Koalition: Besserstellung von Menschen mit Behinderung soll ausgesetzt werden

Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache
Die Regierung plant eine Verschiebung des Erwachsenenschutzgesetzes mit der Begründung, dass dafür das Geld fehlt. Behindertenorganisationen und die Opposition sind empört.

Mehr Autonomie und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung - dafür hätte ab 1. Juli ein neues Gesetz sorgen sollen. Wie am Montag bekannt wurde, plant die Regierung nun aber eine Verschiebung dieses sogenannten "Erwachsenenschutzgesetzes". Das Geld dafür fehle, lautet die Begründung. Behindertenorganisationen und die SPÖ sind empört.

Das Gesetz war im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen worden und sollte das 30 Jahre alte Sachwalterrecht ablösen. Ziel war es, die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal einzuschränken. Stattdessen sind abgestuft Formen der Vertretung vorgesehen, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt. Die Kosten dafür hätten heuer 9,5 Mio. Euro betragen und wären in den nächsten Jahren kontinuierlich gesunken, 2019 auf acht Mio., 2020 auf sieben und 2021 auf nur mehr zwei Mio. Euro. Die Anfangskosten ergeben sich durch den Personalmehrbedarf, der allerdings bis 2022 durch den Abbau von gerichtliche Erwachsenenvertretungen weitgehend zurückgehen wird, heißt es im Vorblatt zum Gesetz.

Die Behindertenvertreter sollen dem Vernehmen nach heute Früh von der Regierung darüber informiert worden sein, dass das Gesetz nun um zwei Jahre verschoben werden soll. Im Bundeskanzleramt und im zuständigen Justizministerium war vorerst niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Breite Kritik aus der Opposition

Der zeitliche Aufschub sorgt nun auf unterschiedlichen Seiten für Empörung: "Das angebliche Hinausschieben auf den St. Nimmerleinstag des Erwachsenenschutzgesetzes ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und jener, die seit Jahren für dieses Recht auf selbstbestimmtes Leben gekämpft haben", kritisierte Ulrike Königsberger-Ludwig, SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung. "Diese Menschen haben offenbar keinen Stellenwert mehr für diese Bundesregierung." Mit ihrem Vorhaben lege die Bundesregierung "gesellschaftspolitisch wieder den Rückwärtsgang ein", sagte die Abgeordnete.

Als "empörend" bezeichnete es auch Liste-Pilz-Klubobmann Peter Kolba, "dass diese Regierung beschlossene Gesetze offenbar reihenweise wieder ändern, abschaffen oder verschieben will". Im konkreten Fall des Erwachsenenschutzgesetzes sei das "ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen mit Behinderung, die - entgegen allen Hoffnungen - nun weitere Jahre 'besachwaltet" bleiben sollen".

NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss übte ebenfalls Kritik: "Das Sachwalterrecht ist mittlerweile über 30 Jahre alt und längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die Reform, die letztes Jahr einstimmig im Nationalrat beschlossen wurde, hätte nun endlich ein flexibles Sachwalterrecht gebracht, das die Freiheit und Selbstbestimmung betroffener Personen bestmöglich schützt. Es ist unverständlich, warum die ÖVP-FPÖ-Regierung nun einen Rückzieher macht." Griss fordert die Regierung auf, die Umsetzung nicht länger hinauszuzögern.

Größtes gesellschaftspolitisches Projekt der vergangenen Legislaturperiode

Auch für Volksanwältin Gertrude Brinek ist eine Verschiebung der Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes nicht vorstellbar. "Die Finanzierung wurde vor einem Jahr zugesichert. Ich gehe davon aus, dass das gesetzeskonform umgesetzt wird", so Brinek. Das Erwachsenenschutzgesetz, mit dem die pauschale Besachwalterung von Menschen mit Beeinträchtigungen durch abgestufte Formen der Vertretung mit mehr Autonomie und Selbstbestimmung ersetzt wird, "war das größte gesellschaftspolitische Projekt der vergangenen Legislaturperiode im Justizbereich".

"Was in den letzten Tagen die Runde macht, erschreckt uns nachhaltig", zeigte sich Monika Schmerold vom Verein "Selbstbestimmt Leben Österreich" entsetzt. Mit einer Verschiebung des Gesetzes "blieben rund 60.000 Personen im alten System der Sachwalterschaft gefangen", sagte Schmerold, die nachdrücklich auf Österreichs Verpflichtung im Rahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hinweist.

Bei der Staatenprüfung Österreichs zur Einhaltung der Konvention, im Jahr 2013, sei das System der Sachwalterschaft massiv kritisiert worden. Wenn das so bliebe, würde sich Österreich bei der nächsten Staatenprüfung 2019 "vollends blamieren". Zuerst werde von der Regierung der Ausbau der Sonderschulen angekündigt und nun die Beibehaltung der Sachwalterschaft, zeigt man sich bei "Selbstbestimmt Leben" empört und fordert, "von dieser unsinnigen Idee Abstand zu nehmen und diese Menschenrechtsverletzungen nicht zu prolongieren".

Aus dem zuständigen Justizministerium war auf APA-Anfrage nur zu hören, das Gesetz sei "Verhandlungsgegenstand der laufenden Budgetverhandlungen". Mehr könne man dazu nicht sagen.

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