Schon 1748 ließ sich der schottische Philosoph David Hume dazu hinreißen, aus der Steiermark folgende Ungeheuerlichkeit in seine Heimat zu schreiben: „So ansprechend das Land in seiner Rauheit ist, so wild, entstellt und monströs sind die Bewohner. (...) Kretins und Taubstumme tummeln sich in jedem Dorf. Der allgemeine Anblick der Leute ist der schockierendste, den ich jemals gesehen habe.“
Hume schrieb aus Knittelfeld. Aber trotzdem.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Was ist die Essenz des Steirischen? Ist es die gemeinsame Sprache?
Immerhin sind sich Nicht-Steirer einig, dass der Steirer an sich nicht redet, sondern bellt – oder „böllt“, wie er oder sie selbst sagen würde.
Abgesehen davon, dass es sich hierbei nur um ein Urteil von außen handelt, ist es zudem nachweislich falsch.
Kulturelle Differenz
Die Steirer bellen nicht alle gleich. In der Obersteiermark verläuft eine scharfe Dialektgrenze – die zwischen dem Mittel- und dem Südbairischen. Und deshalb spricht ein „Ennstola“ völlig anders als ein „Földbocha“. Wer diese kulturelle Differenz nicht bemerkt haben will, lese nach in Reinhard P. Grubers weiß-grünem Nationalepos „Aus dem Leben Hödlmosers“.
In den 1970ern hat Gruber das Treffen eines West- und eines Obersteirers im Wirtshaus akkurat festgehalten:
Köflacher Bauer: „Wouhea beistn tou?“
Obersteirischer Bauer: „net fa to.“
Köflacher Bauer: „sou schaust aus, tou bleita troutl!“
Obersteirischer Bauer: „Hoiti papm, du westschtairische oaschsau!“
Dieser Dialog hat Generationen von steirischen Jugendlichen geprägt, gebildet. Auch den Schauspieler und Drehbuchautor Michael Ostrowski. Der Rottenmanner hat in Graz, Oxford und New York gelebt. Er hat die Welt gesehen. Wer, wenn nicht er, also einer, der ebenso weltgewandt wie „goschert“ ist, kann das Steirische benennen?
KURIER: Was ist das typisch Steirische, Herr Ostrowski?
Michael Ostrowski: Das, worauf sich vermutlich alle einigen können, ist das Kernöl.
Na und sonst?
Sonst ist es anmaßend bis unmöglich, das Steirische zu klassifizieren. Ich komm’ aus dem Paltental, das ist etwas völlig anderes als die Waldheimat oder Leibnitz.
Das heißt es gibt keine Gemeinsamkeit?
Doch. Freunde aus Wien sagen mir, die Steirer sind extrem freundlich. Und die Steirer haben so eine gewisse Lässigkeit. Der Humor hat Härte – aber gleichzeitig eine Leichtigkeit. Die Steirer schielen nicht nach außen. Und das gilt für die jungen Weinbauern aus der Südsteiermark genauso wie für die Terminatoren, die ausgewandert sind. Sie machen ihre G’schicht. Für sich, weil’s ihnen taugt, weil’s a Gaudi ham. Aber auch für die anderen. Denn wenn’s denen mittaugt, isses umso besser.
Frei nach Ostrowski „sich-nix-pfeifen“ als Kern des Steirischen?
Das klingt zunächst seltsam. Wo kommen da Dachstein und Erzberg vor? Was ist mit dem „steirischen herbst“, dem „G’seis“ und der Weinstraße? Wo kommt der leutselige Erzherzog Johann vor?
Doch so abwegig ist das nicht. Denn eines haben die Steirer seit hunderten von Jahren, konkret seit der „steirischen Magna Charta“, der Georgenberger Handfeste 1186, in ihrem kollektiven Gedächtnis. Und das ist ein gesundes politisches Selbstbewusstsein, das mit einem spürbaren Misstrauen gegenüber zentralistischer Bevormundung und Arroganz einhergeht.
Die regionale Verschiedenheit wird dabei nicht nur akzeptiert; sie wird bisweilen sogar freudig hochgehalten.
Barbara Frischmuth, die als Schriftstellerin in den 1990ern zurück in ihre Heimat Altaussee gezogen ist, hat dies einmal so beschrieben: „Der Unterschied zwischen dem nördlichen Ausseerland und der südlichen Weinstraße könnte kaum größer sein. Kein Wunder, dass es die Südsteirer ins Ausseerland und die Ausseer in die südliche Steiermark zieht.“
Es ist also ein steirisches Faktum, dass es – um den großartigen und natürlich steirischen Soziologen Manfred Prisching zu zitieren – ganz viele verschiedene Steiermarken gibt.
Aber vielleicht ist genau das die Antwort, was es ausmacht, das Steirische.
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