Budget-Defizit "schockierend": EU-Defizitverfahren "wohl unausweichlich"

Budget-Defizit "schockierend": EU-Defizitverfahren "wohl unausweichlich"
Im Vorjahr betrug Österreichs Budgetdefizit 4,7 Prozent - und verfehlte damit die Maastrichtkriterien deutlich. Ein EU-Defizitverfahren wird damit wohl unausweichlich, meinen Wifo-Chef Felbermayr und Finanzminister Marterbauer.

Zusammenfassung

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  • Österreichs öffentliches Defizit lag 2024 bei 4,7 % des BIP, deutlich über der Maastricht-Grenze von 3 %.
  • Staatsausgaben stiegen um 8,8 % angetrieben durch Gehaltsabschlüsse und Sozialleistungen, während die Einnahmen um 4,9 % wuchsen.
  • Ein EU-Defizitverfahren scheint unausweichlich, obwohl die Regierung ein Sparpaket von 6,4 Milliarden Euro geschnürt hat.

Heute, Montag, war Tag der Abrechnung. Die Statistik Austria gab am Vormittag das finale Budgetdefizit Österreichs für 2024 bekannt - inklusive der Zahlen von Ländern und Gemeinden.

In aller Kürze: Im Jahr 2024 gab die öffentliche Hand um rund 22,5 Milliarden Euro mehr aus, als sie eingenommen hat. Das Defizit betrug im Vorjahr somit 4,7 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Schuldenstand der Republik erhöhte sich bis zum Jahresende 2024 auf 394,1 Mrd. Euro. Jeder Österreicher, jede Österreicherin hat somit statistisch gesehen rund 42.850 Euro Schulden.

Dass das Defizit 2024 die Maastricht-Grenze von drei Prozent so deutlich verfehlt hat, liege einerseits an der anhaltenden Wirtschaftsflaute, andererseits an den kräftig gestiegenen Staatsausgaben (+8,8 %), vor allem getrieben von den Gehaltsabschlüssen für den öffentlichen Dienst, den Anpassungen der Pensionen sowie der Valorisierung der Sozialleistungen, so Statistik Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.

Acht Milliarden Euro hätte Österreich im Vorjahr weniger ausgeben dürfen, dann wäre die Republik unter der Maastricht-Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geblieben. Warum diese Zahl aktuell so bedeutend ist: Weil die Republik ein EU-Defizitverfahren vermeiden will. 

EU-Defizitverfahren ist "wohl unausweichlich"

Dafür hat die türkis-rot-pinke Bundesregierung ein Sparpaket in Höhe von 6,4 Milliarden Euro geschnürt. Seit Tagen wird spekuliert: Reicht denn das? Es wird wohl nicht reichen, das wurde in den letzten Tagen und Wochen immer deutlicher. Die Wirtschaftsprognosen von Wifo und IHS wurden kürzlich weiter runtergeschraubt: Österreichs Wirtschaft wird auch heuer schrumpfen, die längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg weitergehen. 

Und spätestens mit der Präsentation der aktuellen Zahlen liegt auf der Hand: Ein EU-Defizitverfahren ist "wohl unausweichlich, weil auch 2025 die Zahlen schlecht sein dürften". So formuliert es Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr. Er bezeichnete die am Montag präsentierten Zahlen zum gesamtstaatlichen Defizit als "schockierend". Nun sei eine "ernsthafte, ambitionierte Sanierung" nötig, so der Wifo-Chef. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung müssten "konstruktive Pläne" vorlegen, so Felbermayr: "Im eigenen Interesse." Gefordert seien alle Körperschaften. "Mit dem Defizitverfahren werden die Scheinwerfer der Märkte und der Kommission auf Österreich gerichtet."

