Kurz warnt: Deutsche Wahl "ist für Europa eine Zäsur gewesen"
Club 3: Ist es nicht ein Alarmsignal für die konventionellen Parteien, wenn Gruppierungen wie die bisher völlig unbekannte MFG in Oberösterreich auf Anhieb in den Landtag kommen und in Graz die KPÖ den Bürgermeistersessel erringt?
Sebastian Kurz: Meine Meinung zu Graz ist naheliegend: Ich glaube, dass der Kommunismus für unglaublich viel Leid, Armut, Verzweiflung, Verbrechen weltweit verantwortlich ist. Daher kann ich das Wahlergebnis absolut nicht nachvollziehen.
Es spricht allerdings auch nicht für Ihren Parteikollegen, den langjährigen Bürgermeister Siegfried Nagl …
Er hat es sehr, sehr gut gemacht, man muss einmal 18 Jahre Bürgermeister in Graz sein. Dafür will ich ihm Danke sagen. Was Oberösterreich betrifft, denke ich, dass so etwas in einer pluralistischen Demokratie normal ist: Es bilden sich neue Parteien und Gruppen, manche verschwinden auch wieder. Wir als Volkspartei können sehr zufrieden sein, Erster zu sein.
In Deutschland haben Sie den CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet unterstützt, der für die Union das schlechteste aller Wahlergebnisse erzielt hat. Hatte das mit der Partei zu tun oder mit dem Kandidaten?
Es war ein harter Wahltag für unsere Schwesterpartei. Von außen hat man den Eindruck, dass da in den letzten Jahren in der CDU und CSU nicht alles ganz perfekt gelaufen ist. Deutschland ist das größte und stärkste Land der Union. Diese Wahl ist für Europa eine Zäsur gewesen, die wir auf europäischer Ebene noch ordentlich spüren werden. Das wird jetzt noch gar nicht diskutiert. Aber wenn Deutschland in Zukunft für eine Vergemeinschaftung der Schulden eintritt, wer zahlt dann für die Schulden in Griechenland, in Italien und anderen Teilen der Europäischen Union? Das sind dann die west- und die mitteleuropäischen Steuerzahler. Dagegen werde ich ankämpfen. Mit einem Partner wie Deutschland an der Seite ist so ein Kampf einfacher, als wenn es in die andere Richtung zieht.
Sie warnen also vor einem Linksruck in Deutschland, der die ganze EU in Mitleidenschaft zieht? Erwarten Sie wirklich so eine starke Kursänderung durch einen SPD-Kanzler Scholz?
Das wird auf die Koalitionsverhandlungen ankommen und wie stark die FDP hier dagegenhalten kann. Aber ich kenne die Programme der Parteien. Und ich will nicht, dass der österreichische Steuerzahler die Schulden der Italiener zahlt. Aber wir haben ein Gewicht in der Europäischen Union, und es ist gut, Partner wie die Niederlande, die Dänen und andere zu haben. Beim Thema Migration hatten wir ja schon bisher mit Deutschland immer wieder unsere Probleme, weil es einen anderen Kurs verfolgt hat. Ein absoluter Linksrutsch, also Rot-Rot-Grün geht sich Gott sei Dank nicht aus.
Club 3 mit Kanzler Sebastian Kurz - Teil 1
Club 3 mit Kanzler Sebastian Kurz - Teil 2
Inwieweit sind Sie sich bei der Steuerreform mit dem Koalitionspartner einig?
Die Verhandlungen laufen sehr gut. Eine Bepreisung von umweltschädlichen Dingen macht Sinn – und eine Entlastung von arbeitenden Menschen macht auch Sinn. Das ist ein ordentlicher Weg, und den werden wir gemeinsam beschreiten. Wichtig ist: Jeder, der in unserem Land arbeiten geht, der einen Beitrag leistet, wird bei dieser Reform besser aussteigen. Jeder, der Kinder großzieht und arbeiten geht, wird noch besser aussteigen.
Und wer wird schlechter aussteigen?
Wenn die Steuerlast sinkt, muss niemand schlechter aussteigen. Unser Weg ist der des Wirtschaftswachstums. Wir wollen ja nicht nur darüber reden, wie der immer gleich groß bleibende Kuchen verteilt werden kann, sondern der Kuchen muss größer werden. Wir haben für heuer eine Prognose von vier Prozent Wachstum, nächstes Jahr ist es vielleicht noch mehr. Wir haben weniger Arbeitslose als vor der Pandemie. Wir sind also auf einem guten Weg. Und wenn wir diesen Weg fortsetzen, dann können wir die Steuerlast sukzessive senken. Das ist notwendig, dafür bin ich gewählt worden – und das wird auch so stattfinden.
Braucht es nicht auch einen gewissen Druck, um wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen?
Unser Sozialstaat funktioniert nur, wenn jeder, der kann, auch seinen Beitrag leistet. Und ich habe überhaupt kein Verständnis für junge Leute, die das nicht tun. Daher werden wir hier immer druckvoller werden.
Sie haben immer gesagt, dass Sie mit einer Anklage rechnen. Was sagt Ihnen Ihr derzeitiges Gefühl?
Viele Menschen verstehen nicht, was da passiert. Und so geht’s mir auch. Aber ich versuche, mich nicht damit zu beschäftigen, und nehme die Dinge, wie sie kommen.
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