Karl Nehammer: "Diese Hetze gefährdet das Zusammenleben“
KURIER: Eine Grundsatzrede mit so einer Inszenierung wie in der Messehalle in Wels, war das nicht eher ein Wahlkampfauftakt?
Karl Nehammer: Ich sehe das nicht so. Es war wichtig und an der Zeit, mit einer Grundsatzrede zu zeigen, wofür die Volkspartei steht und wofür Karl Nehammer steht.
Und das hat keine Auswirkungen auf die Debatte, ob wir schon im Frühjahr wählen oder doch erst regulär Ende September die Nationalratswahl stattfindet?
Aus meiner Sicht nicht. Denn das, was sich vom Österreichplan schon jetzt umsetzen lassen kann, werden wir in der Regierung umsetzen. Wenn nicht, dann eben in der nächsten Regierung.
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Hat es seit der Grundsatzrede am Freitag eigentlich schon Kontakt mit dem Koalitionspartner, den Grünen, gegeben?
Ich habe schon im Vorfeld der Rede mit Werner Kogler gesprochen. Ich habe ihm gesagt, worum es mir in der Rede geht, dass es meine Position ist. Koalition heißt ja immer Kompromiss. Du gehst mit einer Position rein und musst die Zustimmung des Koalitionspartners bekommen, damit etwas rauskommt. Das gehört zur Demokratie dazu. Mir war es jetzt nach Jahren der Krisenbewältigung einmal wichtig, ÖVP-Positionen und meine eigenen klaren Positionen aufzuzeigen.
Vizekanzler Werner Kogler hat die Rede aber nicht als Kampfansage empfunden, oder?
Nein, weil Werner Kogler bekannt ist, dass wir sehr unterschiedliche Koalitionspartner sind. Das heißt, dass wir in ganz vielen Positionen nicht einer Meinung sind, wir es aber dennoch geschafft haben, eine Regierung zu bilden, die viel weitergebracht hat.
Ich nehme den Wirtschaftsblock als ein Thema aus dem Österreichplan heraus. Da liest man von einem Regimewechsel in der Wirtschaftspolitik, weg von der Subventionitis. Ist das überhaupt möglich? Es rufen doch alle nach Unterstützung.
Es ist möglich. Zum einen ist die ganz schwierige Krise rund um Corona mit den Themen Stabilisierung, Kurzarbeit oder Ersatz des Umsatzentfalls erledigt. Das hat viel Geld gekostet, war aber notwendig. Wichtig sind nun Investitionen in den Wirtschaftsstandort Österreich. Deswegen soll wieder die Investitionsprämie kommen, die schon einmal sehr erfolgreich war. Subvention zurück, hin zur Investition, zur Entbürokratisierung und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Wann sind Betriebe bereit, in einen Standort zu investieren? Dann, wenn es sich lohnt. Deswegen auch das Thema der Senkung der Lohnnebenkosten, keine Steuern mehr auf Überstunden und die Attraktivierung des Standorts – etwa durch mehr Forschungsförderung. Das und vieles mehr im Österreichplan sind attraktive Punkte, damit Arbeitsplätze in Österreich bestehen bleiben.
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Aber aus dem Fiskalrat hört man von Präsident Christoph Badelt, dass sich alles nicht ausgeht, dass die Gegenfinanzierung fehlt.
Ich schätze den Fiskalrat sehr, er war uns auch immer ein guter Ratgeber in Zeiten der Krisen. Wo ich ihm die Sorgen nehmen möchte, ist, dass durch die Reduzierung der strukturellen Maßnahmen wie etwa der Kurzarbeit, sowie durch die Steuersenkungen den Wirtschaftsraum beleben. Entscheidend ist, dass der Wirtschafts- und Arbeitsplatzstandort Österreich interessant bleibt.
Grundsatzrede: Vor rund 2.000 Funktionären hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag in Wels eine Grundsatzrede gehalten. Mit einem Ausblick, wo Österreich 2030 stehen soll.
Österreichplan: Dazu wurde ein Österreichplan 2030 ausgearbeitet. Er umfasst rund 80 Seiten. In 27 Kapiteln wird aufgelistet, wofür die ÖVP steht, was sie erreichen will. Das Motto: „Für Leistung. Für Familien. Für Sicherheit." Der Plan enthält unter anderem eine Senkung des Eingangssteuersatzes, weniger Lohnnebenkosten, Hilfen zur Schaffung von Eigentum sowie 20 Milliarden Euro für den Straßenbau.
Ist das nicht zu optimistisch?
