Kern nach Trump-Wahl: "Wir müssen noch mehr zuspitzen"

Bundeskanzler Christian Kern
Ein halbes Jahr nach Amtsantritt als Kanzler zieht Christian Kern vor Managern nachdenklich Bilanz.

Medienmacher von Hamburg über Berlin bis Stuttgart haben österreichische Politiker als willkommenen Aufputz für die eigene politische Bühne entdeckt. Sebastian Kurz ist gern gesehener Gast in deutschen Talkshows; Christian Kern seit seinem Gastbeitrag in der FAZ gefragter Interviewpartner. Im Oktober reiste Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo für ein öffentliches Zwiegespräch an. Montagabend lud Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart zum "Dinner-Talk" in die Wiener Sofiensäle.

Der Auftritt vor 300 Managern wäre noch vor Kurzem zur Plauderei unter Seinesgleichen geworden. Jetzt wird er zur fordernden Leistungsbilanz über seinen neuen Job an der Spitze der Österreich AG. Vor genau einem halben Jahr wurde der Ex-ÖBB-Chef als Kanzler angelobt. Gabor Steingart stellt vom Start weg unter Beweis, dass er sein Handwerk beim Spiegel gelernt hat. Zwischen Vorspeise und Hauptgang wird der Gast penibel auf Herz und Nieren geprüft. "Was war ihr erster Gedanke in der Trump-Wahlnacht?" – "Ein schockierendes Ergebnis. Mir war aber schon vor der Wahl Trumps klar: Egal, ob er gewinnt oder nicht, das Phänomen Trump wird uns noch lange beschäftigen."

"In den USA ist beim New Deal in den 30er-Jahren ein Feuerwerk abgegangen, am Ende stand Vollbeschäftigung. Sehen Sie in Österreich ein Feuerwerk?" – "Wir wollen keine Kopie der 30er-Jahre, sondern ein neues Denken. Hinter uns liegen acht Jahre Wirtschaftskrise mit praktisch keinem Wachstum, und wir diskutieren weiter Austerity-Konzepte. Wir brauchen einen unternehmerischen Staat, um die Wachstumspotenziale zu heben."

"Wie hoch wollen Sie das Wachstum bringen?" – "Bis zum Ende der Regierungsperiode wollen wir den Eurozonen-Schnitt erreichen, 2020 wollen wir darüber liegen."

"Ist Juncker der richtige Mann für Europa?" – "Ja, aber das Hauptproblem ist der EU-Rat. Uns holen die Webfehler der Vergangenheit ein. Auch Merkel kann das Spiel nicht mehr so bestimmen, wie ich mir das erwartet habe, das Spektrum in der EU ist sehr heterogen geworden – von Alexis Tsipras bis Viktor Orban."

Gemeinsame Wurzeln

Steingart hat in seiner Vergangenheit gekramt und gibt eine kleine, aber feine biografische Gemeinsamkeit zum Besten: Christian Kern war in Jugendjahren kurz quasi Steingarts Mitarbeiter, als er beim Wirtschaftsmagazin Option als Redakteur werkte; Steingart kam im Auftrag des Eigentümer-Verlages nach Wien, um nach dem Rechten zu sehen.

Kommt da noch was?

Kerns bestechende Begabung zur Analyse hat offenbar Eindruck hinterlassen. Aber: "Jetzt sind Sie nicht mehr für Analysen zuständig. Sie sind dafür zuständig, diese Fragen zu lösen. Wird da noch was nachkommen?" – "Wir haben sechs Monate lang geliefert, es nimmt nur niemand zur Kenntnis." Etwas nachdenklicher räumt Kern dann ein: "Die ersten sechs Monate waren zu sehr von öffentlichen Debatten überlagert. Wir haben noch 18 bis 24 Monate Zeit, dass sich das alles noch niederschlagen kann – und wir weitere Dinge wie die Ganztagesschule voranbringen."

Von Trump lernen

Christian Kern kommt an diesem Abend der nachdenklichen Bilanz noch einmal auf den Paukenschlag aus den USA zurück. Der Kanzler lässt mit einer besonders kräftigen Ansage aufhorchen: "Ich bin zwar eher ein Mann der Zahlen, der Excel-Sheets und nicht der Power-Point-Präsentationen." Aber auch Politiker, die keine Populisten sein wollten, könnten aus dem Wahlsieg Trumps nur eine Lehre ziehen: "Wir müssen am Ende noch mehr die Arbeit der Zuspitzung betreiben."

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