Kanzler Kurz: „Natürlich stehen wir vor Veränderungen“
Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, Sie sind seit 100 Tagen im Amt. Rechnungshofpräsidentin Kraker vermisst Reformen, auch Justizminister Moser hat im KURIER-Gespräch Reformen angemahnt.
Sebastian Kurz: Ich habe Justizminister Moser in mein Team geholt, schon als Kandidat für die Wahl, aber jetzt auch als Minister, der nicht nur für Justiz, sondern vor allem auch für die Staatsreform zuständig ist. Und wir haben es in diesem Budget schon innerhalb von 100 Tagen geschafft, in zentralen Bereichen schlanker und sparsamer zu werden und so erstmals die Schuldenpolitik zu beenden. Wir besetzen im öffentlichen Dienst nur mehr jede dritte Planstelle nach, was dazu führt, dass von Jahr zu Jahr der Beamtenapparat schlanker wird bei einer gleichzeitig stattfindenden Aufgabenkritik unter der Leitung von Minister Moser. Mit dem Ziel, dass nicht die Arbeitsbelastung für die Beamten immer größer wird, sondern dass alles weggestrichen wird, was nicht mehr notwendig ist und der Staat - gerade durch die Digitalisierung auch schlanker in seiner Struktur wird. Insgesamt schaffen wir es diesmal, das erste Mal seit 1954, einen Überschuss zustande zu bringen. Das erste Mal seit über 60 Jahren geben wir nicht mehr aus als wir einnehmen. Es ist eine Trendwende in der Budgetpolitik.
Im Jahr 2019 wird der Bund weniger ausgeben als er einnimmt.
Kurz: Wir reduzieren gleichzeitig die Steuerlast und entlasten vor allem Kleinverdiener und Familien.
Heinz-Christian : Wir haben drei Prozent Wachstum, was ja enorm ist, wir haben weniger Arbeitslose, also höhere Steuereinnahmen und weniger Ausgaben für Arbeitslose und es werden auch - z.B. bei den ÖBB - Investitionen hinausschieben, die aber dann später kommen werden.
Auch die ÖVP-Finanzminister haben Schulden gemacht.
Kurz: Ja, aber ich habe ja auch viel geändert. Das heißt nur allein am Wachstum kann es nicht liegen, denn es gab in den letzten 65 Jahren weit höhere Wachstumsraten als jetzt. Hätten wir die zwei einhalb Milliarden, die wir jetzt im Jahr 2018 und im Jahr 2019 einsparen, nicht eingespart, dann hätten wir nicht einen positiven Überschuss, sondern wir würden nach wie vor Schulden machen.
Strache: Wir haben erstmals seit 1954 einen Überschuss, dankenswerterweise aufgrund einer guten Konjunktur, aber das wäre ohne die Maßnahmen, die wir setzen, nicht möglich. Wir wollen gleichzeitig auch die Entlastung der arbeitenden Menschen und für Familien sicherstellen - als erster Schritt. Als zweiten Schritt für die Pensionisten auch eine entsprechende Mindestpension sicherstellen.
Die Abschaffung der kalten Progression kommt später?
Strache: Selbstverständlich.
Die Regierung Schüssel I hat in den ersten 100 Tagen mehr beschlossen, eine Pensionsreform und Privatisierungen etwa.
Kurz: Wir haben schneller zu arbeiten begonnen als andere, und wir haben eine ganz klare Richtung eingeschlagen. Der Kurswechsel ist eingeleitet. Nämlich alles zu tun, um mehr Sicherheit zu schaffen, die Steuerlast zu senken, damit arbeitenden Menschen mehr bleibt und ein ausgeglichenes Budget, damit wir auch unseren Sozialstaat langfristig absichern können. Das ist der ganz klare große Plan dieser Regierung und den verfolgen wir eifrig auch schon in den ersten 100 Tagen. Aber natürlich stehen wir vor Veränderungen. Wir haben 100 Tage gearbeitet und noch 4 1/2 Jahre liegen vor uns. Und die nächsten Projekte, die wir angehen werden, ist die ganze Frage der Zusammenführung der Sozialversicherungen. Das haben wir versprochen, das haben wir im Regierungsprogramm niedergeschrieben, das werden wir jetzt tun. Da wird es massiven Widerstand dagegen geben, aber das wird uns nicht davon abhalten, das umzusetzen. Ein zweiter Bereich, wo wir ansetzen werden, ist unser Sozialsystem muss gerechter werden. Wir werden die Mindestsicherung überarbeiten und für Menschen, die noch nicht einbezahlt haben, also auch Zuwanderer, reduzieren.
