter pro-russische Kräfte stecken. Allerdings kann eine Zuordnung derzeit nicht zweifelsfrei vorgenommen werden, auch weil die wahren Täter oft Spuren hinterlassen, die bewusst in die falsche Richtung zeigen. Denkbar ist beispielsweise auch, dass eine politische Spaßguerilla die Stadtchefs in Wien, Budapest und Madrid in Misskredit bringen will.
Wie kann man Deep Fakes erkennen?
Das wird immer schwerer fallen. Die Algorithmen der künstlichen Intelligenz und die verwendeten Hardware-Systeme werden künftig in der Lage sein, gefälschtes Videomaterial zu produzieren, das absolut authentisch aussieht. Man wird also seinen Augen und Ohren allein nicht mehr unbedingt vertrauen können. Um so wichtiger ist es, mit Logik und gesundem Menschenverstand aufsehenerregende Videoclips in Frage zu stellen. Bei einer völlig überraschenden Entwicklung oder weitreichenden Aussage, sollten sich Nutzerinnen und Nutzer stets fragen: Wie wahrscheinlich ist es, dass sie auf diese Weise verbreitet wird? Manchmal kann auch künstliche Intelligenz bei der Entdeckung von Fake-KI helfen: So kann man auf der Website deepware.ai Videos oder Links zu Videos hochladen, um eine Einschätzung zu erhalten, ob es sich dabei um Deep Fakes handelt.
Nach Klitschko-Fake: Botschaften sollen Gespräche koordinieren
Nachdem Bürgermeister Ludwig Opfer eines falschen Vitali Klitschko geworden ist, ersucht das Außenministerium, Politiker, die mit ausländischen Kollegen per Telefon oder Videoschaltung Beratungen abhalten, sich im Voraus mit der jeweiligen Botschaft kurzzuschließen: "Um solche bedauerlichen Vorfälle künftig zu vermeiden, möchte das Außenministerium darauf hinweisen, dass die Koordination solcher Termine über die zuständige Botschaft erfolgen soll."
Weiter hieß es am Sonntag aus dem Außenamt auf APA-Anfrage, man stehe in solchen Fällen für die Kontaktherstellung und Terminvereinbarung mit den offiziellen Stellen in der Ukraine "routinemäßig und jederzeit unterstützend zur Seite".
Im Falle der Planung von Ludwigs Gespräch mit dem Kiewer Bürgermeister Klitschko seien weder das Außenministerium noch die österreichische Botschaft in Kiew involviert gewesen. Der Botschafter sei lediglich vom Büro des Wiener Bürgermeisters am 10. Juni über das durch die Stadt Wien bereits vereinbarte Gespräch in Kenntnis gesetzt worden. "Es war auch kein Mitarbeiter des Außenministeriums oder der Botschaft persönlich oder virtuell anwesend."
Die Botschaft in Kiew konnte den Angaben zufolge dann erst am gestrigen Samstag feststellen, dass Ludwig nicht mit dem wahren Klitschko gesprochen hatte. Weitere derartige Fake-Anrufe sind dem Außenamt nicht bekannt.
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