Kurz und die FPÖ: Türkiser Glanz mit blauen Flecken

Kurz und die FPÖ: Türkiser Glanz mit blauen Flecken
Eine ausführliche ARD-Doku zeichnet das Bild vom Strahlemann Sebastian Kurz. Die Realität ist diffiziler.

Der Titel versprach ein spannendes Stück Zeitgeschichte: „Auf schmalem Grat – Der riskante Politkurs des Sebastian Kurz“. So titelte die ARD ihre breit beworbene Dokumentation über Österreichs Regierungschef,  Montagabend lief sie im deutschen Fernsehen. 
Gleich vorweg: Der Titel hält nicht ganz, was er verspricht. Denn trotz gehörigen Aufwands (die deutschen Journalisten begleiteten Kurz über mehrere Monate)   überwiegt in der analytischen Beobachtung über weite Strecken eines: pure Faszination.
Im Büro des Kanzlers  dürfte man mit dem Film zufrieden sein, wird doch genau das Bild transportiert, das man mit allen nur erdenklichen Mitteln pflegt: Sebastian  Kurz, der  Reformer. Sebastian Kurz, der Kämpfer gegen  den Antisemitismus. Sebastian Kurz, der Brückenbauer.

Quoten-Garant

Tatsächlich aber kommt das  von Faszination durchwachsene Fernseh-Stück ein wenig zur falschen Zeit.  Denn während der österreichische Regierungschef weiterhin als Quoten-Garant gilt und mit dem deutschen CSU-Politiker und EVP-Frontrunner Manfred Weber im Wahlkampf ständig im Doppelpack auftritt, kämpft der ÖVP-Chef „zu Hause“, sprich in Österreich, mit  veritablen Irritationen:  Seit einer Woche müssen sich der Kanzler und seine Partei für den  gleichermaßen streitbaren wie umstrittenen Innenminister des Koalitionspartners  rechtfertigen. Vom Bundespräsidenten abwärts wurde der freiheitliche Herbert Kickl  ob seiner  provokanten Aussagen zur Europäischen Menschenrechtskonvention kritisiert.
Und wie schon beim umstrittenen Medienerlass im Innenressort lag es an Kanzler Kurz, den freiheitlichen Ressortchef mehr oder weniger sanft zu rügen. 
Noch zeigen die Irritationen keine nachhaltigen Spuren.  Allerdings könnte das Binnenklima zwischen ÖVP und FPÖ in Bälde leiden. 
Schon morgen, Mittwoch will die Liste Jetzt (vormals Pilz)  von der ÖVP wissen, wie sie es denn mit dem Koalitionspartner hält. Und so stellt sie  im Parlament eine „Dringliche Anfrage“ an Regierungschef Kurz.

Missverständliche Aussagen

Ob sich der Kanzler selbst der Kritik an seinem Innenminister stellt oder einen Minister als Vertretung in den Nationalrat schickt,  blieb am Montag vorerst offen.
 Faktum ist, dass die Opposition  die ÖVP zu den „missverständlichen Aussagen“ Kickls in Sachen Menschenrechtskonvention nicht aus der Verantwortung lassen will. Auf den ersten Blick  sind ÖVP und FPÖ  immer noch weitgehend eines Sinnes. Man widerspricht einander öffentlich so selten wie nur irgend möglich.
Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zusammenarbeit zunehmend fordernd wird. 

Regierungsbonus

„Solange wir in den Umfragen und vor allem bei Landtagswahlen stabil bleiben, bleibt es auf Bundesebene ruhig“, sagt ein freiheitlicher Stratege aus der Steiermark.  Die Betonung liegt auf „solange“. Denn betrachtet man Umfragen und das Wahlergebnis der Nationalratswahl, fällt eines auf: Der  bisweilen prognostizierte Absturz in den Umfragen, der mit Regierungsbeteiligungen oft einhergeht, ist zwar weder bei der FPÖ noch bei der ÖVP sichtbar.
Allerdings scheint  die Volkspartei deutlich mehr von  der Koalition zu profitieren, sprich: Sie steigt weiter in den Umfragen und  hängt die FPÖ ab  – sie kassiert also den Regierungsbonus. 
Wohl auch deshalb sah sich FPÖ-Parteichef  Heinz-Christian Strache zuletzt genötigt, auf die unbestreitbaren Vorzüge der eigenen Regierungsarbeit hinzuweisen. Beim Neujahrstreffen in Wien  stellte er eine bemerkenswerte Rechnung an:  Obwohl man bei der Wahl nur
 26 Prozent der Stimmen ergattert habe, würden 75 Prozent der Regierungsarbeit „blaue Handschrift“ tragen. 
Nach dieser Rechnung liegt die FPÖ 50 Prozent über Plansoll. Eine schräge Kalkulation, niemand weiß das besser als Strache selbst. 

Härtetest

Der nächste Härtetest wird, soweit sind sich die meisten FPÖ-Strategen einig,  
 die Wien-Wahl.  Denn genau hier zeigt sich das Problem, das Herbert Kickl auch auf Bundesebene verursacht. „Ein Kickl oder ein Johann Gudenus funktionieren nur bei 10, 15 Prozent unserer Kern-Wähler. Sie sind zu aggressiv, zu scharf“, sagt ein Wiener Blauer. 
Abhilfe könnte eine Kandidatur von Heinz-Christian Strache schaffen. Der Vizekanzler als Wiener FPÖ-Kandidat? Was sagt wohl der Kanzler dazu?
Irgendwie ist es ja doch ein schmaler Grat. 

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