Jetzt kommt es auf die Wahl-Zeugen an

Die Richter am Verfassungsgerichtshof haben jetzt mit der Wahlanfechtung der Freiheitlichen alle Hände voll zu tun: In der Mitte VfGH-Präsident Gerhart Holzinger.
Staatsanwälte und Höchstrichter ermitteln: Wie glaubhaft sind blaue Beanstandungen.

Die Causa prima der heimischen Innenpolitik birgt eine enorme Dynamik in sich: Das Ergebnis der Hofburg-Stichwahl zugunsten von Alexander Van der Bellen lag einen Tag vor, als es am Dienstag, dem 24. Mai, schon die erste Anzeige gab. Das Innenministerium zeigte die Stadt Villach an. Verdacht: Amtsmissbrauch und falsche Beurkundung.

Durch einen Hinweis aus der Kärntner Landeswahlbehörde war publik geworden, dass in Villach die Briefwahlstimmen möglicherweise schon am Wahlsonntag ausgezählt worden sind. Das Gesetz schreibt vor, damit bis Montag, 9.00 Uhr zu warten.

Seither geht es Schlag auf Schlag: Mit Stand Montag 13. Juni, weniger als einen Monat vor der geplanten Angelobung Van der Bellens am 8. Juli, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sechs Bezirkswahlbehörden, wo der Verdacht besteht, dass Briefwahlstimmen zu früh beziehungsweise von Unbefugten ausgezählt wurden.

Nach der Wahlanfechtung durch die FPÖ am vergangenen Mittwoch beim Verfassungsgerichtshof treibt auch die Höchstrichter eine Schlüsselfrage um: Wie kann es sein, dass sich zwar laut Wahlleiter Robert Stein in den amtlichen Akten und Wahlprotokollen keine Beanstandungen oder Hinweise auf Verfahrensfehler finden, diese aber nach der Stichwahl sehr wohl behauptet wurden (siehe Zusatzgeschichte rechts).

Wurde hier gelogen? Wurden Wahlbeisitzer vorher zur "Alles-Okay"-Unterschrift genötigt? Sagen Wahlkommissions-Mitglieder jetzt etwas anderes als bei der Auszählung und wenn ja, warum? Aus politischen Gründen?

Kalender leer geräumt

Das Höchstgericht unter Präsident Gerhart Holzinger steht angesichts der Komplexität des Falles, der politischen Brisanz einer allfälligen Wahlwiederholung und des enormen Zeitdrucks, gehörig unter Druck. Noch sei nicht entschieden, ob es – wie bei der Staatsanwaltschaft – auch am VfGH zu eigenen Ermittlungen samt Zeugen-Einvernahmen kommt – denkbar sind sie sehr wohl.

Um die Chance zu wahren, die Causa doch bis zum 8. Juli entscheiden zu können, hat der VfGH jedenfalls alle im Juni angesetzten öffentlichen mündlichen Verhandlungen abgesagt. Er widmet sich nun mit ganzer Kraft der blauen Wahlanfechtung.

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk geht im KURIER-Gespräch davon aus, dass die "Freiheitlichen ganz gute Chancen haben, dass die Stichwahl aufgehoben" wird. Diese Prognose stehe zwar unter dem klaren Vorbehalt, dass sich die beschriebenen Vorgänge bei der Auszählungen der Briefwahlstimmen bewahrheiten. Aber die Kombination aus teils zu früh ausgezählt und teils von unbefugten Personen wiege als Vorwurf schwer. Funk: "Wenn man sich die Judikatur ansieht, die aus gutem Grund von denkbarer Strenge getragen wird, dann würde ich sagen, dass es alles andere als sicher ist, dass der VfGH die FPÖ-Anfechtung abweist."

Gesamt-Wiederholung

Hebt das Höchstgericht die Stichwahl auf, so geht der Experte davon aus, dass sie komplett neu durchgeführt werden muss – nicht nur in bestimmten Bezirken oder nur die Briefwahl. "Das macht nur Sinn, wenn man im Falle des Falles die gesamte Stichwahl wiederholt. Sollte der VfGH die Aufhebung anordnen, sollte man zurück an den Start und unter den ursprünglichen Bedingungen den gesamten Wahldurchgang wiederholen."

Montag, der 23. Mai, 9.30 Uhr in der Stadt Villach: Eine Wahlbeisitzerin der FPÖ ruft den Kärntner Klubobmann Christian Leyroutz an. In ihrer Bezirkswahlbehörde seien schon alle Briefwahlstimmen ausgezählt worden – ohne sie.

Und jetzt solle sie unterschreiben? „Wir haben einige Male hin- und hertelefoniert, bis ihr von der Kommission zugesagt wurde, den früheren Beginn ins Protokoll zu schreiben. Sie hat dann im guten Glauben unterzeichnet“, sagt Leyroutz, der in der übergeordneten Landeswahlbehörde saß. Bei ihm liefen die Telefone heiß: Drei ähnliche Fälle wurden ihm aus den Bezirken Villach-Land, Hermagor und Wolfsberg berichtet.

„Für mich und meine Klubdirektorin war damit klar, dass die Auszählung nicht gesetzeskonform abgelaufen ist. Wir haben das Protokoll in der Landeswahlbehörde nicht unterfertigt.“ Das Wahlergebnis wurde dennoch bestätigt, weil sie überstimmt wurden, sagt Leyroutz.

Am Dienstag (24. Mai) meldete der FPÖ-Parlamentsklub die angeblichen Fehler dem Innenministerium, das noch am selben Tag Anzeige erstattete. „Wir wissen nicht, wie das passieren konnte, aber es muss geprüft werden. Bei einer Wahl gibt es keinen Interpretationsspielraum. Gesetz ist Gesetz“, sagt Leyroutz.

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