Kanzler Nehammer: "SPÖ muss zeigen, ob sie Hilfen für Bevölkerung mitträgt"
Karl Nehammer bricht eine Lanze für Kompromisse, er will die Finanzhilfen bei anhaltend hoher Inflation nachschärfen und der ÖVP ein modernes Finanzmanagement verpassen.
ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer über die Kritik an den Entlastungsmaßnahmen, die Inflation – und wie er die ÖVP neu aufstellen will.
KURIER:Herr Bundeskanzler, zum Einstieg: Wo haben Sie persönlich die Teuerung zum ersten Mal gespürt?
Karl Nehammer: Als ich mit dem VW Sharan, unserem Familienauto, tanken war und 106 Euro statt 76 Euro bezahlt habe. Mit meinem Einkommen ist das verkraftbar, aber für Menschen, die weniger verdienen und auf das Auto angewiesen sind, ist das eine dramatische Steigerung.
Die Regierung bekämpft die Belastung mit einem 28-Milliarden-Paket. Hinzu kommen bereits fixierte Ausgaben wie die Pflegemilliarde, das höhere Wehrbudget oder allfällige Corona-Hilfen. Ist Geld jetzt abgeschafft?
Überhaupt nicht. Die Ersthilfe ist für uns gut zu kalkulieren, die Einmalzahlungen beginnen im August und dienen einem Zweck: Der Konsum soll nicht einbrechen. Das wiederum hilft dem Staat, weil damit die Einnahmen bei der Umsatzsteuer nicht wegbrechen. Hinzu kommen die Einnahmen durch die höhere Inflation. Seien Sie gewiss: Wir verfolgen einen vernünftigen Budgetpfad. Die Schuldenquote in den nächsten Jahren wird sinken.
Sie setzen jetzt de facto den 500er um, den die SPÖ gefordert hat, trotzdem gibt’s Kritik für Ihr Paket. Verärgert?
Die Erwartungshaltung einer Regierung darf nie sein, von der Opposition gelobt zu werden. Lassen Sie es mich so sagen: Der ÖGB hat einen Beschluss gefasst, dass die Kalte Progression abgeschafft werden soll, auch die SPÖ hat dieses Ziel formuliert. Insofern lade ich die SPÖ dazu ein, dieses Maßnahmenpaket im Parlament zu unterstützen und zu zeigen, dass man Maßnahmen mitträgt, die den Menschen helfen.
Was wurde eigentlich aus Ihrem Plan, dass staatsnahe Unternehmen, die dank Krise enorme Gewinne machen, diese gesetzlich geregelt weitergeben müssen?
Es war wichtig, die Diskussion anzustoßen – und sie war fruchtbringend. Der Verbund agierte vorbildlich, er wird eine Sonder-Dividende ausschütten und zusätzlich den Stromkunden Geld zurückgeben.
Das geschah freiwillig …
Natürlich wäre es toll, wenn andere Strom-Anbieter nachziehen. Verpflichtend können wir das deshalb nicht machen, weil wir damit auch jene Anbieter treffen würden, die nur erneuerbare Energie erzeugen – sie würden dann zum Handkuss kommen.
Haben Sie das Gefühl, dass viele Unternehmen die Teuerung als willkommene Gelegenheit nutzen, um die Preise zu erhöhen? In Deutschland läuft diese Debatte.
Wir haben eine Preiskommission und die Bundeswettbewerbsbehörde – beide sind gefordert. Derzeit haben wir keine Hinweise darauf, dass es solche Absprachen gibt.
Ein Kritikpunkt an der Entlastung lautet: Sie agieren mit der Gießkanne, also viele bekommen Geld, obwohl sie es nicht brauchen. Warum?
Es ist eben nicht die Gießkanne. Menschen mit geringem Einkommen bekommen 300 Euro Bonus zusätzlich. Der Klimabonus war immer im Rahmen der ökologischen Umstellung des Steuersystems vorgesehen. Und der nun neue Anti-Teuerungsbonus ist sehr wohl von der Steuer betroffen, Geringverdienern kommt er also mehr zugute.
Ein anderer Kritikpunkt: Sie entlasten mit Einmalzahlungen, während die Preise weiter hoch bleiben.
Wir entlasten nachhaltig, indem wir die Kalte Progression abschaffen. Davon haben viele Regierungen seit Jahrzehnten gesprochen, ich setze es nach sechs Monaten Kanzlerschaft mit den Grünen um. Auch die Sozialleistungen werden künftig valorisiert, das ist ebenfalls nachhaltig. Aber ja: Wir werden die Inflation beobachten – und notfalls weitere Maßnahmen ergreifen.
Den Grünen war die Anhebung der Sozialleistungen wichtig. Wo hat sich die ÖVP durchgesetzt?
Für uns war es wichtig, den Bogen zwischen Arbeitnehmern, Industrie und Wirtschaft zu spannen, weil dadurch Wohlstand und Arbeit gesichert werden. Die Abschaffung der Kalten Progression war etwas stärker von uns getragen, aber insgesamt haben wir zu einem gelungenen koalitionären Kompromiss gefunden. Und auch wenn dieses Wort nicht mehr modisch ist: Der Kompromiss ist ein Fundament jeder Koalition.
Ein anderes Thema: Nach den Vorwürfen des Rechnungshofs wollen Sie die Partei neu aufstellen. Was konkret haben Sie vor?
Die ÖVP ist die Partei, die am nächsten bei den Menschen und in jeder Gemeinde vertreten ist. Das sind 16.000 Meldestellen, wo Parteispenden oder Aufwände eingehen können und gemeldet werden müssen. Das dauert mitunter länger, das erzeugt offenbar einen Grundverdacht, dass etwas verschleiert wird. Diesbezüglich müssen wir uns anders aufstellen. Ich strebe an, dass wir mit einer modernen Finanzführung alle Transparenzkriterien erfüllen. Der Steuerzahler hat das Recht zu wissen, was mit jedem Cent passiert.
Braucht man dafür einen Unternehmensberater für Konzerncontrolling?
Es braucht beides: Externe Beratung sowie das Commitment der Partei. Wichtig ist: Wir müssen ein System einrichten, dass die Transparenzkriterien schneller erfüllen kann. Unsere vielen ehrenamtlichen Mitglieder haben es sich nicht verdient, ständig unter Generalverdacht zu stehen.
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