Kanzlerin Bierlein im Interview: Eine (un)politische Gratwanderung

Kanzlerin Bierlein im Interview: Eine (un)politische Gratwanderung
Kanzlerin auf Abruf: Brigitte Bierlein ist um Distanz zu allen Parteien bemüht, tut sich aber noch schwer, die richtigen Worte dafür zu finden.

Ein ungewöhnlicher Termin: Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein empfängt Vertreter aller heimischen Print-Medien an einem Tag – zu jeweils einer Stunde in zwei Gruppen. Nicht im „Kreisky-Zimmer“, das Sebastian Kurz bezogen hatte, sondern in dem helleren Raum, den Wolfgang Schüssel einst wählte.

Dessen Nachfolger Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern blieben dabei. Derzeit wirkt es provisorisch – ein schmaler Schreibtisch, ein Besprechungstisch, Blumensträuße und eine Lichtinstallation der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz mit dem beziehungsvollen Titel „beyond words“ (jenseits aller Worte, unbeschreiblich).

Kanzlerin Bierlein im Interview: Eine (un)politische Gratwanderung

Kanzlerin, flankiert von KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon und ihrem neuem Sprecher Winterstein.

„Sie wissen, wir haben eine außergewöhnliche Situation. Wir sind keine Regierung in der üblichen Form, weil wir das Mandat vom Herrn Bundespräsidenten haben, aber kein indirektes Mandat der Wählerinnen und Wähler“, eröffnet Bierlein die Runde. Es gebe keine eigenen Regierungsvorlagen und nur Gesetze, bei denen es darum geht, „Schaden von der Republik abzuwenden“. Auch Personalentscheidungen – bis auf den EU-Kommissar – überlasse man der nächsten Regierung, die „hoffentlich bald“ gebildet werde. „Wir sind keine Politiker. Tagespolitik werden wir nicht kommentieren.“

Tatsächlich hat „das freie Spiel der Kräfte“ im Parlament die Tagespolitik übernommen. Von der großen Zahl an Gesetzesvorlagen, gleich zu Beginn, wurde die Übergangsregierung überrascht, gibt Bierlein zu. „Wir haben nicht damit gerechnet.“ Schließlich habe man sich ja auch ein „schmales Budget“ vorgenommen. Im Wesentlichen wird das Alte provisorisch fortgeschrieben. Laut dem jetzigen Finanzminister Eduard Müller kosten allerdings bereits die aktuellen Beschlüsse 100 Millionen Euro. „Der Steuerzahler wurde hier beansprucht“, sagt Bierlein. „Ich hatte den Eindruck, dass im Parlament manches ganz plötzlich gemacht wurde.“ Die Kanzlerin hofft in den weiteren Monaten auf das Verantwortungsbewusstsein der Parlamentarier. Und was, wenn nicht? „Dann werden wir uns im Ministerrat in Absprache mit dem Bundespräsidenten etwas dazu überlegen.“ Sie habe übrigens auch kein Hehl daraus gemacht, dass sie sich (so wie der Bundespräsident) einen früheren Wahltermin als den jetzt avisierten 29. September gewünscht hätte. 

Ein Telefonat mit Kurz

Die Gespräche mit dem Bundespräsidenten lobt Bierlein ausdrücklich. Sie sei in ständigem Dialog – mit Parteispitzen, Nationalratspräsidenten, Interessenvertretungen, Klubobleuten, betont sie. Um später die Journalistenrunde zu überraschen. Mit ihrem Vorgänger Sebastian Kurz habe sie keinen Kontakt – auch nicht in der Frage der EU-Politik. Kurz spielt eine wichtige Rolle in der Europäischen Volkspartei, unterstützt Manfred Weber als künftigen Kommissionspräsidenten. Bei der Wahl dürfte es um jede Stimme gehen. In einem Presse-Interview hatte Kurz gemeint, er gehe davon aus, dass ihn die Übergangsregierung dabei unterstütze. Bierlein gibt sich dazu jedoch abwehrend-zugeknöpft. „Ich habe mich mit dem Altbundeskanzler seit meinem Amtsantritt noch nicht getroffen, nicht ausgetauscht.“ Die Journalisten finden das ungewöhnlich, haken nach. „Sie wollen offenbar nicht den Eindruck erwecken, unter dem Kuratel von Sebastian Kurz zu stehen?“ Die Kanzlerin widerspricht nicht: „Das ist sehr pointiert gesagt. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass wir einfach die türkise Regierung fortführen.“

Stunden später bemüht sich ein Sprecher, diesen Aussagen die Spitze zu nehmen. Bierlein habe soeben mit Kurz telefoniert, erzählt man den Journalisten.  Und sie lässt ausrichten, dass sie ein „korrektes und konstruktives Verhältnis zu allen Parteichefs im gleichen Maße“ hat. Spätabends betont sie das dann auch noch einmal via Austria Presseagentur.

Noch am Vormittag war die Kanzlerin gefragt worden, ob sie sich jetzt vielleicht eher von Sozialdemokraten beeinflussen lasse, konkret von ihrem Sonderberater und früheren Sektionschef Manfred Matzka. Das will sie nicht bestätigen: „Ich habe jemanden gebraucht, der das Haus kennt. Ich kannte Herrn Matzka natürlich und weiß, wo er politisch steht.“

Wer wird Präsident?

Die Entscheidung über ihre eigene Nachfolge an der Spitze des Verfassungsgerichtshofs wird erst die nächste Regierung fällen. Derzeit führt ihr Vizepräsident Christoph Grabenwarter die Geschäfte. Die alte Regierung hätte ihn zum Präsidenten gekürt. Die Generalsekretäre in den Ministerien hat Bierlein abgeschafft, es gebe hervorragende Sektionschefs.

Handeln muss die Übergangsregierung allerdings, was den neuen EU-Kommissar betrifft. Heute, Mittwoch, tritt der Hauptausschuss des Nationalrates zusammen, um wegen der EU-Politik zu beraten. Ein neuer EU-Kommissar braucht die Zustimmung des Parlaments. Die letzte Regierung hatte sich bereits informell auf ÖVP-Kandidatin Karoline Edtstadler geeinigt. Doch das ist Geschichte. Wen Österreich stattdessen entsendet, steht in den Sternen. Könnte der jetzige, von der VP entsandte Kommissar Johannes Hahn vielleicht interimistisch bleiben? Bierlein kann sich das nicht vorstellen.

Donnerstag und Freitag ist die neue Bundeskanzlerin jedenfalls mit dem Außenminister und Spitzendiplomaten Alexander Schallenberg in Brüssel.  Da geht es um die erste Runde der Postenbesetzungen in der EU

Zur aktuellen Lage der Justiz – wechselseitige Anzeigen, überlange Verfahren – nimmt sie relativ klar Stellung: „Das Bild ist nicht optimal, und die Anzeigen sind nicht gut für die Justiz. Ich hoffe, dass das bald gelöst ist.“  

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