Lacina: "Vom Regen in die Traufe"

Lacina: Trump-Politik und Brexit bedeuten steigende Preise und Konzerne.
Der Ex-Finanzminister analysiert, was beim Zurückdrehen der Globalisierung passieren würde.

KURIER: Herr Lacina, Brexit, Trump, zunehmender Nationalismus – wie ordnen Sie das ein, was wir gerade erleben?

Ferdinand Lacina: Wir sehen die Spätfolgen einer sehr vehementen Wirtschaftskrise. Diese Krise hat in den Gehirnen deutlich etwas verändert, sie hat zu Verunsicherung geführt. Hinzu kommen ein schwaches Wachstum, stagnierende Realeinkommen, und dass als Folge der Globalisierung Niedriglohnbereiche abgesiedelt wurden oder der Rationalisierung zum Opfer fielen.

Die Leute sind auch enttäuscht, dass nicht alle von der Globalisierung gleichermaßen profitieren. Was lief falsch?

Die EU hat zwar sehr genau hingeschaut, wenn es um staatliche Beihilfen im öffentlichen Sektor ging, sie hat aber viel zu lange weggeschaut, wenn es um eine andere Form der Beihilfen, nämlich Steuerprivilegien für private Konzerne, ging. Indem Länder wie Irland an ihrer Unternehmensbesteuerung nicht rütteln ließen, ist ein Steuer-Wettbewerb zugunsten der großen Konzerne entstanden. Wenn ein österreichischer Trafikant oder Gastwirt sich darüber aufregt, dass er die Registrierkasse installieren muss, muss man das eigentlich verstehen, wenn gleichzeitig große Konzerne unerhört viel an Steuern hinterziehen. Die Steuerlast liegt auf den Arbeitenden, während Kapitalgesellschaften kaum mehr belastet werden.

Ändern der Brexit und die Trump-Wahl etwas daran?

Nein. Großbritannien wird versuchen, die starken negativen Folgen des Brexit dadurch auszugleichen, dass man mit der Unternehmensbesteuerung runtergeht und noch mehr zur Steueroase wird als jetzt. Und Trump hat offen angekündigt, dass er die Unternehmenssteuern massiv senken will. Sehr bald werden die Wähler, die aus Frustration über ihre soziale Situation in den alten Industriegebieten Englands und der Vereinigten Staaten für den Brexit und für Trump gestimmt haben, merken, dass das alles auf ihre Kosten geht, dass ihre Situation dadurch nicht besser wird.

Brexit- und Trump-Wähler glauben, dass es ihnen hilft, wenn man die Globalisierung zurückdreht. Was würde passieren, wenn man das wirklich tut?

Die Globalisierung zurückzuführen, würde bedeuten, vom Regen in die Traufe zu kommen. Wenn man wirklich Strafzölle erhebt und Handelsabkommen kündigt, bedeutet das nichts anderes, als dass die Produkte ganz wesentlich teurer werden. Die Leute, die ohnehin über eine sehr schmale Geldbörse verfügen, können sich dann gar nichts mehr leisten.

Was wäre ein richtiger Ansatz in der globalisierten Welt?

In Richtung Fairtrade unterwegs zu sein. Es ist nicht einzusehen, dass die Internationale Arbeitsorganisation, die ILO, viel weniger wichtig ist als die Handelsorganisation WTO. Es geht darum, dass die Situation für Arbeitnehmer insbesondere in den Niedriglohnländern verbessert wird. Wir hören oft von Fabriksbränden in asiatischen Niedriglohnländern. All das gab es auch in der industrialisierten Welt. Die Sweat Jobs in den USA – auch da sind die Frauen in Brooklyn in Fabriken eingesperrt worden, und wenn die Fabrik brannte, sind die Frauen mitverbrannt. Heute passiert das in Bangladesch.

Liegt hier ein Versagen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften vor, indem sie nationalistisch und protektionistisch auf die Globalisierung reagieren, anstatt global für Arbeitnehmer-Rechte zu kämpfen?

Das stimmt leider. Da ist in den letzten 30, 40 Jahren etwas passiert. Die internationale Gewerkschaftsarbeit ist stark ins Hintertreffen geraten, weil die Gewerkschaft als Folge der De-Industrialisierung deutlich schwächer wurde. Aber es ist auch das Bewusstsein deutlich geringer geworden, dass man eine internationale Bewegung ist. Gibt es eigentlich noch eine Sozialistische Internationale? De facto ist sie tot. Die Versuche, die damals Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme gemacht haben, über den europäischen Raum hinauszugehen, sind gescheitert. Es gibt heute zwar eine europäische Sozialdemokratie, aber auch die ist nicht in der Lage, europäische Politik zu machen. Wir haben Europawahlen, aber es findet nie eine Debatte über europäische Politik statt. Das Ergebnis der Europa-Wahlen ist das Aufaddieren nationaler Wahlergebnisse nach nationalen Wahlkämpfen.

Herr Lacina, Sie waren ein Befürworter des EU-Beitritts, Sie haben bei den Beitrittsverhandlungen entscheidend geholfen, dass sie gut gingen. Wurden Ihre Erwartungen eigentlich erfüllt?

Ich muss ehrlich sagen, ich habe das völlig falsch eingeschätzt. Für mich war einer der Beweggründe, für eine EU-Mitgliedschaft Österreichs zu sein, die Hoffnung, dass wir an einer europäischen Diskussion teilnehmen können und nicht in der Provinz verharren. Und siehe da, das Gegenteil ist eingetreten – ablesbar auch daran, dass es jetzt in fast allen Supermärkten Dirndln und Lederhosen zu kaufen gibt.

Vor der Osterweiterung gab es eine EU-Debatte, ob man zuerst "Vertiefen" oder "Erweitern" solle. Frankreich war fürs Vertiefen, Großbritannien fürs Erweitern, was sich durchgesetzt hat. War das ein Fehler?

Großbritannien hat tatsächlich versucht, die Weiterentwicklung der EU hintanzuhalten, wodurch das Problem entstand, dass die EU nun nicht handlungsfähig ist. Man hat bei der Erweiterung verabsäumt, gleichzeitig die Entscheidungsstrukturen in der Union anzupassen. Im Wesentlichen haben wir noch immer das Europa der 6 oder der 15, aber das passt nicht für das Europa der 27 und 28.

Ist jetzt eine Vertiefung noch realistisch? Soll man sie wagen?

Es geht gar nicht anders. Wenn die USA sich tatsächlich aus der internationalen Arena stärker zurückziehen, dann gibt es nur die Möglichkeit, dass die EU-Länder sich ihre Stärke bewusst machen und diese Stärke ausspielen. Ohne eine Vertiefung, ohne stärkere politische Integration und ohne bessere Entscheidungsfähigkeit sehe ich – Scheitern ist vielleicht ein zu großes Wort – deutliche Rückschritte auf die EU zukommen.

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