Kindergärten-Ausbau: "Fürchte, dass wir kein Personal finden werden"
KURIER: Wie sehen Sie den Vorstoß des Kanzlers, als er im diesjährigen ORF-Sommergespräch 4,5 Mrd. Euro für die Lücke in der Kinderbetreuung der 1–3-Jährigen in Aussicht gestellt hat?
Susanna Haas: Grundsätzlich haben wir uns sehr darüber gefreut. Auch in den letzten Monaten gab es immer wieder Aussagen von verschiedenen Politikern, Sozialpartnern und Institutionen und das freut uns, weil schon lange nicht mehr so viel über den Kindergarten gesprochen wurde. Was uns nicht freut ist, dass nur über die Quantität gesprochen wird, also den Ausbau und nicht über die Qualität, die dringend notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen.
Warum spricht der Kanzler nur davon, die Lücke der Ein- bis Dreijährigen schließen zu wollen?
Österreichweit gibt es viel zu wenig Plätze für Kinder unter drei Jahren, diese Altersgruppe braucht noch intensivere Zuwendung als die über Dreijährigen. D.h. kleinere Gruppen, das beste ausgebildete Personal und einen höheren Fachkraft-Kind-Schlüssel. Darum wurde der Ausbau für die unter Dreijährigen in den letzten Jahren wahrscheinlich auch nicht so forciert – weil er kostenintensiver ist.
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Nach Zahlen des Familienministeriums sind rund 32 Prozent der unter Dreijährigen in einer Betreuungseinheit. 68 Prozent werden nicht betreut. Die Politik will vor allem VIF-konforme (VIF = Vereinbarkeitsindikator Familie und Beruf: 4 Tage/Woche 9,5 Stunden inkl. Mittagessen; Anm.) Betreuungsmöglichkeiten ausbauen, die Öffnungszeiten anbieten, die mit einem Vollzeitjob der Eltern vereinbar sind.
Ja, da geht es immer um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Sinne einer Betreuung. Kindergarten ist eine Bildungseinrichtung und ich fürchte, dass wir kein Personal finden werden, welches unter diesen Bedingungen in einer Bildungseinrichtung arbeiten will. Die Möglichkeit zum Quereinstieg, die Bildungsminister Polaschek angekündigt hat, finden wir sehr gut. Auf der anderen Seite werden schon seit vielen Jahren viele Menschen ausgebildet, die aber nicht in den Beruf kommen, weil die Rahmenbedingungen nicht passen.
Warum passen die Rahmenbedingungen nicht?
Das eine ist die Gruppengröße. Es sind zu viele Kinder in einer Gruppe. In einer Kleinkindergruppe werden in Wien zum Beispiel 15 Kinder unter drei Jahren von einer Fachkraft und einer Hilfskraft begleitet. Bei diesem Fachkraft-Kind-Schlüssel kann keine individuelle Förderung stattfinden, hier geht es dann um Betreuung. . Pädagoginnen haben eine Ausbildung gemacht und erwarten, das umsetzen zu können, was sie gelernt haben. Sie werden dann enttäuscht, wenn sie in den Kindergarten kommen. Das andere ist die Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit, also zum Beispiel Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Fortbildungen. Dafür hat eine Elementarpädagogin in Wien durchschnittlich fünf Stunden pro Woche Zeit, 35 Stunden ist sie in der Einrichtung mit dem Kind. Das kann sich nicht mehr ausgehen.
Wie schätzen Sie die Situation bei den 3-6-Jährigen ein?
Plätze für Eltern stehen zum Beispiel in Wien ausreichend zur Verfügung und sind VIF-konform. Aber die Rahmenbedingungen stimmen hier auch nicht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf bei der Gruppengröße und bei der Anzahl des Fachpersonals in der Gruppe. Wenn man die Gruppegröße aktuell nicht reduzieren kann, weil man so viele Plätze nicht bereitstellen kann, sollte mehr Personal in der Gruppe sein. Nicht eine Pädagogin sollte für 15 Kinder in Kleinkindergruppen zuständig sein, sondern mindestens zwei. Auch in Kindergartengruppen brauchen wir mehr Fachkräfte, denn Kinder haben das Recht darauf, dass Fachleute sie bestens begleiten. Da rede ich nicht nur von Sprachförderung - im Kindergarten lernen Kinder miteinander zu leben und umzugehen, das soziale und emotionale Lernen. Das ist die Grundbildung, damit die Kinder den Schritt in die nächste Bildungsinstitution gut gehen können.
Ist die Bezahlung dafür in Ordnung?
Die Bezahlung ist in einem guten Rahmen, aber sie ist je nach Institution und Bundesland sehr unterschiedlich. Weil es so einen großen Fachkräftemangel gibt, können sich die Pädagoginnen aussuchen, wo sie arbeiten wollen und orientieren sich natürlich am höchsten Gehalt.
Es gibt einen einheitlichen Rahmenlehrplan in der Elementarbildung für alle Bundesländer. Laut dem nationalen Bildungsbericht haben Kinder in der Volksschule einen Bildungsunterschied von bis zu 3,5 Jahren. Woran liegt das?