Marterbauer: Ausgangslage "ernst"

Auch für Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) ist ein EU-Defizitverfahren nicht mehr vermeidbar, wie er im Ö1-Mittagsjournal erklärte. Er sehe nämlich nicht, wie man heuer noch mehr als die geplanten 6,4 Mrd. sparen könnte. Diese bedeuteten bereits eine "massive Kraftanstrengung". Aus seiner Sicht sei es nicht möglich, kurzfristig unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent zu kommen, ohne die Wirtschaft zu schwächen. Für die Budgetsanierung werden "alle ihren Beitrag leisten müssen", erklärte Marterbauer. Der Finanzminister erinnerte daran, dass das Defizit im Zuge der Bankenkrise im Jahr 2009 bei 5,38 Prozent des BIP lag. 

Für Finanz-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP) brauche es in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten "Zuversicht, Zusammenhalt und das Bauen von Brücken" und einen "gemeinsamen Kraftakt" von Bund, Ländern und Gemeinden. Für rasche Entlastung bei "überbordender Bürokratie" will Neos-Staatssekretär Josef Schellhorn sorgen.

Dieser richtete Ländern und Gemeinden bereits vor paar Tagen aus, dass man mit ihnen "ein klares Wort" für einen stärkeren Beitrag zur Budgetsanierung sprechen müsse. Das haben die Länder aber bereits abgeblockt. Die Landeshauptleute sehen kaum Möglichkeiten für Einsparungen. Auch Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl (ÖVP) verwies auf die ohnedies schlechte Finanzsituation der Gemeinden. 

Die Bundesregierung ihrerseits ließ immer wieder durchblicken, ungeachtet der düsteren Prognosen an ihrem Konsolidierungspfad festhalten zu wollen und keine weiteren Einschnitte zu planen – auch, um die Konjunktur nicht zu gefährden.

"Wir werden auch damit umgehen können", meinte Eibinger-Miedl (ÖVP) im KURIER-Interview gefragt nach einem möglichen EU-Defizitverfahren. Auch für den Finanzminister stellt ein Defizitverfahren "kein Drama" dar. Es würde schließlich nur stärkeren Austausch mit der EU-Kommission bedeuten. 

Anderl sieht Verantwortung bei voriger Regierung

AK-Präsidentin Renate Anderl sieht "klare Verantwortliche" für das "überraschend hohe" Defizit: "Die vorigen Regierungen haben ohne Gegenfinanzierung auf die Senkung von Steuern und Abgaben gesetzt. Die Wirtschaftspolitik hat die Inflation durchrauschen lassen (...) und keine Eingriffe in die Preise gesetzt", kritisierte Anderl am Rande einer Pressekonferenz am Montag. In der aktuellen Lage mit schwacher Konjunktur weiter auf "radikale Sparmaßnahmen" zu setzen, wäre nun jedenfalls "absolut der falsche Weg". Zuerst müsse die Rezession überwunden werden, dann könne man das Budget konsolidieren - wofür Anderl auch höhere Beiträge von Vermögenden einfordert.

Die Industriellenvereinigung (IV) mahnt konsequente und effiziente Einsparungsmaßnahmen ein. Mit 51,6 Prozent habe Österreich die zweithöchste Staatseinnahmenquote in der EU nach Finnland, argumentierte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: "Einmal mehr zeigen die Zahlen, dass Österreich ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem hat." Daher sei konsequentes Einsparen und Reformen in den Strukturen nötig, von den Pensionen über Bildung und Gesundheit bis zur Verwaltung.b

Die heute präsentierten Zahlen im Detail

Im Jahr 2024 betrug das öffentliche Defizit laut Zahlen der Statistik Austria 4,7 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. 22,5 Mrd. Euro. Der öffentliche Schuldenstand erhöhte sich um 22,6 Mrd. Euro auf 394,1 Mrd. Euro zu Jahresende 2024.

Die Schuldenquote – das Verhältnis der Staatsschulden zur nominellen Wirtschaftsleistung – stieg von 78,5 % auf 81,8 %.