Wird das auch bundeseinheitlich kommen?
Kurz: Ja natürlich, das ist das Ziel. Und das ist vielleicht auch der neue Zugang dieser Regierung. Die Vorgängerregierung wollte ja schon eine bundeseinheitliche Mindestsicherung schaffen, dann gab es Widerstand und dann hat man den Plan einfach verworfen. Wir werden einen Plan vorlegen, wenn es Widerstand gibt, werden wir trotzdem eine Regelung beschließen. Und zum dritten ist natürlich auch das Ziel, bei unserer Asylgesetzgebung eine Veränderung vorzunehmen und die illegale Immigration nach Österreich weiter zu reduzieren.
Strache: Wir haben ein klares Bekenntnis. Nämlich die Zuwanderung in den Sozialstaat nach Möglichkeit abzustellen
Das Wort Durchschummler verwenden Sie nicht mehr?
Kurz: Wir wollen eine Arbeitslosenversicherung Neu schaffen mit dem klaren Ziel, dass die, die viel gearbeitet haben und lange eingezahlt haben, mehr herausbekommen als die, die erst kurz eingezahlt haben. Das ist gerechter und es hilft auch, gerade bei jüngeren Menschen, Anreize zu schaffen, dass die Leute sich auf Jobsuche machen. Keiner, der lange gearbeitet und in das System eingezahlt hat, soll sich Sorgen machen müssen, wenn er dann unverschuldet arbeitslos wird. Auf diese Menschen wollen wir achten. Andererseits wollen wir kein System schaffen, wo jemand nach der Schule sein Leben lang nichts arbeitet und vom Sozialstaat erhalten wird.
Und „Durchschummler“?
Strache: Da müssen Sie noch ein bisschen Geduld haben. Wir haben ja im Regierungsprogramm Ziele definiert, die sich aber jetzt noch in der Ausarbeitung befinden. Wir haben ein Bekenntnis. Es soll nicht das links-linke Gesellschaftssystem Platz greifen, dass man sozusagen von der Schule direkt in die Mindestsicherung einsteigt und dann bis zur Pension auf Kosten der Allgemeinheit lebt.
Kommt die Mindestsicherung überall gleich und wenn jemand Vermögen hat, wird auf das Vermögen zugegriffen?
Kurz: Es ist ja klar in unserem Regierungsprogramm geregelt, dass wir eine neue Form der Mindestsicherung schaffen wollen, dass wir die Mindestsicherung reduzieren wollen für Menschen, die zuwandern, für solche, die noch nicht eingezahlt haben.
Kein Zugriff auf Vermögen?
Kurz: Zugriff auf Vermögen wird es bei Menschen, die ihr Leben lang einbezahlt haben und kurz vor der Pension arbeitslos werden, nicht geben. Wenn jemand wohlhabend ist und Vermögen hat, nicht arbeiten geht, jung ist, fit ist, Kraft hat und arbeiten könnte, werden wir natürlich auf das Vermögen zugreifen. Es ist ja nicht die Aufgabe der Allgemeinheit, solche Menschen zu unterhalten.
Justizminister Moser hält überhaupt nichts von den Bildungsdirektionen, die die letzte Regierung beschlossen hat. Er hält die Kompetenzaufsplittung in Bund und Land für absurd.
Strache: Wir haben auch in dem Bereich begonnen, unsere Wahlversprechen umzusetzen. Deutsch können, wenn man in die Schule eintritt, die Benotungsgrundlagen sind wichtig.
Bei der Integration von Flüchtlingskindern wird gespart.
Strache: Nein, da wird nicht gespart.
Es wird genug Geld geben für die Integration von Menschen, die nicht deutsch können ?
Strache: Jeder, der seinen Beitrag leisten will sich zu integrieren, wird die volle Unterstützung erhalten. Wir haben nur aufgrund der aktuellen Berichte von AMS-Mitarbeitern wieder sichtbar bekommen, dass es manche gibt, die das gar nicht wollen. Die wollen die Angebote gar nicht annehmen, die auch gar nicht bereit sind deutsch zu lernen und daher auch gar nicht vermittelbar sind.