Das ist eine Investition und am Ende muss man Bilanz ziehen. Wichtig ist mir auch, dass wir trotz dieser Maßnahmen im Budget unter den Maastricht-Kriterien für die Verschuldung geblieben sind. Es ist eben nicht so, wie alle immer wieder sagen, dass unser Budget so desaströs wäre. Ich glaube, man muss das alles in einem positiven Kontext sehen.
Jetzt zur parteipolitischen Komponente der Grundsatzrede vor den ÖVP-Funktionären. Den Namen Herbert Kickl haben Sie in Ihrer Rede nicht ausgesprochen, dennoch wird sie so gewertet, dass Sie das Duell mit dem FPÖ-Parteichef ausgerufen haben.
Ich glaube, dass das Jahr 2024 – so wie ich es gesagt habe – eine Richtungsentscheidung ist. Der eine ist immer gut dafür, Österreich ganz dunkel und finster zu zeichnen, das Schlechte aus den Menschen herauszuholen. Ich habe in meiner Zeit als Bundeskanzler bewiesen, dass es mir darum geht, zu gestalten und die Menschen zu ermutigen, das Gute herauszuholen. Ich will dieses Land gestalten und nicht spalten. Das ist die Richtungsentscheidung. Dieses Land kann so viel, wir haben das in den Krisen bewiesen, die Menschen waren so großartig, wir dürfen uns das von dieser Schwarzmalerei nicht nehmen lassen. Ich lehne das zutiefst ab. Dieses gegeneinander Ausspielen, die Hetze, das gefährdet unser Zusammenleben. Es braucht einen konstruktiven und klaren Zugang, wie wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln können. Da gibt es viel zu tun. Aber es ist wichtig, an eine helle Zukunft zu glauben, nicht an eine dunkle Verschwörung.
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Und Bundesparteiobmann Andreas Babler von der SPÖ spielt in dem Duell und in diesem Jahr der Richtungsentscheidung keine Rolle?
Andreas Babler verliert sich in rückwärtsgewandten ideologischen Konzepten von einem Marxismus, der dann zum Kommunismus geführt hat. Das halte ich nicht für zukunftsfähig. Er versucht, mit der Brechstange in die Diskussionen einzusteigen, indem er mit Schimpfworten auffällt. Das ist aber ein Stück weit sein eigenes Thema.
Wie sehr blicken Sie bei diesen Debatten auf die aktuellen Umfragen, die ja noch immer einen großen Abstand zwischen FPÖ und ÖVP aufzeigen?
Ehrlich gesagt, gar nicht. Aus einem guten Grund: Ich war sehr beeindruckt, als SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner damals, als ich Bundeskanzler geworden bin, bei 30 Prozent und mehr lag. Mittlerweile spielt sie in der Politik keine Rolle mehr. Für den Wahlgang ist es entscheidend, die Menschen darauf hinzuweisen, dass es um die Richtungsentscheidung für unser Land geht. Ich glaube, wir werden erst am Wahltag wissen, wie die Österreicherinnen und Österreicher tatsächlich entscheiden.
Am 9. Juni wird es auf jeden Fall die EU-Wahlen geben. Da hat man in Wels den Eindruck gehabt, die werden heuer eher als Nebensächlichkeit angesehen.
Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe gestern unseren Spitzenkandidaten Reinhold Lopatka direkt angesprochen. Es waren über 2.000 Funktionärinnen und Funktionäre der Volkspartei da und sie haben ihn frenetisch begleitet und unterstützt. Europa ist ein wichtiges Thema für die Volkspartei. Die Europäische Union ist in einer unsicheren Welt die richtige Antwort für Österreich als mittelgroßes Land in Europa. Gleichzeitig nimmt Österreich in seiner Rolle schon die Verantwortung wahr, auf die Probleme hinzuweisen. Wo Überregulierung stattfindet und wo Systeme versagen wie das Asylsystem. Es braucht ein kritisches und konstruktives Österreich in der Union, das ist unser Weg.
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Am Freitag hat eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Wien stattgefunden, an der Zehntausende Menschen teilgenommen haben. Wie sehen Sie diese Debatte?
Das Versammlungsrecht ist in Österreich ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie. Generell müssen wir tatsächlich gegen Radikale und Extremisten – sei es links, sei es rechts – auftreten und zusammenstehen. Deswegen ist es mir auch so wichtig, den Menschen eine Alternative aufzuzeigen, das ist die Mitte der Gesellschaft. Wir müssen auch danach streben, Themenfelder, die von den Radikalen besetzt werden, ihnen nicht zu überlassen, sondern – das ist mein Anspruch als Bundeskanzler – diese Themen aus der Mitte heraus aufzugreifen, wie etwa unsere Leitkultur oder unsere österreichische Identität.
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