Das Ende der Entmündigung

60.000 Menschen sind entmündigt
Justizminister plant Reform, auch Nachbarn können als Vertreter gewählt werden.

Nach einem Unfall mit Kopfverletzung bekommt Frau Meier einen Sachwalter zugewiesen. Er schränkt ihre finanziellen Mittel auf 200 Euro im Zwei-Wochen-Rhythmus ein und entscheidet auch sonst alles in ihrem Leben. Bei Widerspruch droht er ihr mit Einweisung in ein Heim.

Frau Meier beklagt sich bei Volksanwältin Gertrude Brinek (ÖVP) – sie benützt dafür ihr (vor dem Sachwalter geheim gehaltenes) Smartphone, kann also mit der modernen Zeit offenbar gut mithalten. Der Sachwalter "betreut", wie sich herausstellt, gleichzeitig 80 Fälle.

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat am Donnerstag das neue Erwachsenenschutzgesetz in Begutachtung geschickt. Es soll damit aufräumen, dass über Personen die Sachwalterschaft "verhängt" wird – wie der Minister drastisch formuliert –, wo es gar nicht notwendig ist: "Aber viele Behörden gehen im Zweifel den bequemeren Weg." Sektionschef Georg Kathrein assistiert: "Die Sachwalterschaft hat zu einer flächendeckenden Entmündigung geführt." Die Frau etwa, die ihre Miete seit Monaten schuldig geblieben ist, muss nicht unter Kuratel gestellt werden. Sie braucht nur jemanden, der ihr den Umgang mit IBAN und BIC erklärt.

Isolation

Bei Gertrude Brinek landen viele solche Beschwerden. Sie kritisiert, die Besachwalterung werde zu früh, zu umfassend und zu lange verfügt. Viele Betroffene beklagen, dass man sie von ihrem Umfeld, ihrer Familie, isoliert. Künftig soll niemand mehr zur Gänze entmündigt werden können. Die Erwachsenenvertretung (so heißt der Fachbegriff) einer Person soll nur noch für bestimmte Angelegenheiten (und nicht wie bisher für das gesamte Leben) und nur bis zur Erledigung dieser Angelegenheit, maximal drei Jahre, übernommen werden dürfen.

Und es muss davor ein Clearing durch anerkannte Erwachsenenschutz-Vereine durchgeführt werden, die überprüfen, ob bzw. wofür der Betroffene überhaupt eine Vertretung braucht.

Von März 2014 bis Dezember 2015 wurde an 18 Gerichtsstandorten ein Modellprojekt mit erweitertem Clearing praktiziert, bei dem sich zeigte: In zwei Drittel der Fälle konnten an Stelle einer vollen Sachwalterschaft alternative Unterstützungslösungen gefunden werden.

Das neue Gesetz hat vier Säulen:

Vorsorgevollmacht Wie bisher kann man sie einem Vertrauten für den Fall ausstellen, irgendwann nicht mehr ganz Herr seiner geistigen Kräfte zu sein. Gerichtliche Kontrolle gibt es nur in medizinischen Fragen.

Gewählte Vertretung Ist man in gewissen Belangen nicht mehr voll geschäftsfähig, kann man später immer noch seinen Partner, einen Freund oder einen Nachbarn wählen (das ist neu), sofern man die Tragweite noch versteht. Die Kontrolle ist eingeschränkt, der Vertreter muss sich in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) eintragen sein und bei Gericht jährlich die Lebenssituation des Betreuten darstellen.

Gesetzliche Vertretung Sie erfolgt durch nächste Angehörige, wird ausgebaut und verschafft dem Angehörigen weitergehende Befugnisse. Auch hier jährliche Berichte.

Gerichtliche Vertretung Ein Anwalt oder Notar (bisher Sachwalter) wird vom Gericht für bestimmte Themen für längstens drei Jahre bestellt. Er soll in der Regel nicht mehr als 25 Fälle betreuen und muss spezielle Schulungen absolviert haben, wie man mit Menschen in schwierigen Lebenslagen umgeht.

Freilich: Die stärkere Einbindung von Erwachsenenschutz-Vereinen und der Ausbau von Nachbarschaftshilfe ist noch ein langer Weg. "Die Nachfrage ist größer als das Angebot", sagt Volksanwältin Brinek.

Die Fakten

Der Betroffene muss für die Vertretung selbst zahlen, das Gericht bemisst nach Aufwand und Leistbarkeit.

60.000 Entmündigte gibt es in Österreich, vor zehn Jahren war es noch die Hälfte.

7286 neue Fälle kamen 2015 dazu, durch das Clearing gehen die Zahlen bereits zurück. Nach der Reform (2018) sollen sie um mehr als ein Drittel sinken.

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