In ÖVP wächst die Angst vor "perfektem Menschen"

In ÖVP wächst die Angst vor "perfektem Menschen"
Die gesetzlich erlaubte Vorab-Untersuchung von Embryonen spaltet den ÖVP-Klub.

Wird es bei künstlichen Befruchtungen bald möglich sein, nicht nur die Lebensfähigkeit, sondern auch Geschlecht und andere "Wunsch-Kriterien" des Babys vorab zu bestimmen?

Es sind existenzielle Fragen wie diese, die das Parlament nun beschäftigen. Denn nachdem ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter und SPÖ-Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser ein Gesetz in Begutachtung geschickt haben, das unter anderem die Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglicht, regt sich insbesondere im Parlamentsklub der Volkspartei veritabler Widerstand.

Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg fürchtet nicht weniger als einen Dammbruch: „Es wird zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden“, sagt Huainigg. Letztlich sei es eine Frage der Zeit, bis man Faktoren wie Geschlecht oder Augenfarbe vorab bestimmen wolle, um den „perfekten Menschen“ zu zeugen. Ein anderer Mandatar, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ergänzt: „Vor Jahrzehnten war der Kaiserschnitt noch eine Notfallmaßnahme. Heute ist er in unserer auf Planbarkeit und Leistung fixierten Gesellschaft vielfach zur Regel geworden. Wer sagt, dass das nicht auch bei der Pränataldiagnostik passiert?“

Sowohl der VP-nahe Justizminister wie auch ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger kalmieren. „Die PID bleibt ja grundsätzlich verboten“, sagt Rasinger. Nur in Ausnahmefällen (hohes Risiko für schwere Erbkrankheiten oder mehrfache Fehlversuche bei In-vitro-Fertilisationen) werde sie ermöglicht. „Und auch das nur unter Aufsicht einer speziellen Ethik-Kommission.“

Sondersitzung

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka weiß freilich um die Brisanz des Themas – zumal sich neben den Behinderten-Verbänden auch kirchliche bzw. Kirchen-nahe Institutionen ausnehmend kritisch geäußert haben.

Als ersten Schritt hat sich der ÖVP-Klub daher eine Sonder-Sitzung verpasst. Nächsten Freitag soll intern und mit Experten diskutiert werden. „Klares Ziel ist dabei, dass der Klub auch bei diesem ethisch fordernden Thema eine Linie findet“, sagt Familiensprecher Georg Strasser.

Und was, wenn dies nicht gelingt? Dann, so heißt es im Umfeld des Klubchefs, werde man überlegen, die Abstimmung aus Gewissensgründen freizugeben – immerhin habe dies auch Parteichef Mitterlehner angedacht.

Das wäre eine jedenfalls nicht alltägliche Maßnahme. Der bisher einzige Fall, in dem der Klubzwang in der ÖVP offiziell aufgehoben wurde, reicht in die 90er-Jahre zurück. Das Thema damals war ein nicht minder emotionales, nämlich: Die Senkung des Alkohol-Limits im Straßenverkehr von 0,8 auf 0,5 Promille.

Fortpflanzungsgesetz

Samenspende Bei der In-vitro-Fertilisation soll es künftig die Möglichkeit einer Samenspende für weibliche homosexuelle Paare geben.

Pränataldiagnostik Die PND bleibt grundsätzlich verboten, soll in Ausnahmen aber nach Prüfung durch eine Kommission möglich sein. Zum Beispiel bei einem nachgewiesen hohen Risiko einer schweren, nicht behandelbaren Erbkrankheit.

Seit zehn Jahren wird über eine Reform der Regelungen zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung (IVF) diskutiert. Jetzt liegt ein Gesetzesentwurf vor. Univ.-Prof. Markus Hengstschläger (Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik der MedUni Wien und stv. Vorsitzender der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt) war als führender Experte maßgeblich in die Beratungen eingebunden.

In ÖVP wächst die Angst vor "perfektem Menschen"
Markus Hengstschläger am 15.1.2014 im gesundheitstalk

KURIER:Der Entwurf hat gegensätzliche Reaktionen ausgelöst: Bischof Klaus Küng sprach von "Dammbruch", vielen Fortpflanzungsmedizinern hingegen geht er nicht weit genug.