Kurz: Ein paar Worte zu Bildung und Integration. Zunächst einmal zur Integration. Auch wenn es da und dort propagiert wurde, es stimmt nicht, dass wir bei der Integration sparen. Wir haben ein ganz klares Ziel, nämlich dass diejenigen, die rechtmäßig in unserem Land leben, möglichst schnell die Sprache lernen, arbeiten gehen und hier ihren Beitrag leisten. Dabei sparen wir nicht. Wo wir sehr wohl sparen ist im Asylwesen und wir sparen auch im Bereich des AMS, wo es dort sinnvoll und richtig ist. Und zweitens zur Bildung: Ich habe tagfüllende Diskussionen erlebt über die Frage von Türschildern im Bildungsbereich, soll es die Gesamtschule geben oder nicht, wer ist zuständig für die Lehrer, ist das der Bund oder die Länder. Ich sage Ihnen, jeder, der Kinder hat, die in die Schule gehen, für den ist irrelevant, wie die Klasse heißt. Relevant ist: Fühlt sich das Kind dort wohl, sind die Lehrer gut ausgebildet, passen die Rahmenbedingungen und nehmen die Kinder was mit.
Aber die Länder streiten seit Jahrzehnten darum.
Kurz: Und diesen Streit werden wir nicht fortsetzen, der bringt nämlich nichts, sondern wir setzen in der Schulklasse an. Was muss sich in der Klasse ändern. Da haben wir große Meilensteine, die wir setzen wollen. Den ersten haben wir schon eingeleitet, Deutsch vor Schuleintritt, dass die Kinder erst in das Regelschulsystem starten, wenn sie ordentlich deutsch können und dass die Frühförderung ausgebaut wird, damit die Kinder in der Klasse auch wirklich dem Unterricht folgen können. Und das zweite ist eine Bildungspflicht, das heißt junge Menschen sollen die Schule erst verlassen dürfen, wenn sie die Grundfähigkeit in Lesen, Schreiben, Rechnen beherrschen, um am Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein.
Aber das können ja nur Bundesregierung und Länder gemeinsam machen. Das ist ja im Gesundheitssystem auch so.
Kurz: Ja, aber gehen Sie mal in die Schulklassen und Sie werden sehen, was da los ist. Da sehen Sie, dass in Wien viele drin sitzen, die kein Wort Deutsch können. Dass Lehrer sich teilweise im Stich gelassen fühlen oder die Eltern nicht unterstützend tätig sind. Da muss man ansetzen.
Nächster Punkt: Flexibilisierung der Arbeitszeit
Strache: Es gibt die 40-Stunden-Woche, die bleibt gesetzlich aufrecht. Und die Flexibilisierung, ja die kommt. Und das ist ja ganz genau das, was sich die Betroffenen wünschen.
Ich möchte zu Europa kommen. Lega-Chef Salvini nannte den Euro eine „fehlgeleitete Währung“, Herr Vilimsky hat sich gefreut. Ich dachte, der Euro sei in der FPÖ nun unbestritten
Strache: Er ist ja auch unbestritten und er ist ja auch Realität. Auch wenn nicht alles rosig verläuft in der Europäischen Union und in der Eurozone. Salvini ist kritisch gegen gewisse Entwicklungen, umgekehrt wir Nettozahler sind ja auch kritisch gegenüber gewissen Entwicklungen, wenn es in Richtung einer Schuldenunion verläuft.
Immer wenn es um Russland geht, sagen Sie, Herr Strache, Sie wollen vermitteln, sind wir nicht Teil der EU-Familie?