Die Erwartung an den Kindergarten ist groß, aber es wird vergessen, die Bedingungen so zu gestalten, dass Bildungsarbeit möglich ist. Die Arbeit der Pädagoginnen ist es, mit Kindern in Beziehung zu gehen, sie zu beobachten und dort anzusetzen, wo Kinder Unterstützung brauchen. Das kann der Kindergarten leisten, wenn die Bedingungen passen. Es gehört im Gesetz für Elementarpädagogik verankert, dass es einen Pool an Fachkräften gibt, die das Kind unterstützen. Die 4,5 Mrd. Euro, die Kanzler Nehammer angekündigt hat, sind vermutlich nur für den Ausbau und die Ausbildung für Quereinsteiger geplant. Wir benötigen aber eine langfriste Finanzierungsgarantie, für den laufenden Betrieb und Qualitätsmaßnahmen.
Die Wirtschaftskammer oder überhaupt die Sozialpartner sagen, dass jeder Euro, der in die frühkindliche Bildung eines Kindes investiert wird, achtfach zurückkommt.
Genau, das ist die Heckman-Studie, das ist wissenschaftlich belegt. Es braucht eine gesicherte, laufende Finanzierung , die an die aktuellen Anforderungen angepasst werden muss. Die Menschen würden auch wieder zurück in den Beruf kommen, wenn bessere Bedingungen mit mehr Personal und kleinere Gruppenvorhanden wären.. . Und sie würden nicht nach 1-2 Jahren aus dem Beruf ausscheiden und sich umorientieren. Weil die aktuelle Aussicht im Kindergarten ist oft einfach so dass ich mit vielen herausfordernden Kindern und ohne Unterstützung, nach kurzer Zeit ausgebrannt bin.. Da muss jetzt agiert und investiert werden., da jedes Jahr österreichweit immer mehr Pädagoginnen das Feld verlassen.
Wie ist Ihre Meinung zu einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung?
Einen Rechtsanspruch kann man aussprechen, wenn die Bedingungen passen. Wenn die Plätze geschaffen wurden, wenn genügend Personal in den Einrichtungen ist und wenn die besten Bedingungen für die Kinder bereitgestellt sind. Ein Rechtsanspruch für den Kindergarten hilft Eltern natürlich, wenn sie arbeiten gehen. Aber ein Kind hat das Recht, in einer Institution eine hohe Qualität vorzufinden. Und wenn ich einen Rechtsanspruch formuliere, muss dieser auch an Qualität gebunden sein.
Kinderbetreuungseinrichtungen sind oft scheinbar gar nicht darauf ausgelegt, eine Ganztagsbetreuung zu ermöglichen, weil die Infrastruktur fehlt. Ist das wirklich ein Problem?
Für die Gemeinde, die das betrifft, ist das wahrscheinlich vor allem ein finanzielles Problem, das aus meiner Sicht aber gelöst werden kann.
In Frankreich ist es nicht unüblich, dass man Kinder, nicht einmal Einjährige, schon in eine Betreuungseinrichtung gibt – in Österreich schon. Sehen Sie hier ein gesellschaftliches Problem?
Um diese Frage dreht es sich ja oft, wenn man vom Ausbau von Kinderbetreuung der unter Dreijährigen spricht. Man macht Müttern oder Eltern ein schlechtes Gewissen, Kinder in eine institutionelle Bildungseinrichtung zu geben. . Österreich ist noch weit entfernt davon, Familien das Gefühl zu geben, dass es in Ordnung ist, ein Kleinkind in Betreuung zu geben. Ich finde es auch nicht gut, wenn es Geld für Mütter gibt, damit sie zuhause bleiben, um ihr Kind zu betreuen. Das ist die falsche Richtung, in die man politisch geht. Das Geld sollte in Einrichtungen fließen. Einer Familie kann nichts Besseres passieren, als ein guter Kindergarten. Das eine ist, dass die Betreuungseinrichtung VIF-konform ist und sich Betreuung und Job ergänzen. Das andere ist, dass ich weiß, dass mein Kind dort auch die beste Bildung bekommt. Das VIF-Konforme werden wir gut hinbekommen, aber ich mache mir Sorgen um die Qualität der Elementarbildung in Österreich, wenn nicht parallel gleich viel Geld investiert wird, um die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Kindergartenpädagogen, also männliches Betreuungspersonal, sind eine ziemliche Mangelerscheinung. Haben wir da etwas falsch gemacht?
In den letzten Jahrzehnten haben vor allem nur Frauen in im Kindergarten gearbeitet und da war das Gehalt in Ordnung, weil eine Frau laut Klischee keine Familie ernähren musste. Da war ganz lange das Argument vorherrschend, dass Männer nicht im Kindergarten arbeiten können, weil sie die Familie von dem niedrigen Gehalt nicht ernähren können. Ich glaube, das Argument hören wir jetzt nicht mehr. Aber wir haben viel weniger Männer als wir gerne hätten.
Wie kann man Männer für die Arbeit im Kindergarten gewinnen?
Viele Institutionen versuchen über den Zivildienst Männer in den Kindergarten zu bekommen, diese bleiben manchmal und absolvieren eine Ausbildung. Das kommt immer wieder vor. Vielleicht ist es auch die 5-jährige Ausbildung gewesen, durch die sich junge Männer nicht angesprochen fühlen.. 14-15-Jährige sind gerade mitten in der Pubertät, wenn sie sich für einen Beruf entscheiden müssen und da können sich wahrscheinlich die wenigsten vorstellen, mit jungen Kindern zu arbeiten. Ich gehe davon aus, dass Männer durch die Kolleg- sowie universitäre Ausbildung besser angesprochen werden. Wir merken auch, dass durch die Erwachsenenbildung mehr Männer in den Beruf kommen, weil sie in einer ganz anderen Lebensphase stehen und sich etwas anderes unter Kindergarten vorstellen.
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