Markus Hengstschläger:Das ist sicher kein Dammbruch. Es ist ein in Ruhe bedachter, ausgewogener und mit viel Gefühl gemachter Entwurf mit hohen ethischen Normen. Er ist strenger als die meisten Gesetze anderer Staaten. Österreich prescht hier nicht voraus, sondern zieht lediglich mit anderen Ländern gleich. Ich sehe in dem Gesetz auch ein Lebenswerk von mir vollendet. Zehn Jahre habe ich beratend auf alle zuständigen Minister und Parteichefs eingewirkt, viele Kollegen haben zu mir gesagt: "Warum tust du dir das an, das wird nie etwas." Jetzt hat sich bestätigt: Man darf nicht aufgeben.

Die Aktion Leben kritisiert, der Entwurf solle ohne Diskussion "durchgewunken" werden.

Genau das Gegenteil ist der Fall: Österreich ist in Europa das Land, das diese Thematik am längsten diskutiert hat. Es gibt bereits aus dem Jahr 2004 Empfehlungen der Bioethikkommission zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Argumente liegen seit Jahren auf dem Tisch. Und so liberal, wie teilweise behauptet wird, ist das Gesetzt nicht. Die Debatte läuft oft nur in die Richtung: "Ist es ethisch, dies oder das zu ermöglichen?" Wir müssen aber auch diskutieren: "Ist es ethisch, dies oder das nicht zu ermöglichen?" So gesehen ist die derzeitige Situation in Österreich ethisch nicht vertretbar: Wir können es uns nicht leisten, einen Embryo, der nicht lebensfähig ist, in eine Gebärmutter einzusetzen, und einer Frau, die dadurch mehrere erfolglose IVF-Zyklen und damit hohe physische, psychische und auch ökonomische Belastungen aushalten muss, zu sagen: Ja, leider, aus ethischen Gründen dürfen wir den Embryo nicht auf seine Lebensfähigkeit untersuchen. Und wir können es uns ethisch auch nicht leisten, Paaren zu sagen: Wenn Sie Geld haben, fahren Sie ins Ausland, wenn Sie keines haben, dann haben Sie Pech gehabt. Wir können auch nicht die PID verbieten und den Spätabbruch erlauben.

Besteht die Gefahr, dass durch die Präimplantationsdiagnostik der Stellenwert behinderter Menschen untergraben wird?

Dafür gibt es international überhaupt keine Anhaltspunkte. Die Genetik hat auch nur einen geringen Prozentanteil an der Entstehung von Behinderungen. Die Auflagen sind extrem streng. Zuerst muss überdies die unbefruchtete Eizelle untersucht werden, und nur wenn dies nicht ausreicht, kann in bestimmten Fällen (siehe oben) eine PID am Embryo durchgeführt werden.

Bei der Eizellspende werden gesundheitliche Gefahren für die Spenderinnen und kommerzielle Ausbeutung befürchtet.

Die Samenspende war ja schon erlaubt. Es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, die Eizellspende zu verbieten. Gleichzeitig darf die Spenderin nicht älter als 30, die Empfängerin nicht älter als 45 sein – damit wird das Risiko seltener Nebenwirkungen reduziert. Für eine Spende darf auch kein Geld bezahlt werden.

Wer wird dann Eizellen spenden, wenn er kein Geld bekommt?

Eine Möglichkeit sind Spenden aus dem Familienkreis. Ich kenne aber auch Fälle, wo Frauen, die selbst mittels IVF bereits ein Kind bekommen haben, sagen: Mir hat die künstliche Befruchtung geholfen und ich will jetzt dazu beitragen, dass auch eine andere Frau dieses Glück erleben kann.

Kritiker meinen, durch Samen- und Eizellspende müssten mehr Kinder mit "gespaltener Elternschaft" zurechtkommen,

Hier wird die biologische Elternschaft gegenüber der gesellschaftlichen Elternschaft überschätzt. Zehn Prozent aller Kinder sind nicht von dem Vater, von dem sie glauben, es zu sein. Aber für ihre Entwicklung spielt das keine Rolle. Wichtig sind die unmittelbaren Bezugspersonen. Die Möglichkeit, den Spender zu erfahren, gibt es jedenfalls ab 14 Jahren.

Fortpflanzungsmediziner kritisieren, dass für alleinstehenden Frauen die Samenspende nicht zugelassen wird und generell das Einfrieren von Eizellen für einen späteren Kinderwunsch verboten bleibt.

Ersteres ist eine gesellschaftspolitische Debatte: Möchte ich, dass Kinder zu Beginn ihres Lebens zumindest die Chance auf zwei Elternteile haben? Das ist eine Frage des Familienbegriffs. Biologisch gesehen gäbe es natürlich kein Problem. Das Einfrieren von Eizellen für späteren Kinderwunsch führt hingegen von der Medizin weg in Richtung medizinische Dienstleistung. Das sollte man nicht mit unserem strengen Gesetz vermischen.

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