Die Staatseinnahmen stiegen im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 um 4,9 % bzw. um 11,7 Mrd. Euro auf 248,8 Mrd. Euro. Die Staatsausgaben erhöhten sich um 8,8 % bzw. um 21,8 Mrd. Euro auf 271,3 Mrd. Euro. Daraus resultiert ein gesamtstaatliches Defizit von 22,5 Mrd. Euro, nach 12,4 Mrd. Euro im Jahr 2023.

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt lag das öffentliche Defizit 2024 damit bei 4,7 % (2023: 2,6 % des BIP). Die Defizite des Landes- und Gemeindesektors stiegen 2024 deutlich um 1,4 Mrd. Euro bzw. 0,4 Mrd. Euro an und beliefen sich 2024 auf 2,0 Mrd. Euro bzw. 2,6 Mrd. Euro. 

Zum Stichtag 31. Dezember 2024 betrug der öffentliche Schuldenstand 394,1 Mrd. Euro, dassind 22,6 Mrd. Euro mehr als am Ende des Vorjahres. Nach der Art der Verschuldung entfielen Ende 2024 349,2 Mrd. Euro des Schuldenstands auf Anleihen, 42,9 Mrd. Euro auf Kredite und 2,0 Mrd. Euro auf Einlagen.

Die Staatsausgaben stiegen im Vorjahr aufgrund der inflationsbedingt hohen Gehalts- und Pensionsabschlüsse 2024 überdurchschnittlich. Ebenso eine Rolle spielten Ausgaben zur Abmilderung der hohen Energiekosten, wie etwa die Stromkostenbremse. Insgesamt ist das Subventionsniveau 2024 aber im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Mrd. Euro gesunken.

Auch die allgemein höheren Finanzierungskosten zeigten sich in den gestiegenen Staatsausgaben: Die Zinsausgaben für die Staatsschulden erhöhten sich im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Mrd. Euro. Der größte Anstieg der absoluten Zinslast konnte auf Bundesebene verzeichnet werden, da auch hier der Großteil der Schulden zu verbuchen war.

Steuereinnahmen deutlich geringer gewachsen als Staatsausgaben

86,8 % der Staatseinnahmen im Jahr 2024 stammten aus Steuern und Sozialbeiträgen, die in Summe 215,9 Mrd. Euro ausmachten. Das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 5,4 %, bzw. 11,1 Mrd. Euro. Die Steuereinnahmen 2024 waren im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 4,0 % höher.

Einerseits erhöhten sich etwa die Lohnsteuer aufgrund der Lohnentwicklungen sowie die Kapitalertragssteuern deutlich, andererseits gab es durch diverse steuerliche Maßnahmen und konjunkturbedingt nur gedämpfte Anstiege bzw. Rückgänge bei einzelnen Steuern (z. B. durch die erneute Senkung der Körperschaftsteuer). Der im Jahr 2024 vergleichsweise deutliche Anstieg der Sozialbeiträge mit 5,8 Mrd. Euro (+7,9 %) spiegelt in erster Linie die hohen Gehaltsabschlüsse, bedingt durch die hohe Inflation in den Vorjahren, wider.

Der größte Anteil des Anstiegs des öffentlichen Schuldenstands entfiel auf den Bundessektor mit 17,6 Mrd. Euro. Der Anstieg im Bundessektor wurde durch die anderen Teilsektoren nochmals deutlich um 5,0 Mrd. Euro verstärkt, besonders durch eine Schuldenerhöhung im Landes- und Gemeindesektor. 

Den größten Teil der Erhöhung der Schulden des Bundessektors machte die Kerneinheit Bund aus, da mit den neu aufgenommenen Schulden vor allem die Abdeckung des laufenden Defizits finanziert wurde. Weiters erhöhte sich der Schuldenstand bei einigen außerbudgetären Einheiten, vor allem bei Bahninfrastruktureinheiten, durch kontinuierlich getätigte Infrastrukturinvestitionen.

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