Kurz: Wir sind ein selbstbewusster Mitgliedsstaat der Europäischen Union, wir haben dort die Möglichkeit, die europäische Linie mitzugestalten und wir haben natürlich, auf Grund unserer Neutralität und des historisch guten Kontakts nach Russland, mehr Möglichkeiten als manche andere. Das ist der Grund, warum sowohl die Außenministerin als auch ich im direkten Kontakt mit Russland stehen. Präsident Putin wird noch in diesem Jahr Österreich besuchen. Wir glauben fest daran, dass es neben der Notwendigkeit, Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverletzungen zu kritisieren als auch zu sanktionieren, es neben dieser Notwendigkeit auch den Dialog braucht
Strache: Wir haben einen grausamen zweiten Weltkrieg erlebt, und dann, und zwar mit Dankbarkeit, einen Staatsvertrag erhalten und ein Neutralitätsgesetz möglich gemacht bekommen, und ja, da waren unterschiedliche Staaten daran beteiligt, die uns das möglich gemacht haben, und die Neutralität ist uns ans Herz gewachsen. Ja, wir sind Teil der Europäischen Union, wo wir unseren Beitrag leisten, auch unsere Positionen und Vorstellungen haben und natürlich auch gewisse Entwicklungen kritisieren.
Thema BVT. Angeblich wurde Herr Preiszler eingesetzt, weil er überhaupt nichts mit dem BVT zu tun hat. Wusste Herr Kickl nicht, dass er lange in der Vorgängerorganisation tätig gewesen ist?
Strache: Die Staatsanwaltschaft hat, und das ist gut so, aufgrund konkreter Verdachtsmomente mit einem Richter die Entscheidung getroffen für eine Hausdurchsuchung. Das ist eine reine Frage der Staatsanwaltschaft und der Justiz.
Und dieser Herr Preiszler teilt auf Facebook rassistische Äußerungen von den Reichsbürgern und ist FPÖ Mitglied .
Kurz: Was das Innenministerium betrifft, ist jetzt sofort eine interne Prüfung eingeleitet worden. Aus meiner Sicht hat jede Form von Rassismus oder Antisemitismus in der Polizei und in jeder anderen Behörde keinen Platz. .
Strache: Gut, dass es überprüft wird und gut, dass die Likes, die 2015 gegeben worden sind, jetzt Thema sind, und von den vorigen Innenministern offenbar nicht zu einer Prüfung geführt haben. Ich möchte was zur Person Preiszler sagen, diese Persönlichkeit hat in seine Arbeit und in seiner Verantwortung für die Polizei und gerade für den Bereich der EGS in seiner Verantwortung seit 15 Jahren exzellent zusammengearbeitet. Zwanzigtausend Festnahmen sind das konkrete Ergebnis seiner Einsatzleistung, wenn es um den Kampf gegen Straßenkriminalität geht und da lasse ich nicht zu, dass man auf diese Art und Weise pauschal diffamierend über ihn richtet.
Sie haben auf Facebook auch eine sehr klare Stellungnahme abgegeben, und dann schreiben Leute dazu „Jetzt ist der Strache auch schon so“ .
Strache: Also wenn es darum geht, dass ein Verbrechen in der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat, dann haben wir immer eine Verantwortung, ein Bewusstsein zu schaffen, dass so etwas nie wieder passieren kann. Die gleiche Verantwortung haben Sie und alle anderen.
Thema Rauchen. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass mehr junge Leute rauchen werden aufgrund dieses Gesetzes?
Strache: Wir werden gerade im Jugendschutzbereich dafür Sorge tragen, dass es dort, wo es gescheit und vernünftig ist, in der Prävention angesetzt wird. Und wir bis zum 18 Lebensjahr den Jugendschutz optimieren. Weil jede Studie belegt, wenn man bis zum 18 Lebensjahr nicht begonnen hat zu Rauchen, man dann in Regel später auch nicht mehr anfängt.
Und der Passivraucher?
Strache: Der Passivraucher wird ja ausdrücklich geschützt. Sie haben selbst im geschätzten KURIER jetzt eine Umfrage veröffentlicht, die interessant war. 70 Prozent der Raucher sind gegen ein totales Rauchverbot in der Gastronomie und 55 Prozent der Nichtraucher lehnen es auch ab. Warum? Weil sie sagen, das ist eine gute Lösung
Herr Bundeskanzler, Sie hätten lieber eine andere Lösung.
Kurz: Natürlich, selbst als Nichtraucher und als einer, der grundsätzlich das volle Rauchverbot befürwortet und eine Sympathie hat, müssen sich bei Koalitionsverhandlungen immer beide Partner bewegen. Hätten wir mit einer anderen Partei Koalitionsverhandlungen geführt, hätten wir vielleicht über die Erbschaftssteuer oder die Gesamtschule diskutiert. Es gibt Bereiche, wo man Kompromisse eingehen muss.
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