Statt Defizitverfahren: Soll Österreich jetzt noch härter sparen?

6,4 Milliarden Euro will die türkis-rot-pinke Bundesregierung heuer einsparen, um ein EU-Defizitverfahren zu verhindern. Dafür müsste Österreichs Neuverschuldung 2025 unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bleiben. Spätestens jetzt ist klar: 6,4 Milliarden reichen nicht.
EU-Maastricht
Die Kriterien besagen: Das jährliche Defizit der EU-Staaten soll 3 % des BIP nicht überschreiten, die Schuldenquote nicht über 60 % des BIP liegen. Ist das Defizit zwei Jahren hintereinander zu hoch, folgt in der Regel ein EU-Defizitverfahren.
EU-Fiskalregeln
Verschuldete EU-Staaten können ihr Budget außerhalb oder in einem Defizitverfahren konsolidieren. Ohne Verfahren müssen sie Maastricht einhalten, also schnell kräftig sparen. Im Verfahren ist der Pfad sanfter, liegt bei mindestens 0,5 % des BIP pro Jahr. Dafür muss die Regierung der EU-Kommission vierteljährlich einen Bericht über ihre Maßnahmen vorlegen.
Die Summe beruht auf Schätzungen der Wirtschaftsforscher von Jänner. Während sie damals noch leichtes Wirtschaftswachstum prognostizierten, droht nun erneut eine Rezession. Resultat: Die Staatseinnahmen sinken, die Neuverschuldung steigt.
Die Nationalbank (OeNB) rechnet mit einem Minus von 0,1 Prozent des BIP – und einem Defizit von 3,8 Prozent. Die Prognosen von WIFO und IHS folgen am Donnerstag. Wie reagiert die Regierung und wie geht es jetzt weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie viel muss Österreich tatsächlich einsparen?
Fiskalratspräsident Christoph Badelt geht von vier bis fünf zusätzlichen Milliarden aus, Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) hält bis zu sechs für möglich. Österreich muss eventuell also zwölf Milliarden einsparen, um ein Defizitverfahren abzuwenden.
Wie kann es sein, dass plötzlich zusätzlich bis zu sechs Milliarden fehlen?
Die wirtschaftliche Situation ist noch schlechter als im Jänner befürchtet. Bereits 2024 hatten die Wirtschaftsforscher große Probleme, die Konjunktur vorherzusagen. Das kann an mehreren Indikatoren liegen: einbrechenden Exporten, sinkendem Konsum, Lieferkettenproblemen. Kommenden Montag veröffentlicht die Statistik Austria Österreichs endgültiges Budgetdefizit für 2024. Auch hier ist eine weitere Korrektur nach unten zu erwarten.
Warum droht Österreich ein EU-Defizitverfahren?
Österreich hat 2024 klar gegen die EU-Maastricht-Kriterien verstoßen. Bei einem einmaligen Verstoß leitet der EU-Rat nicht sofort ein Defizitverfahren ein. Der Fiskalrat prognostizierte jedenfalls schon im Frühjahr 2024 ein Defizit von mehr als drei Prozent für 2025, das Finanzministerium veröffentlichte entsprechende Zahlen nach der Nationalratswahl. Ab diesem Punkt war klar: Österreich benötigt ein Sparpaket, um die EU-Fiskalregeln einzuhalten. Einen Plan hätte die Regierung bereits 2024 nach Brüssel schicken sollen – was aufgrund der langen Regierungsbildung aber nicht geschah. Im Jänner übermittelten dann FPÖ und ÖVP der EU-Kommission ihr 6,4-Milliarden-Paket. Ob die Kommission dem EU-Rat die Einleitung eines Defizitverfahrens empfiehlt, bewertet sie im Mai. Der Ratsbeschluss folgt voraussichtlich im Juli.
Wird es dazu kommen?
Alles deutet darauf hin. Marterbauer hält das Verfahren ohnehin für keinen „Beinbruch“. Auch die ÖVP, die es dringend verhindern wollte, scheint sich damit abgefunden zu haben. „Wir werden am Ende des Jahres das Budgetdefizit nicht glaubwürdig unter drei Prozent bringen können“, meint auch Ökonom Philipp Heimberger vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
Was passiert in einem Defizitverfahren?
Gegen acht EU-Staaten – darunter Frankreich, Belgien und Italien – läuft ein solches bereits. Die „gute“ Nachricht: Diese müssen nicht sofort „Maastricht“ einhalten, sondern jährlich zumindest Ausgaben in Höhe von 0,5 Prozent des BIP kürzen. Österreich könnte sein Sparpaket heuer also abschwächen – was aber nicht geplant ist.
Wie wirkt sich das Ver- fahren auf Staaten aus?
Werten Ratingagenturen EU-Staaten in einem Defizitverfahren eher ab? Steigen Zinsaufschläge? Es gebe kein klares Bild, die Sorge werde aber „stark aufgebauscht“, meint Heimberger. Ökonom Hanno Lorenz vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria betont wiederum gegenüber dem KURIER, die Regierung solle weiterhin versuchen, ein Defizitverfahren zu umgehen: „Sonst verschiebt sie das Problem nur in die Zukunft, und der Konsolidierungsbedarf wäre dann noch höher.“
Will die Regierung zusätzlich sparen?
Die SPÖ definitiv nicht. Finanzstaatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP) ist zumindest „gegen neue oder höhere Steuern“. Heimberger hält ein noch größeres Sparpaket für „sehr unrealistisch“. Gründe: Die Zustimmung zur Regierung würde sinken, der ökonomische Abschwung könnte sich verschärfen.
Wo könnte Türkis-Rot- Pink heuer noch sparen?
Ökonom Lorenz sieht noch Potenzial. Die Ausgaben der Ministerien seien seit 2019 jährlich deutlich über der Inflationsrate gestiegen. Insofern sei es unambitioniert, dort nur 1,1 Milliarden Euro einsparen zu wollen – wie im 6,4-Milliarden-Paket vorgesehen. „Aus unserer Sicht wären bis zu drei Milliarden möglich.“ Je eine weitere Milliarde Potenzial ortet Lorenz heuer bei den Unternehmensförderungen und beim Finanzausgleich. Ausgabenseitig spare Türkis-Rot-Pink, abseits vom Klimabonus, ohnehin kaum, kritisiert Lorenz. Ebenso fehlten Strukturreformen wie die Anpassung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung. Ob ohne oder mit Defizitverfahren: „Wichtig ist, dass die Regierung jetzt nicht das Minimalste macht. Ansonsten wird es nicht möglich sein, Punkte wie eine Lohnnebenkostensenkung ab 2027 gegenzufinanzieren.“
Wird die EU Österreich nun konkrete Sparvorgaben machen?
Die Kommission werde Österreich wohl keinen „Reformplan“ schreiben, meint Heimberger. Bekannt ist, dass die EU hierzulande Sparpotenzial im Pensionsbereich oder beim Föderalismus sieht.
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