Der Zielwert ist klar: Maximal 700 bis 800 Neuinfektionen pro Tag darf es in Österreich laut Bundesregierung geben, damit der Lockdown beendet werden kann.
Davon aber sind wir weit entfernt – am Donnerstag gab es bundesweit beinahe 1.500 Neuinfizierte. Zu diesem konstant hohen Wert dürfte auch die um 50 bis 60 Prozent stärker infektiöse britische Virus-Mutante ihr Übriges tun. Forscher hatten bereits vor einigen Wochen prognostiziert, dass sich ihre Ausbreitung ab Ende Jänner in den Infektionszahlen niederschlagen werde.
Hinzu kommt, dass der dritte Lockdown viel weniger ernst genommen wird als seine Vorgänger, das zeigt eine Analyse der Mobilitätsdaten durch die Medizinische und die Technische Universität Wien. Während sich der Bewegungsradius der Österreicher im ersten Lockdown um 57 bis 80 Prozent verkleinert hat, liegt die Reduktion nunmehr bei nur 12 bis 42 Prozent.
Was also tun, wenn weder Ausgangsbeschränkungen noch der konstante Appell der Bundesregierung an Vernunft, Eigenverantwortung und Solidarität der Bevölkerung zu den gewünschten Ergebnissen führen? Muss die Polizei so streng wie im Frühling kontrollieren, ob Maskenpflicht, Abstandsregeln, Ausgangsbeschränkungen etc. eingehalten werden, damit eine möglichst schnelle Öffnung des Landes realistisch erscheint? Braucht es wieder Lautsprecherdurchsagen aus Polizeiautos, die dazu auffordern, nach Hause zu gehen?
Das Innenministerium verneint diese Fragen indirekt. Denn: "Die subjektive Wahrnehmung, dass nun weniger kontrolliert wird als im Frühling, ist nicht zutreffend. Es finden laufend Kontrollen im Zuge des regulären Streifendienstes und auch Überprüfungen gesundheitsbehördlicher Quarantäne-Auflagen statt", heißt es. Dennoch gibt es auch seitens des Innenministeriums den Hinweis auf die Eigenverantwortung. "Überwachungsmaßnahmen, die vom Gesetzgeber explizit vorgesehen sind, werden von der Polizei natürlich wahrgenommen. Die eigenverantwortliche Einhaltung der Beschränkungen ist und bleibt aber die nachhaltigste Maßnahme, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen", sagt Ressortsprecher Harald Sörös zum KURIER.
Dass gegenwärtig weniger öffentlich hörbare Aufforderungen stattfinden als im Frühjahr, hänge damit zusammen, dass die Bevölkerung die Vorgaben mittlerweile kenne. Auch würden die Ressourcen bei den Kontrollen nun anders eingesetzt, ein Schwerpunkt liege etwa auf dem Auflösen illegaler Partys.
Wie streng im dritten Lockdown im Vergleich zu den ersten beiden tatsächlich kontrolliert und auch gestraft wird, lässt sich anhand von Zahlen schwer festmachen. Was Anzeigen und Organstrafmandate nach dem Epidemie- sowie dem Covid-Maßnahmengesetz angeht, sei eine Aufschlüsselung nach "Lockdowns" systemtechnisch nämlich nicht möglich, teilt das Innenministerium mit. Nur eine Gesamtzahl gibt es: Seit 15. März gab es 74.941 entsprechende Anzeigen oder Organstrafmandate.
Alleine durch stärkere Kontrollen eine Öffnung zu ermöglichen, hält man auch im Gesundheitsministerium für keinen gangbaren Weg. Auch, weil die Frage, wie stark und streng kontrolliert wird, in der Verantwortung der Länder bzw. der Bezirksverwaltungsbehörden und Magistrate liege. Der Bund könne zwar bei Bedarf unterstützen bzw. zu mehr Kontrolltätigkeit auffordern, wenn er konkreten Bedarf ortet, zuständig seien aber stets die lokalen Behörden.
Und dann ist da noch die schwierige Frage nach den Kontrollen in privaten Räumlichkeiten. Tatsächlich sind es nämlich nach wie vor private Haushalte, wo sich die meisten Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Laut dem Ergebnis des Contact-Tracings der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) passierten Anfang Jänner mehr als 60 Prozent der Infektionen in Privathaushalten, im Freizeit-Bereich waren es hingegen "nur" 18 Prozent.
Spätestens an diesem Punkt verläuft ein Ruf nach mehr Kontrolle und Strafen dann weitgehend im Sand, denn gerade in das "Risikogebiet" privater Wohnbereich darf die Polizei ohnehin nicht ohne besondere Gründe vordringen und kontrollieren, ob alles Corona-konform abläuft.
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